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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 3
56. Jahrgang | März
Magazin
Rechte Töne – einfach links liegen lassen?
Rechtsorientierte Musik auf dem Schulhof: ein Thema für
Gesellschaft und Gesetzeshüter
Frühsommer 2004: Sachsen-Anhalts
Innenminister Jeziorsky warnt erstmals öffentlich vor einem
rechtsextremen „Projekt
Schulhof“. „Rechtsextreme wollen Jugendliche mit CD
ködern“ meldet die ARD am 29. Juni, „Faschos nehmen
Schulen ins Visier“ titelt besorgt die taz, und der PDS-nahe
Jugendverband Solid stellt im „Neuen Deutschland“ sein
Gegenprojekt „aufMUCKEn gegen rechts“ ausführlich
vor. Der Hintergrund: Pünktlich zum Schuljahresende – so
verlautete aus rechten Kreisen – werde eine kostenlose Schulhof-CD
mit Rechtsrock von „Noie Werte“ über „Stahlgewitter“ bis „Spirit
of 88“ oder „Frontalkraft“ in sechsstelliger
Auflage an Schüler verteilt. „Anpassung ist Feigheit“ – dieses
einende Motto der Herausgeber, eines Zusammenschlusses von 56 rechtsorientierten
Vertrieben, Initiativen, Gruppen und Organisationen, darunter viele
so genannte „Freie Kameradschaften“, gibt der CD den
Titel. Die Kooperation innerhalb der Szene habe – so stellt
das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.
V. (apabiz) fest – „mit dem CD-Projekt ,Aktion
Schulhof’ eine neue Dimension erreicht“1. Politik,
Justiz, Gesellschaft reagieren bestürzt, entrüstet, verunsichert.
Der Beschlagnahmebeschluss der Staatsanwaltschaft Halle vom 4.
August 2004 wegen schwerer Jugendgefährdung zeugt vom Handlungswillen
des Staates, doch ein Widerspruch dagegen hat zumindest teilweise
Erfolg: Die meisten der Musiktitel sind seither auf einem rechten
Internetportal als mp3-Datei abrufbar.
Wölfe
im Schafspelz. Eine Kampagne gegen Rechtsextremismus und
seine vielfältigen Erscheinungsformen; DVD, Plakat
und Begleitbroschüre, hrsg. Vom Programm Polizeiliche
Kriminalprävention, Stuttgart 2005
Jetzt – Anfang 2007 – hat sich die ganz große
Aufregung um dieses Thema wieder gelegt. So etwas lässt sich
dann immer mehrperspektivisch deuten: Die auslösende Erscheinung
könnte ursprünglich überbewertet worden sein, sie
könnte sich inzwischen tatsächlich erledigt haben oder – man
hat sich einfach daran gewöhnt. Da bei dieser sensiblen Thematik
vor allem letzteres nicht eintreten darf, will ich ein wenig hinter
die Kulissen schauen.
Rechtsorientierte Musik (die sich vor allem in eher außermusikalischen
Kriterien wie Text, Habitualisierung der Interpreten, Kontext der
Darbietung beziehungsweise Distribution und so weiter manifestiert)
beschäftigt Gesetzeshüter und Gesellschaft seit Jahrzehnten.
Gerade in den letzten Jahren lassen sich allerdings aufschlussreiche
Veränderungen erkennen. Dominierte in den 80ern und den frühen
90er-Jahren noch der relativ leicht zu identifizierende und stigmatisierende
dumpfe „Rechtsrock“ mit deutlicher Nähe zur gewaltbereiten
Skinheadszene und juristisch verwertbaren Inhalten, so sind die
Erscheinungsformen inzwischen wesentlich differenzierter geworden.
