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nmz 2007/03 | Seite 4-5
56. Jahrgang | März
Magazin
Ständische Interessenvertretung ohne Machtbefugnis
Propagandaminister Joseph Goebbels und die Aufgaben der Reichskulturkammer
im Dritten Reich · Von Albrecht Dümling
Als das NS-Regime am 15. November 1933 mit einem Festakt in der
Berliner Philharmonie die Reichskulturkammer eröffnete, bot
es geladenen Gästen aus Politik und Kultur – darunter
die gesamte Reichsregierung – repräsentative Hochkultur.
Das Berliner Philharmonische Orchester spielte zu Beginn unter
seinem Chef Wilhelm Furtwängler die Egmont-Ouvertüre,
dann unter der Stabführung von Richard Strauss dessen Festliches
Präludium. Heinrich Schlusnus sang Lieder von Franz Schubert
und Hugo Wolf und der Schauspieler Friedrich Kayssler rezitierte
das Schiller-Gedicht „Über das Erhabene“. Im Zentrum
aber stand die Rede des Propagandaministers Joseph Goebbels, der „die
deutsche Kultur vor neuem Anfang“ sah. Tatsächlich spielte
die Kunst im NS-Staat eine eminente Rolle. Hitler verstand sich
nicht als einen Politiker, sondern als einen Kulturrevolutionär
im Sinne Richard Wagners. Entsprechend endete der Festakt nach
dem Goebbels-Auftritt mit dem „Wacht auf“-Chor aus
den „Meistersingern“.
In seiner Rede hatte Goebbels eine neue „heroische Lebensauffassung“ gefordert,
wie sie bereits „durch den Marschtritt brauner Kolonnen“ klinge. „Es
ist eine Art von stählerner Romantik, die das deutsche Leben
wieder lebenswert macht.“ Eine solche Romantik, die sich
nicht vor der Härte des Daseins versteckt, stellte der Minister
den Künstlern als Ideal vor Augen. Nun endlich, da ihre langgehegten
Ziele verwirklicht seien, bräuchten sie sich nicht mehr in
verträumte Innerlichkeit zu flüchten. Mit der Gründung
der Reichskulturkammer dokumentiere der neue Staat die hohe Achtung,
die er Kunst und Künstlern entgegenbringe.
Eine alte Idee
Die Idee eines einheitlichen Zusammenschlusses der Künstler
war keine Erfindung von Goebbels, sondern ein alter Traum aus dem
19. Jahrhundert. Der Musikschriftsteller Franz Brendel, ein Mitbegründer
des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV), hatte schon 1866
eine zentrale staatliche Kunstbehörde gefordert. Der Orchestermusiker
und Komponist Gustav Cords, Präsident des Allgemeinen Deutschen
Musikerverbandes, bemühte sich ab 1911 gemeinsam mit dem ADMV
um die Organisation einer Musikerkammer. Unter Leitung des Komponisten
Max von Schillings verfolgte der Allgemeine Deutsche Musikverein
dieses Ziel weiter. Auch Leo Kestenberg, der einflussreiche Musikreferent
im Preußischen Kultusministerium, plädierte
1921 in seiner Schrift „Musikerziehung und Musikpflege“ für
eine einheitliche Musikerkammer. 1925 widmete sich die Preußische
Akademie der Künste dieser Idee, aber ohne Erfolg. Als der
ADMV 1929 in Duisburg seine Tonkünstlerversammlung durchführte,
stand die „Frage der Musikergemeinschaft“ erneut auf
der Tagesordnung. Der Aachener Dirigent Dr. Peter Raabe begründete
dies damit, dass die Musiker keine Vertretung im Parlament hätten.
Wenn Künstler ihre Belange dort einbringen wollten, müssten
sie sich an einen Abgeordneten wenden, der als Nicht-Fachmann die
Interessen der Künstler nicht entsprechend vertreten könne.
Da die Kunst und der Künstler gegenwärtig durch Einsparungen
bedroht und das deutsche Musikleben von Entlassungen geprägt
sei, brauchten die Künstler gerade jetzt eine Interessenvertretung
nach dem Vorbild der Industrie- und Handelskammern.
