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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 32
56. Jahrgang | März
Jeunesses Musicales Deutschland
Den Sound der Klassik hörbar checken lassen
Gewandhaus Leipzig erhält Sonderpreis zum „junge ohren
preis 2006“
Die Jury des „junge ohren preises“ war sich schnell
einig: Hier ist eine bemerkenswerte Initiative, die in der Ansprache
junger Leute authentisch und schnörkellos ist, klassische
Musik nicht anbiedert, pädagogisiert oder ihre Wertbestimmung
vorgibt. Hier werden junge Leute ernst genommen, genauso ernst
wie die Musik. Aber in das Beurteilungsraster des Preises, der
erstmals für die Saison 2005/06 gemeinsam von der Jeunesses
Musicales Deutschland, der Deutschen Orchestervereinigung und der
Initiative Hören verliehen wurde, wollte sich das Leipziger
Projekt nicht so recht einfügen. So erhielt das Besondere
einen Sonderpreis, überreicht vom DOV-Vorsitzenden Hartmut
Karmeier und dem Generalsekretär der JMD Uli Wüster im
Rahmen eines Schulkonzerts im Gewandhaus am 8. Februar.
Keinen Schimmer, was im Konzertsaal passiert? Da hilft nur eines:
Die Hörbar des Gewandhauses besuchen oder die Gewandhaus-Charts
einsehen. Beide Projekte des Gewandhauses wurden konzipiert, um
die Zugangsschwelle Jugendlicher und junger Erwachsener herabzusetzen,
die meist nur deswegen besteht, weil sich viele Menschen nicht
vorstellen können, was sie im Konzerthaus erwartet. Im Bereich
der Popmusik zum Beispiel sieht das anders aus. Die meisten jungen
Leute haben keine eigene Erfahrung mit klassischer Musik (ob live
oder in Konserve) und können deshalb in aller Regel den Spielplan
nicht zu ihrem Nutzen interpretieren. Der Spielplan bietet für
ungeübte Konzertgänger keine Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung.
Das Ergebnis: die Jugendlichen entscheiden sich bei der Freizeitgestaltung
für bekannte Angebote.
Es tut also sowohl ein Leitfaden (Charts) durch die Spielzeit
für
junge Hörer Not, als auch das Bekanntmachen dessen, was im
Konzertsaal passiert (durch Hörsessions, Soundchecker und
HÖRbar). Wichtig war, Vermittlungswege zu finden, die aus
dem Alltag der jungen Leute stammen (Mp3-player, Charts, etc.)
und die weitestgehend so zugänglich sind, dass sich Interessierte
die Nutzung nach ihrem persönlichen Zeitplan einteilen können.
In den Hörsessions besuchen Gruppen das Gewandhaus und treffen
hier den Moderator, der eine Auswahl an Werken aus der kommenden
Spielzeit via CD zu Gehör bringt. Die Hörer wissen nicht,
was sie hören, um (Vor-, Wert-)Urteile von vornherein auszuschließen.
Die Jugendlichen werden angehalten, offen ihre Meinung zum Gehörten
zu äußern. Der Moderator vermittelt ohne pädagogischen
Habitus – sozusagen nebenbei – im Dialog Inhalte zu
Werken und gibt Werkzeuge an die Hand, den Spielplan zu interpretieren.
Die Gespräche über das Gehörte und die Diskussionen über
unterschiedliche Meinungen fördern die spontane Auseinandersetzung
mit der Musik. Am Ende wird darüber befunden, welche Werke
zum Live-Hören interessant waren und welche nicht. Mehrfach
positiv bewertete Stücke kommen in die Charts. Die sogenannten
Gewandhaus-Charts sind dann online einsehbar, verknüpft mit
dem Hinweis auf das Konzert, in dem das Werk erklingt.
Die „Soundchecker“, die aus der Zielgruppe selbst stammen,
sind mit auffällig bedruckten T-Shirts („Seid uns hörig!“),
Taschen und technischem Equipment ausgestattet. Auf den iPods (MP3-Player)
sind alle auf CD erhältlichen Werke der kommenden Saison aufgespielt.
Die Soundchecker sprechen junge Menschen in Kneipen und Parks an.
Im ungezwungenen Umfeld, auf freiwilliger Basis und während
einer unterhaltsamen Aktion (ungewohnte Musik hören) entstehen
persönliche Dialoge über Musik, Erwartungshaltungen,
technische Fragen zum Ticketerwerb, Informationen über Werke
und Komponisten, das Konzerthaus und das Orchester. Jeder Teilnehmer
hört die Werke, die er beurteilt, ohne Kenntnis des Komponisten.
Die mehrfach positiv bewerteten Werke gehen ebenfalls in die Charts
ein. Die Aktion hat sowohl einen Marketing-Aspekt, da die auffällige
Ausstattung den Namen „Gewandhausorchester“ an Orte
bringt, an dem er für gewöhnlich nicht dauernd kursiert;
sie hat aber auch einen Musik vermittelnden Aspekt, da die meisten
Kontakte Erstkontakte mit klassischer Musik waren und die Besucher
sich (über die vorgegebene Zeit von 15 Minuten pro Testhörer
hinaus) in Gespräche verwickeln ließen.
Die fest an prominenter Stelle installierte Hörbar im Foyer
des Gewandhauses hält in fünf iPods alle Werke der laufenden
und kommenden Gewandhaus-Saison bereit. Sie ist ganztägig
und natürlich während der Konzerte zugänglich. Hörer
können sich hier ohne Kenntnis der Materie intuitiv von der
Musik begeistern lassen, die sie frei auswählen. Das Display
des iPods zeigt sofort das Aufführungsdatum des Werkes im
Gewandhausorchester-Konzert. Das aus der Alltagswelt der jungen
Leute stammende Gerät mit dem modernen Image setzt die Zugangsschwelle
herab. In der Hörbar kann schriftlich für die Charts
abgestimmt und bereits bestehende Charts können eingesehen
werden. Ziel aller Aktivitäten ist es, neugierig zu machen
und Kenntnis zu vermitteln auf/über das, was im Konzertsaal
geschieht, um den Jugendlichen die Entscheidung zum Besuch des
Gewandhausorchester-Konzertes zu erleichtern.
Die Hörbar bildet in Zukunft das Zentrum von besonderen Veranstaltungen,
die für die definierte Zielgruppe ausgerichtet sind: Hörbarlounges
mit klassischer Kammermusik, gespielt von Gewandhausorchestermitgliedern,
kombiniert und gemischt mit elektronischer DJ-Musik oder die Audio
Invasion, in der sich das gesamte Foyer mit klassischer Ensemblemusik
und Elektrosounds in einen Club verwandelt, sollen ab März
regelmäßig je einmal im Jahr stattfinden. Imageanzeigen
und redaktionelle Pressearbeit begleiten die Aktivitäten in
der Hörbar.