Die medialen (und damit wohl auch die emotionalen) Kanäle,
die der Verbreitung mehr oder minder deutlich rechten Gedankenguts
dienen, wurden sozusagen multipliziert und aufgeweicht und zielen
insgesamt (dies ist ja auch eine Tendenz des gesamten Rechtsextremismus
in der Gegenwart) auf die so genannte bürgerliche
Mitte der Gesellschaft. So problematisch dieser unscharfe Begriff
zu Zeiten von Hartz IV, Neuer Armut und Unterschichtsdebatten auch
sein mag, kennzeichnet er doch das offenkundige Bemühen rechter
Ideologen und Drahtzieher, kommunikative und diskursive Defizite
unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung für
eigene Zwecke und Ziele auszunutzen. Politologen sehen darin zudem
den „Versuch, die kulturelle Zugangsschwelle zum eigenen
Lager zu senken“2, also hoffähig zu werden,
auch wenn äußerliche
Gewaltabsagen eher als taktisches Verhalten einzustufen sind. Kenner
der Szene berichten zunehmend „von ganz ,bürgerlichen’ Aktivitäten
Rechtsextremer“3, die einhergehen mit einem betont moderaten
Auftreten und einem Trend zur Tarnung, der die Kenntnis der im
rechten Spektrum verwendeten Symbole und Codes natürlich nicht überflüssig
macht, aber zugleich den Blick eben nicht darauf verengen darf.
Im politischen Bereich sind die Erfolge rechtsextremer Parteien
bei Wahlen auf Landes- und kommunaler Ebene wohl nicht zuletzt
mit ihrem (dort offensichtlich gelingenden) Versuch zu erklären,
unmittelbar am Frust, an der Unzufriedenheit oder auch nur der
zunehmenden Verunsicherung des einfachen Mannes auf der Straße,
der natürlich auch die Frau von nebenan sein kann, anzuknüpfen
und diesen dabei das Gefühl zu vermitteln, hier setze sich
jemand vorbehaltlos für sie ein, der schon deshalb vom Staat
und seinen tragenden Organen als Bedrohung empfunden werden muss,
weil er eben nicht – wie den etablierten Parteien häufig
unterstellt wird – in einen Filz politischer Machenschaften
verstrickt ist und also nur um die eigenen Pfründe fürchtet.
Hier ist sicher nicht der Ort, sich mit derartigen Argumenten
intensiv auseinanderzusetzen; angemerkt sei aber, dass dieser Befund
in
Bezug auf das politische System der Bundesrepublik und insbesondere
auf dessen mediale Darstellung und öffentliche Wahrnehmung
durchaus Brisanz besitzt, die gerade mit Blick auf junge Menschen
nicht unterschätzt werden darf.
Neue Qualität der Einflussnahme
War rechte Musik also noch
vor wenigen Jahren eine informelle und gewollt illegale Szene,
so stellen jene Tonträger, die da
inzwischen unter dem Sammelbegriff „Schulhof-CDs“ firmieren,
eine eindeutig neue Qualität der gezielten Einflussnahme auf
Jugendliche dar. Sichtbares Indiz dafür ist die öffentlichkeitswirksame
Ankündigung dieser CDs. Die Initiatoren erreichen so mit Hilfe
der Medien schon vor dem eigentlichen Erscheinen der Tonträger
die gewünschte Aufmerksamkeit. Hinzu kommt das flexible Reagieren
auf das Bemühen des Staates, die Verbreitung der CDs einzuschränken:
Konnte die erste CD „Anpassung ist Feigheit“ noch auf
Grund einiger Liedtexte durch die Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert und ihre Verbreitung
staatsanwaltlich verboten werden, so bewegen sich die beiden von
der NPD initiierten Nachfolger „Schnauze voll? Wahltag ist
Zahltag!“ (Einsatz mit Blick auf Jungwähler im sächsischen
Landtagswahlkampf 2004) und „Schulhof-CD: Hier kommt der
Schrecken aller linken Spießer und Pauker“ (verbreitet
im Vorfeld der Bundestagswahl vom September 2005) inhaltlich auf
einem Terrain, das – nach juristischer Prüfung – gerade
noch durch die Meinungsfreiheit abgedeckt sei. Natürlich können – wie
Sachsen-Anhalts Kultusminister Olbertz jüngst in einem Interview
betonte – die Schulen „in solchen Fällen von ihrem
Hausrecht Gebrauch machen“4. Olbertz erwartet, „dass
entsprechendes Schrift- und Tongut sofort eingezogen wird“5 – eine
Forderung, die bei den NPD-Schulhof-CDs eben formaljuristisch nicht überzeugt
und das Problem insgesamt ja auch nicht löst.