Gemeinsame
Jahrestagung der Reichskulturkammer und der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF)
am 27. November 1936 im Deutschen Opernhaus an der Bismarckstrasse
in Berlin-Charlottenburg; in der Ehrenloge (von links):
Walther Funk, Joseph Goebbels, Adolf Hitler, Rudolf Hess,
Robert Ley; daneben weiter nach rechts: Max Amann und
Philipp Bouhler; neben Funk nach links: Peter Raabe, Präsident
der Reichsmusikkammer. Foto: Ullstein Bild
Anfang 1932 griff der nationalsozialistische Kampfbund für
deutsche Kultur diese Idee auf. Der Geiger Gustav Havemann, ein
Aktivist der Gruppe, erwähnte dies gegenüber Max von
Schillings, der skeptisch antwortete: „Woran wir schon 20
Jahre vergeblich arbeiten, das wollen Sie fertigbringen?“ Mitte
1932 bildete die Fachgruppe Musik des Kampfbundes einen von Friedrich
Mahling geleiteten Sonderausschuss, der eine Musikkammer konzipieren
sollte. Eine erste Denkschrift sah für die künftige Kammer
nur deutsche Arier als Mitglieder vor. Dabei war Gustav Havemann,
die treibende Kraft neben Mahling, zuvor an der Seite von Musikern
jüdischer Herkunft, darunter die Pianisten Georg Bertram,
Leonid Kreutzer und Bruno Eisler sowie der Intendant Kurt Singer,
Vorsitzender des Deutschen Konzertgeberbundes gewesen. Nachdem
sein Kollege Carl Flesch aber eine besondere Begabung von Juden
für das Geigenspiel behauptet hatte, war es zu einer Auseinandersetzung
gekommen, die Havemann in rassische Argumentationen hineinlenkte.
Nun störte er sich auf einmal am starken jüdischen Anteil
am deutschen Musikleben und wollte mit Hilfe der neuen Musikkammer
solchen Ungleichgewichten entgegentreten.
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler gründete
Havemann zusammen mit dem Kapellmeister Heinz Ihlert und dem Musikwissenschaftler
Friedrich Mahling, gestützt auf eine Vollmacht des Obersten
Verbindungsstabes der NSDAP, das Reichskartell der Deutschen Musikerschaft,
das als einzige Standesorganisation der deutschen Berufsmusiker
anerkannte wurde. Mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit betätigte
er sich an der „Gleichschaltung“ der Musikerverbände.
Bis zum Herbst 1933 gelang es ihm, die folgenden Verbände
mit insgesamt 14.000 Mitgliedern in sein Kartell einzugliedern:
den Reichsverband Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer, den
Bund deutscher Konzert- und Vortragskünstler, den Reichsverband
deutscher Orchester und Orchestermusiker, den Reichsverband deutscher
Berufsmusiker, die Kapellmeister-Union und den Berliner Pianisten-Club.
Nur der mit 20.000 Mitgliedern stärkste Musikerverband der
Weimarer Republik, der Deutsche Musikerverband, ließ sich
nicht vereinnahmen. Er entzog sich dem Druck, indem er eine eigenständige
Fachschaft innerhalb der Deutschen Arbeitsfront gründete.
Die Wahl fiel auf Strauss
Im September 1933 wurde Joseph Goebbels ermächtigt, alle Künstler
und Publizisten in einer von ihm geleiteten Reichskulturkammer
zusammenzufassen. Allein die Mitgliedschaft in dieser Zwangsorganisation
sollte zur Berufsausübung berechtigen. So konnte eine effiziente
Kontrolle ausgeübt und das Wirken missliebiger Künstler
behindert werden. Die Schaffung der Reichskulturkammer war ein
geschickter Schachzug, wurde damit doch nicht nur der bislang sehr
aktive Kampfbund für deutsche Kultur ausgeschaltet, sondern
auch die Deutsche Arbeitsfront Robert Leys. Das Reichskulturkammergesetz
vom 22. September 1933 überführte das Reichskartell der
Deutschen Musikerschaft in die Reichsmusikkammer (RMK) und gliederte
diese wiederum in die Reichskulturkammer ein. Deren Präsident
wurde der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda,
der sich damit im Bereich der Kultur eine politische Monopolstellung
sicherte. Die deutsche Kultur konnte er in einem Maße steuern
und kontrollieren, wie es keinem Herrscher vor ihm möglich
gewesen war. Da die Musik nicht mehr, wie früher, einem Ministerium
für Kultur, sondern dem Propaganda-Ressort unterstand, war
ihre politische Funktion im Sinne des neuen Staates festgelegt.
Wie Max Butting berichtet, hatte Hitler zunächst Max von Schillings
zum obersten Repräsentanten der deutschen Musik ausersehen.
