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2007/03 | Seite 13
56. Jahrgang | März
Praxis: Konzertvermittlung
Aufeinander zugehen, gemeinsam planen
Die Chancen von Arbeitsbündnissen in der Konzertpädagogik · Von
Barbara Stiller
In einem sind sich alle, die sich in den vergangenen Jahren mit
dem weiten Themenfeld „Konzertvermittlung“ auseinandergesetzt
haben, einig: Es geht darum, längerfristig ein neues und jüngeres
Publikum für sich zu gewinnen. Ein zweiter „Gleichschritt“ folgt
unmittelbar, wenn es inhaltlich zu hinterfragen gilt, wie und mit
welchen konkreten Angeboten dieses neu gewonnene Publikum der jeweiligen
Institution möglichst lebenslang die Treue halten soll. Dass
individuelle Antworten auf diese Fragen mitunter jahrelang auf
sich warten lassen und oftmals nur über konzeptionell mühevolle
und finanziell anstrengende Wege und Umwege zu finden sind, können
heute all diejenigen bestätigen, die sich bereits seit mehreren
Jahren auf dem weiten Feld der schulischen und außerschulischen
Musikvermittlung „tummeln“, und dazu zählen Kulturinstitutionen
wie Berufsorchester, Konzerthäuser und Rundfunkanstalten sowie
Bildungsträger wie Musikschulen, Kindergärten und allgemein
bildende Schulen gleichermaßen.
Schulen
spielen als potenzielle Kooperationspartner eine zentrale
Rolle in der Konzertvermittlung. Foto: Koch
Mittlerweile stellt sich jedoch zunehmend heraus, dass viele
Bemühungen
in Momenten der konkreten Umsetzung problematisch erscheinen, in
denen die Institutionen einerseits ihre persönlichen Interessen
verfolgen, andererseits aber auf eine Zusammenarbeit mit anderen
Kooperationspartnern angewiesen sind, um eine qualitativ hochwertige
Realisierung der Projekte gewährleisten zu können.
Konzertpädagogik – ein wenig definiertes Tätigkeitsfeld
Hinsichtlich seiner Nachwuchsförderung macht das Musikleben
derzeit Erneuerungsprozesse durch, die viele Museen und Theater
und dementsprechend die Museums- und die Theaterpädagogik
längst hinter sich haben. Mitunter wurden sie dafür auch
reich belohnt, indem sie heute eine routinierte Nachwuchsförderung
mit qualitativ hochwertigen „Produkten“ betreiben.
Zahlreichen Unkenrufen zum Trotz lassen sich die positiven Erfahrungen
jedoch nicht unmittelbar auf die derzeitigen Initiativen der außerschulischen
Musikvermittlung beziehungsweise Konzertpädagogik übertragen.
Während die Museumspädagogik vornehmlich in der „Institution
Museum“ stattfindet, gestaltet sich das Feld der Konzertpädagogik
bis heute riesig und ist dabei weder inhaltlich klar definiert,
noch liegt ihm ein konkretes Ausbildungsprofil zugrunde. Erschwerend
kommt hinzu, dass unter dem Terminus „Konzertpädagogik“ extrem
unterschiedliche Aktivitäten subsumiert werden: Konzerte von
Berufsmusikern für Kinder, Konzerte von Kindern für Kinder,
Konzerte von Berufsorchestern mit Kindern oder Workshops von Musikern
mit Kindern. Für alle Veranstaltungsformen besteht dringender
Bedarf, alle sind gewünscht und konzeptionell gut umsetzbar.
Die dringend notwendige Diskussion über die Qualität
der spezifischen Vermittlung und Vermittlungsangebote kann jedoch
erst dann einsetzen, wenn die einzelnen Zielgruppen von den verantwortlichen
Veranstaltern noch genauer in den Blick
genommen werden.