Archiv
der Jugendkulturen (Hrsg.): Reaktionäre Rebellen.
Rechtsextreme Musik in Deutschland, Sonderauflage für
die Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin/Bonn
2001
Also eher die argumentative Auseinandersetzung suchen beziehungsweise
annehmen? Durchaus, doch keineswegs unvorbereitet! Auch die ist
in diesem Fall nämlich nicht ganz einfach, da die Initiatoren
mit den CDs (insbesondere der im Bundestagswahlkampf eingesetzten
NPD-Schulhof-CD) ganz bewusst versuchen, „an die Lebenswelt
Jugendlicher anzuknüpfen und sich als deren Stimme und als
die Interessenvertretung des ,kleinen Mannes’ darzustellen“6.
Schon das Booklet der Schulhof-CD führt in einem vierseitigen
Comic der jugendlichen Hauptfigur Alexander drastisch vor Augen,
dass die einzige Chance in dieser Gesellschaft darin besteht, die
Ziele der NPD zu übernehmen und sich von ihr vertreten zu
lassen; dies macht ihm die blondbezopfte (!) Propagandistin Tina
am Wahlstand der Partei vor dem Arbeitsamt (!) klar. Die Liedtexte
des Samplers arbeiten mit zahlreichen Andeutungen, die zwar in
der Szene (und bei ihren Sympathisanten) gut verstanden werden,
aber keine rechtliche Handhabe abgeben. Sie bemühen zahlreiche
Metaphern und Symbole, bewegen sich im ideologisch Nebulösen
oder auf der abstrakten Ebene eines Gut-Böse-Schemas. Ihre
verbalen Rundumschläge zielen auf „die Macht des Kapitals“,
auf „das System“, auf „eine Einheitswelt a la
Washington“, auf „die Herrscher“ und ihre „Medienmafia“,
auf Bonzen und Bürokraten. Beschworen werden Kameradschaft
und Treue, der Stolz, anders zu sein, und die Gewissheit, dass „die
Bombe tickt/niemand hält uns auf“. Germanenkult und
verquaste Mystik (Titel „Ein Krieger“ der Gruppe „Nahkampf“)
treffen auf unverhohlenen Revisionismus (etwa die „Vertriebenenballade“ von „Noie
Werte“, der langjährigen und noch immer sehr aktiven
Band des Rechtsanwalts Steffen Hammer, oder „Das Mädchen
mit der Fahne“ des bekanntesten braunen Barden Frank Rennicke),
kaum verdeckte Judenfeindlichkeit („Die Macht des Kapitals“ von „Faustrecht“)
und offenen Anti-Amerikanismus („Wenn der Wind sich dreht“ von „Faktor
Widerstand“, einem gemeinsamen Projekt der auch solistisch
auf der CD vertretenen NPD-Liedermacherin Annett Moeck mit „Noie
Werte“, oder „Frieden durch Krieg“ von „Odem“).
Gerade letztgenannter Titel zeigt im direkten Bezug auf den Irak-Krieg
der USA, wie inzwischen selbst vormals „linke Positionen“ instrumentalisiert
werden können, was übrigens auch auf den Antisemitismus
zutrifft, der – so das Ergebnis einer aktuellen Studie7 – insgesamt „privater
geworden“ ist, „während Antizionismus auch im
linken politischen Lager geäußert wird“8.
