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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 51
56. Jahrgang | März
Rezensionen - DVD
Informatives Geplauder an Originalschauplätzen
Neue Musikvermittlungs-DVDs der San Francisco Symphony – Fortsetzung
der musica-viva-Reihe
Keeping Score. Revolutions in Music. Beethoven’s
Eroica / Stravinsky’s Rite of Spring / Copland and the
American Sound. San Francisco Symphony (3 einzelne DVDs),
Vertrieb: Musikwelt Tonträger
Infotainment nennt man das wohl. Und wenn es gut gemacht ist und
der Sache dient, ist auch nichts dagegen einzuwenden. Michael Tilson
Thomas und seine San Francisco Symphony sind es, die mit diesen
drei DVDs der Serie „Keeping Score“ auf den Spuren
der erfolgreichen Einführungen Simon Rattles wandeln (7 DVDs,
Arthaus, siehe nmz 10-05 und 4-06). Revolution der Klänge
hieß die in der deutschen Version und auch Tilson Thomas
geht es um musikalisch Revolutionäres. Doch wo Rattle auf
bestimmte Themen bezogen große Pa noramen aufzeigte, konzentriert
MTT – so die amerikanische Sprachregelung für den Chef
aus San Francisco – sich auf Einzelwerke oder, im Fall Coplands,
auf einen Komponisten.
Der filmische Aufwand, der hier, von Sponsoren offenbar großzügig
unterstützt, betrieben wurde, ist nicht unerheblich. Geht
es um die Eroica, sehen wir MTT am Uraufführungsort, dem Palais
Lobkowitz, oder in Heiligenstadt, dem Stravinsky des Sacre wird
nach Russland und Paris nachgereist. Am Ort der Skandal-Premiere
1913, im Théâtre des Champs-Elysées angekommen,
schlägt diese Suche nach den Originalschauplätzen tatsächlich
um in eine optische Aura, die den Werkporträts Nachdruck und
Authentizität verleiht.
Diese profitieren im Vergleich zu Rattle natürlich von der
Einzeldarstellung. Wo dieser es auf der zweiten DVD („Rhythmus“)
dabei belassen muss, das Unerhörte am Sacre kurz zu beschwören,
um dann zu einem künstlerisch bemühten Slow-Motion-Tanz
unter freiem Himmel Ausschnitte zu dirigieren (die DVD aus San
Francisco greift sinnvollerweise auf die rekonstruierte Originalchoreografie
zurück), kann Tilson Thomas ins Detail gehen. Durch das intensive
Einbeziehen von Orchestermusikern, die etwa die Schwierigkeit bestimmter
Passagen plastisch demonstrieren, werden die Filme gleichzeitig – und
das dürfte ganz im Sinne des Orchestermarketings sein – zu
Porträts des Klangkörpers. Auch die im Vergleich zu MTTs
locker geplauderten, aber prägnant formulierten Kommentaren
eher oberflächlichen Statements der Musiker zu den Stücken
(der Sacre ist ja so sexy!), sind in diesem Sinne zu verstehen.
Inhaltlich schwächer fällt der Eroica-Film aus, der
sich zunächst sehr eng am musikalischen Verlauf orientiert,
um dann aber in weniger ergiebige Details abzudriften. So wäre
im Zusammenhang mit dem Variationenthema des Finalsatzes ein Verweis
auf die Prometheus-Ballettmusik für die Deutung ergiebiger
gewesen als die ausführliche Würdigung des pianistischen
Wettkampfs mit Daniel Steibelt. Auch die als kompletter Konzertfilm
enthaltene Interpretation kommt mit flotten Tempi ein wenig stromlinienförmig
daher.
Ganz in ihrem Element sind MTT und sein Orchester, wenn es um
die Würdigung Aaron Coplands geht. Plastisch wird seine Entwicklung
vom Enfant terrible zum anerkannten Großmeister und zur zentralen
integrativen Figur der amerikanischen Musik nachgezeichnet, gipfelnd
in einer herrlichen Deutung der kompletten Appalachian-Spring-Musik
in der originalen Kammerbesetzung.
Getrübt wird der insgesamt erfreuliche und unterhaltsame
Eindruck, den diese Filme hinterlassen, von dem Umstand, dass als
deutsche Übersetzung lediglich eine dilettantische Untertitelung
zur Verfügung steht. Die freilich köstliche Stilblüten
zeitigt, wenn etwa von Strawinskys „ekstatischer Furche“ die
Rede ist („ecstatic groove“)! Ein ausführliches
Bild von der Serie kann man sich übrigens auf der Internetseite
des Projekts machen: www.keepingscore.org
Musica Viva – Forum der Gegenwartsmusik, Teil 5:
Helmut Oehring, Weit auseinander liegende Tage, Wergo NZ 61;
Teil 6: Hans Werner Henze, „Was ich suche, ist Wohlklang“,
Wergo NZ 62; Teil 7: Iannis Xenakis, Mythos und Technik,
Wergo NZ 63
Auf bewährtem Pfad schreitet indes die musica-viva-Serie
bei Wergo fort. Wie schon in den bisher erschienenen Folgen hängt
die Prägnanz der Werkeinführungen maßgeblich
von den Gesprächspartnern der Interviews ab, die von längeren
Ausschnitten unterbrochen werden, wobei die Stücke natürlich
auch als komplette Konzertmitschnitte verfügbar sind.
Helmut Oehring erweist sich als wohltuend unprätentiöser Informant über
seine Werke „Das Blaumeer“, „Verlorenwasser“ und „Wrong“,
die allesamt als Versuche zu verstehen sind, die Gebärdensprache als seine
Muttersprache in Musik zu setzen, mit Musik zu konfrontieren.
Auf der Xenakis-DVD (die außerdem die Werke „Syrmos“, „Synaphai“ und „Nekuia“ enthält)
besticht vor allem die Ehrlichkeit und Genauigkeit, mit der Kontrabassist Frank
Reinecke seinen Zugang zu dem exorbitanten Solostück „Theraps“ beschreibt.
Einen interessanten Einblick in Xenakis’ Arbeit als Architekt erlaubt
außerdem ein Interview mit Florian Rist zum berühmten Expo-Pavillon
von 1958.
Die anlässlich des Geburtstagskonzerts im Mai 2006 entstandene,
Hans Werner Henze gewidmete DVD lebt vor allem von den ausgezeichneten
Interpretationen der „Antifone“, der Nachtstücke
und Arien sowie der Orchesterwerke „Fraternité“ und „Appassionatamente“.
Mit einem Duett aus „König Hirsch“, das in allen
bisherigen Produktionen der Oper gestrichen worden war, enthält
sie gar einen Uraufführungsmitschnitt.