Dass dies nicht längst geschehen ist, hängt offensichtlich
damit zusammen, dass das wachsende Bewusstsein für die Beschäftigung
mit jungen Publikumsgruppen noch immer aus engagierten Einzelinitiativen
heraus entsteht, denen es meist an einer spezifischen Vernetzung
mit qualifizierten Kooperationspartnern mangelt.
Mut zur Gründung von Arbeitsbündnissen
Vielerorts wird
lamentiert, es gebe zu wenig eigens ausgebildete Konzertpädagoginnen
und Konzertpädagogen. Dies ist sicher
der Fall und in diesem Zusammenhang stellt sich einmal mehr die
Frage, was konzertpädagogisch ausgebildete Experten alles
können müssen. Im idealtypischen Fall wird von ihnen
verlangt, dass sie
über ein hohes Maß an musikpädagogischer Erfahrung
verfügen, die sie in die Konzeption von
Konzerten für Kinder einfließen lassen können,
Interesse
daran haben und die nötigen Fähigkeiten mitbringen,
um Konzerte für Kinder selbst auf der Bühne zu moderieren,
auch
allgemein dramaturgisch arbeiten und über ein nahezu
unendliches Repertoire an geeigneten Stücken verfügen,
auch
Begleitveranstaltungen wie Konzertvorbereitungsworkshops und
Konzerteinführungsveranstaltungen konzeptionell entwerfen
und künstlerisch-praktisch durchführen können,
kommunikativ
und inhaltlich überzeugend auf andere Bündnispartner
zugehen,
imstande sind, Konzerte für Kinder von der ersten Spontanidee
bis zur Schlussabrechnung zu organisieren,
bereit sind, Sponsorengelder
und Drittmittel für ihre eigenen
Projekte ggegebenenfalls auch selbst einzuwerben
und möglicherweise
auch selbst die Lust und den Mut haben, aktiv für Kinder
zu musizieren.
Einzelpersonen, welche über sämtliche der oben genannten
Qualifikationen verfügen, wird es auch in Zukunft nicht geben.
Aus diesem Grund werden auf allen Feldern der schulischen und außerschulischen
Musikvermittlung mehr und besser kooperierende Arbeitsbündnisse
für konzertpädagogische Vermittlung gebraucht.
Individuelle Stärken und Schwächen analysieren
Erfahrungen
zeigen, dass es nicht unbedingt die Berufsorchester selbst sind,
die sich mit der dafür notwendigen Ernsthaftigkeit
um ihre Bündnispartner auf konzeptionell-inhaltlicher Ebene
bemühen, auch wenn außerordentlich positive Ausnahmen
die-se Regel wie immer bestätigen. Zwar wünschen alle
Orchester, dass Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler
auf Konzertbesuche vorbereiten, aber wenn es um gemeinsam entwickelte
Konzepte geht, wird es oftmals einseitig und hinsichtlich potenzieller
Kooperationsabkommen schwierig, denn in eben dieser Art einer
künstlerisch-pädagogischen
Anleitung liegen meist nicht die individuellen Stärken von
Orchestermusikerinnen und -musikern. Ihnen geht es mitunter mehr
darum, ihre „gute alte Kulturform Konzert“ zu erhalten,
als komplexe Vermittlungsprozesse zu initiieren, die allein anhand
der kulturellen Bedürfnisse der Kinder entwickelt werden.