Aber Schillings, damals zugleich Präsident der Preußischen
Akademie der Künste, winkte ab. Nach seinem plötzlichen
Tod im Sommer 1933 musste ein neuer Kandidat für diese Führungsfunktion
gefunden werden. Die Wahl fiel auf Richard Strauss. Er kannte die
alten Forderungen nach einer Musikerkammer, war aber nicht interessiert,
in einer solchen Standesvertretung demokratische Gesetze walten
zu lassen. Das im Hitler-Staat geltende Führerprinzip entsprach
dagegen seinen Vorstellungen, weshalb er unter solchen Bedingungen
das Amt eines Präsidenten der Reichsmusikkammer gerne annahm.
Unter den sieben Einzelkammern der Reichskulturkammer (Schrifttum,
Presse, Rundfunk, Theater, Film, Musik und Bildende Künste)
war die für Musik nach ihrer Mitgliederzahl die größte.
Obwohl die Komponisten darin nur eine kleine Gruppe darstellten,
stand ihre Reichsfachschaft an der Spitze, gefolgt von den Fachschaften
der Musiker, der Konzertveranstalter, der Chöre und der Volksmusik
sowie der Musikalienverleger.
Als Richard Strauss am 13. Februar 1934 die erste Arbeitstagung
der Reichsmusikkammer eröffnete, hob er den Einsatz der Regierung
für den Wiederaufbau und die Vereinheitlichung des deutschen
Musiklebens lobend hervor. Aus den zum Teil trostlosen Ruinen der
letzten Jahre erblühe nun wieder neues Leben. Mit problematischen
Worten versprach er: „Wir werden dem gesunden Schaffen die
Bahn frei machen und dadurch das Kranke und Schädliche zurückdrängen
und zum Verschwinden bringen.“ Nun endlich habe sich verwirklicht,
was er und seine Mitstreiter sich 1903 bei der Gründung der
Genossenschaft Deutscher Tonsetzer erhofft hatten. Wie damals lag
nun die Verwaltung der musikalischen Aufführungsrechte wieder
weitgehend in den Händen der Komponisten. Für die Urheberrechtsgesellschaft
Stagma entwarf Strauss eine neue Satzung, die ihm als dem Reichsmusikkammer-Präsidenten
fast diktatorische Vollmachten verlieh.
Für Richard Strauss bedeutete die Präsidentschaft einen
wünschenswerten Machtgewinn. Seine Führungsrolle unter
den deutschen Komponisten und deren Vorrang unter den Musikern
schien damit gesichert. Strauss profitierte von der Gleichschaltung
der bisherigen Musikerverbände in einer Einheitsorganisation,
die sein energischer Vorgänger Gustav Havemann geleistet hatte.
Anders als dieser verzichtete Strauss auf gewerkschaftliche Prinzipien,
legte allerdings auch keinen Wert auf eine „Entjudung“ des
Musiklebens. Sein Desinteresse an Rassenfragen versicherte er dem
Dichter Stefan Zweig in einem Brief, der von der Gestapo abgefangen
wurde. Da Strauss dadurch für das Dritte Reich untragbar geworden
war, musste er 1935 sein Präsidentenamt abgeben.
Aushängeschild Peter Raabe
Sein Nachfolger wurde der Dirigent und Lisztforscher Peter Raabe,
der – wie erwähnt – schon vor 1933 die Einrichtung
einer Musikkammer gefordert hatte. Ähnlich wie Havemann hatte
auch Raabe den Kampf gegen die Musiker-Arbeitslosigkeit auf seine
Fahnen geschrieben. Immer wieder hatte er die Meisterwerke vehement
gegen seichte Massenkultur verteidigt. Dies und autoritäre
Neigungen verband ihn mit Strauss – und
mit Adolf Hitler. Obwohl Raabe als Feind der Parteiendiktatur nie
der NSDAP beitrat, bewunderte er Hitler als Kunstmäzen. Als
Präsident der Reichsmusikkammer hoffte er, der deutschen Musikkultur
helfen zu können.