Die Analyse der Texte ergibt rasch weitgehende Übereinstimmungen
in der stereotypen Darstellung von Vorbild, Selbstbild und Feindbild.
Fast allen Texten gemeinsam ist die Tatsache, dass sie die Erscheinungen
für das Wesen nehmen, Ursache-Wirkungs-Mechanismen versimplifizieren
und populistisch argumentieren, doch zeigt sich, dass diese oberflächlichen
Muster für viele durchaus Attraktivität besitzen und
nicht wirkungslos bleiben, weil sie scheinbare Klarheit in eine
komplexe, unübersichtliche Welt bringen.
Wer sich als Musiklehrer (oder auch fachübergreifend) der
Thematik stellen will, der findet inzwischen vielfältige Hilfe,
Beratung und Unterstützung (nicht nur in Sachsen-Anhalt, wo
derzeit „ein Fortbildungsprogramm zum Umgang mit Tendenzen
von Rechtsradikalismus und Rassismus“ vorbereitet wird, das „zunächst
von Mai bis Dezember laufen und für Schulleiter verpflichtend
sein“ soll, so Kultusminister Olbertz9). So stellt
das Portal „Lehrer
online“ mehrere Unterrichtsmodelle vor, die Bundeszentrale
für politische Bildung hält Material zum Download beziehungsweise
zum Bestellen bereit, die Arbeitsstelle Neonazismus der FH Düsseldorf
hat eine „Argumentationshilfe gegen die ,Schulhof-CD’ der
NPD“ ins Netz gestellt, jugendschutz.net veröffentlicht
eine Synopse zum Thema – überall findet man weiterführende
Links. Die Landeszentralen für politische Bildung, die Stiftungen
der demokratischen Parteien und die für Fortbildung zuständigen
Pädagogischen Landesinstitute haben das Thema ebenfalls seit
längerem ganz oben auf ihrer Agenda. Damit darf zumindest
der Behauptung, man könne sich dem Thema im Unterricht mangels
Informiertheit, Unterstützung und Hilfsangeboten nicht stellen,
deutlich widersprochen werden!
Paul D. Bartsch
Anmerkungen:
1 Rassenkrieg ganz legal. Zahlen und Fakten zu Rechtsrock 2004,
Handreichung von apabiz e. V., Berlin 2005 (online unter www.apabiz.de).
2 Karl-Heinz Baum: Politologen machen bei Rechtsextremen Trend
zur Tarnung aus. In: Frankfurter Rundschau vom 2.3.2006.
3 Ebenda.
4 Bildung ist die beste Prävention gegen Rechtsextremismus.
In: Volksstimme, Magdeburg, 1.2.2007 (auch online: http:///vsm/nachrichten/sachsen_anhalt/?em_cnt=231641).
5 Ebenda.
6 Arbeitsstelle Neonazismus der FH Düsseldorf: Argumentationshilfe
gegen die „Schulhof-CD“ der NPD, S. 2. Dort sind
auch alle Liedtexte, auf die ich mich im Folgenden beziehe, enthalten.
7 Frindte, Wolfgang: Inszenierter Antisemitismus. VS Verlag für
Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006.
8 Kingma, Renate: Antisemitismus in neuem Gewand. In: Psychologie
heute, Februar 2007, S. 12f.
9 Bildung ist die beste Prävention gegen Rechtsextremismus.
A.a.O.
Zu den Abbildungen:
Wölfe im Schafspelz. Eine Kampagne gegen Rechtsextremismus
und seine vielfältigen Erscheinungsformen; DVD, Plakat und
Begleitbroschüre, hrsg. Vom Programm Polizeiliche Kriminalprävention,
Stuttgart 2005, zu bestellen über: info@polizei-beratung.de
Archiv der Jugendkulturen (Hrsg.): Reaktionäre Rebellen.
Rechtsextreme Musik in Deutschland, Sonderauflage für die
Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin/Bonn 2001, zu
bestellen über: www.bpb.de