Während die Mitglieder diverser Berufsorchester mittlerweile
verstanden haben, dass bereits der lange Weg hin zu ihrem kunstvollen
Kulturprodukt konzeptionell hochwertig gestaltet werden muss, steht
bei manch anderem Orchester nach wie vor recht ehrgeizig das „Endprodukt
Konzert“ im Fokus des Interesses. Um auch in ihrem Fall ein
konzeptionelles Umdenken hin zu komplexeren künstlerischen
Vermittlungsprozessen anstoßen zu können, sind die Musikpädagoginnen
und Musikpädagogen von Schulen und Musikschulen als aktive
Bündnispartner gefragt. Sie sind die wahren Experten, wenn
es darum geht, diese dringend erforderlichen Gestaltungsprozesse
in der Zusammenarbeit mit den beteiligten Orchestermusikern zu
initiieren und methodisch anzuleiten, denn nicht umsonst sind sie
es, die ein explizit künstlerisch-pädagogisches Studium
absolviert haben. Konkret zeigen sich diese besonderen Fähigkeiten
darin, dass insbesondere die Instrumental- und Schulmusikpädagogen
einschätzen können, zu welchen künstlerischen Äußerungen
Kinder verschiedener Altersstufen in der Lage sind und zu welchen
konkreten konzeptionellen Konsequenzen diese Annahmen führen
sollten,
Konzertbesuche in Improvisationsworkshops künstlerisch
aktiv vorbereiten und die Kinder zu eigenen fantasievollen
Handlungen
anleiten können,
ein reiches Repertoire an Ideen und pädagogischem
Handwerkszeug im Umgang mit größeren Gruppen haben,
dank
ihrer animatorischen Fähigkeiten mitunter gut in der
Lage sind, Konzertveranstaltungen für Kinder aktiv mitzugestalten,
indem sie Mitspielstücke anleiten,
zum gemeinsamen Singen
und Tanzen animieren, das Publikum für konzentrierte Zuhörphasen
sensibilisieren und entsprechend besondere Momente eines sensiblen
Zuhörens initiieren,
ob ihrer eigenen instrumentalen und
insbesondere instrumentaldidaktischen Fähigkeiten hinreichend
kompetent sind, Instrumente im Dialog mit einem Orchestermitglied
lebendig vorzustellen.
Jeder kann den
ersten Schritt wagen
Aus den oben genannten Gründen möchte der vorliegende
Artikel Mut machen und Orchestermitglieder sowie Musikpädagoginnen
und -pädagogen gleichermaßen ermuntern, selbst initiativ
zu werden und noch aktiver aufeinander zuzugehen,
indem die Lehrkräfte sich, soweit regional möglich,
an ein Orchester oder freies Ensemble ihrer Region wenden,
um neue
Kooperationsprojekte mit den Institutionen Schule und Musikschule
zu initiieren,
indem die Lehrkräfte Orchestermitglieder zu sich in die Musikschule,
den Kindergarten und die Schule einladen und sie zu neuen Dialogen
mit ihren Schülerinnen und Schülern anregen,
indem die Lehrkräfte im Tandem mit den Berufsmusikern einen
Konzertbesuch mit ihren Schülern/-innen künstlerisch-praktisch
planen, vorbereiten und durchführen,
indem sich die Orchestermitglieder selbst zunehmend aktiv
in die Konzeption von Kinderkonzertprojek-ten ihrer Institutionen
einbringen,
indem die Orchestermitglieder gegenüber ihren Arbeitgebern
ein Mitspracherecht einfordern, wenn es um das Einschlagen neuer
konzeptioneller Wege in Bereichen der Nachwuchsförderung
geht,
indem die Orchestermitglieder neben ihren großen Klangkörpern
kleine Ensembles gründen, mit denen sie Konzerte etwa in Musikschulen,
in allgemein bildenden Schulen oder in Kindergärten
geben,
indem die Orchestermitglieder selbst Kontakt zu Lehrkräften
der Schulen und Musikschulen aufnehmen, wenn die Planung
und Vorbereitung von Konzert- und Workshopprojekten ihrer
Orchester
ansteht, und
indem die Orchester (und zwar sowohl das Management als auch
die interessierten Musikerinnen und Musiker) sich mit allen
engagierten Musik- und Instrumentallehrkräften der Region gemeinsam und
im Vorfeld der Planung weiterer Projekte fachlich intensiv über
das austauschen, was alle beteiligten Institutionen sich zukünftig
von einem gelungenen Arbeitsbündnis für konzertpädagogische
Vermittlung wünschen und was sie jeweils selbst zu dessen
Gelingen beitragen können.