Schon bald musste Raabe aber seine völlige Machtlosigkeit
entdecken. Während es zunächst noch schien, als könnten
die Künstler in den Einzel- u kammern mit ihren Dienststellen
auf Gau-, Kreis- und Ortsebene eigene Interessen formulieren, degradierte
Goebbels die Reichskulturkammer spätestens 1936 zu einem bloß noch
ausführenden Organ. Wesentlichen Anteil an der Aushöhlung
der Reichsmusikkammer hatte neben Goebbels der Freundeskreis des
Weimarer Staatsrats Hans Severus Ziegler. Dessen Intrigen gegen
das Weimarer Tonkünstlerfest von 1935 führten zur Auflösung
des Allgemeinen Deutschen Musikvereins und zur Gründung einer
Musikabteilung im Propagandaministerium. An deren Spitze stellte
Goebbels den drittrangigen Dirigenten Heinz Drewes, der 1938 die
Düsseldorfer Reichsmusiktage organisierte. Erstmals dokumentierte
sich damit öffentlich die Führungsrolle des Ministeriums
und die Hilflosigkeit der Reichsmusikkammer. Raabe war aus Protest
gegen Zieglers Propaganda-Ausstellung „Entartete Musik“ zurückgetreten,
wurde aber von Goebbels im Präsidentenamt belassen – der
Minister brauchte den Dirigenten als liberales Aushängeschild,
als Integrationsfigur. Nach außen hin sollte der Schein gewahrt
werden, als sei die Reichsmusikkammer weiterhin die Standesvertretung
der Musiker.
Drahtzieher Goebbels
In Wahrheit war sie ein als Kulturinstitution getarntes Kontroll-
und Machtinstrument. Schon von Beginn an waren die eigentlichen
Drahtzieher der Reichskulturkammer deren Vizepräsidenten Walther
Funk und Leopold Gutterer, die als Staatssekretäre des Propagandaministeriums
direkt Goebbels unterstanden. Parteisoldaten waren auch die Geschäftsführer
der Kulturkammer, Reichskulturwalter genannt. Während es zunächst
in der Kulturkammer noch keinen Arierparagraphen gegeben hatte,
wurde Reichskulturwalter Hans Hinkel von Goebbels mit der „Entjudung
des deutschen Kulturlebens“ beauftragt. So kam es, dass auch
die Reichsmusikkammer ab 1935 ihre „nichtarischen“ Mitglieder
entlassen musste. Peter Raabe unterzeichnete die Entlassungsbriefe,
obwohl er wie Strauss kein Antisemit war. Als Generalmusikdirektor
in Weimar hatte er mehrfach Mahler-Sinfonien dirigiert und Schönbergs
Orchesterstücke op. 16 zur deutschen Erstaufführung gebracht.
In ihrer 2004 bei Böhlau erschienen Raabe-Biographie ist Nina
Okrassa diesen Widersprüchen zwischen innerer Motivation und
den äußeren Ergebnissen seines Tuns detailliert nachgegangen.
Als Mensch verfocht Peter Raabe Kunstfreiheit und galt als „Judenfreund“,
während er als Präsident die „Entjudung“ der
Reichsmusikkammer betrieb. Die soziale Sicherung der Musiker, zu
der er beitragen konnte, erkaufte er durch die Unterwerfung der
Kunst unter staatliche Lenkung. Goebbels hielt an der Reichskulturkammer
fest, weil dies alten
Forderungen der Künstler entsprach. Er konnte so behaupten,
das Dritte Reich verwirkliche Künstlerträume. Auch die österreichischen
Musiker erhielten 1938 nach dem „Anschluss“ eine Musikkammer,
die sie immer wieder gefordert hatten. Für Goebbels wurde
die Reichskulturkammer zu einem wirkungsvollen Kontrollinstrument.
Ihre Wirkung beruhte vor allem darauf, dass sie den Künstlern
Mitsprachemöglichkeiten suggerierte. Da der Minister eine
wirkliche Mitsprache aber nicht zuließ, konnte er das Organisationsprinzip
der Kulturkammern auch gefahrlos in die besetzten Länder exportieren.
Am 25. Januar 1941 notierte er in sein Tagebuch: „In den
Niederlanden die Kulturkammer eingeführt. Ganz nach deutschem
Muster. Mit einem Schein von Selbstverwaltung. Das muss man immer
tun.“ Diese Notiz enthüllt den Zynismus, mit dem Goebbels
die Künstler behandelte. Die Reichskulturkammer mit den ihr
angeschlossenen Einzelkammern war ein scheindemokratischer Deckmantel,
der die Hitler-Diktatur als weniger brutal, ja sogar als akzeptabel
erscheinen ließ. Mit der Wahl von Richard Strauss und Peter
Raabe zu Präsidenten der Reichsmusikkammer gab Goebbels seiner
eigenen Politik eine respektable Fassade. Hinter dieser bereitete
er Krieg und Völkervernichtung vor – de facto wesentlich
unterstützt durch die Reichskulturkammer.