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nmz-archiv
nmz 2007/03 | Seite 29
56. Jahrgang | März
Verbandspolitik
Ein Netzwerk einmal um die Welt gespannt
Jens Cording, Präsident der Gesellschaft für Neue Musik,
im Gespräch mit der neuen musikzeitung
Die Gesellschaft für Neue Musik (GNM) wurde vor über
80 Jahren gegründet. Das klingt gesetzt, ist aber tatsächlich
agil und kreativ. Das liegt nicht zuletzt an Jens Cording, dem
Präsidenten der GNM. Er ist nicht nur fachlich kompetent,
sondern passioniert und ein Meister im Knüpfen von Netzwerken.
Mit dem Kulturmanager und ausgebildeten Geiger sprach Susanne Fließ.
neue musikzeitung: Wie kam Ihr Kontakt mit der Gesellschaft
für
Neue Musik zustande? Jens Cording: Von Haus aus bin ich studierter Musiker. Irgendwann
war für mich mit dem Musizieren die Grenze meiner kreativen
Möglichkeiten erreicht. In Hamburg wurde damals der Aufbaustudiengang
Kulturmanagement angeboten und ich begegnete dort im Rahmen diverser
Praktika Leuten, die mir den kick off in die richtige Richtung
gaben. So lernte ich das Siemens Arts Program (früher Siemens
Kulturprogramm) kennen und arbeite dort seit 13 Jahren als Projektleiter
für den Bereich Musik. Hier kann ich sehr kreativ arbeiten:
Projekte konzipieren, initiieren, neue Ideen umsetzen, spartenübergreifend
und in einem großen Netzwerk arbeiten.
Es lag bei meiner beruflichen Beschäftigung mit Neuer Musik
nahe, auch in der Gesellschaft für Neue Musik (GNM) Mitglied
zu werden. Zunächst als normales Einzelmitglied, um weiter
zu kommen und das Netzwerk, das ich bei Siemens brauchte, auszubauen.
Bis ich dann vor viereinhalb Jahren zum Präsidenten gewählt
wurde. Das Amt in der GNM ist nur eine logische Fortsetzung dessen,
was ich bei Siemens gelernt habe, nämlich „networking“.
nmz: Die Beschäftigung mit Neuer Musik stellt sich in der
GNM gleichermaßen als ein kulturelles, wie auch politisches
und soziologisches Phänomen dar. Cording: Hier geht es nicht darum, einzelne Komponisten
zu fördern,
sondern es geht vielmehr um die Vermittlung von Theorie und Praxis,
die Einbettung der Neuen Musik in die allgemeine Musikszene. Das
ist unter anderem der Grund dafür, weshalb wir so aktiv in
anderen Verbänden innerhalb und außerhalb des Deutschen
Musik-
rates vertreten sind.
Rastloser
Networker: Jens Cording. Foto: Martin Hufner
nmz: Welche Geschichte hat die
GNM? Cording: Die GNM ist schon in den 20er-Jahren
des letzten Jahrhunderts entstanden, während des 2. Weltkriegs wurden die Aktivitäten
vollständig eingestellt, nach 1945 wurde sie neu gegründet.
Je nachdem, wer gerade den Vorsitz hatte, erfuhr die GNM mal die
eine mal die andere inhaltliche Ausrichtung, aber immer war sie
ein Verbund von Komponisten, Interpreten, Musikwissenschaftlern,
Kulturinstitutionen, Rundfunkanstalten und Verlegern, eben allen,
die an dem Musikgeschehen beteiligt sind. Auf der soeben freigeschalteten
Homepage ist das alles ausführlich nachzulesen (www.g-n-m.de)
nmz: Das Ensemble Modern spielt
in der GNM eine besondere Rolle… Cording: Es ist auf Initiative und mit Hilfe der
GNM entstanden. Regelmäßig führen wir gemeinsam eine Veranstaltung
durch, die den Titel „Nachwuchsforum der Gesellschaft für
Neue Musik und des Ensemble Modern für Interpreten, Komponisten
und Musikologen“ trägt. Junge Künstler und Wissenschaftler
können ihre Werke einreichen, sie werden gemeinsam mit dem
Ensemble Modern erarbeitet, aufgeführt und über die Disziplinen
hinaus diskutiert. Wir führen das 2008 zum nunmehr neunten
Mal durch. Das Thema des Nachwuchsforums 2008 wird lauten „In
der Form – aus der Form“. Die Veranstaltung ist offen
für alle. Wer den Entdeckergeist in sich spürt, der ist
herzlich willkommen zum Zuhören.
nmz: Welche Projekte betreut
die GNM außerdem? Cording: Wir führen ein- bis zweimal im Jahr sogenannte „Ensemble-
und Veranstalterkonferenzen“ durch. Dort geht es um wichtige
und aktuelle Themen. So diskutierten wir jüngst über
die inhaltliche Gestaltung von Konzertprogrammen. Die nächste
Konferenz findet im Juni in Mönchengladbach statt und hat
das Thema „Regionale Kulturförderung“, denn inzwischen
werden Festivals oft von überregionalen Institutionen finanziert
und wir wollen die Konsequenzen diskutieren, die sich daraus für
die Verortung eines Festivals ergeben. Da die offizielle Bezeichnung
der GNM ja „Gesellschaft für Neue Musik – Sektion
Bundesrepublik Deutschland der Internationalen Gesellschaft für
Neue Musik“ ist, findet hier im internationalen Kontext ein
bedeutendes Projekt statt, das „World New Music Festival“.
Die GNM ist federführend für die Neue Musik aus Deutschland.
Das Festival findet jedes Jahr in einem anderen Land statt, letztes
Jahr in Stuttgart. Durchgeführt wurde es von einer unserer
Mitgliedsorganisation unter der Regie von Christine Fischer. Aus
aller Herren Länder präsentierte sich dort Neue Musik
unter dem Motto „grenzenlos“.
Und schließlich führen wir im Rahmen der Musikmesse
und mit Unterstützung des Deutschen Musikrates und der neuen
Musikzeitung seit drei Jahren ein „Get together“ durch.
Denn seit ich die Musikmesse besuche, habe ich den Eindruck, dass
die Personen, die mit Neuer Musik zu tun haben, ein wenig verloren über
die Messe laufen. So laden wir gemeinsam mit DMR und nmz am Messe-Donnerstag
Abend ins Schauspiel Frankfurt ein.
nmz: Wie weit reicht das internationale
Netzwerk? Cording: Einmal um die Welt.
nmz: Findet denn auch außerhalb der Festival-Tage ein Austausch
der nationalen Sektionen untereinander statt? Cording: Ereignisse wie das Festival sind wichtig
zum Kontakte knüpfen. Aufgrund ihrer enormen Reichweite und unserer Kenntnis
ihrer jeweiligen Arbeitsweise können wir dann im Bedarfsfall
beratend tätig werden, wenn an uns organisatorische Fragen
zu Konzerten oder Projekten herangetragen werden.
nmz: Wie sieht die Zusammenarbeit
mit innerdeutschen Institutionen des Musiklebens aus? Cording: Die GNM ist zunächst eine Mitgliedsorganisation im
DMR und wir freuen uns sehr, dass wir auch hier unser Netzwerk
ausbauen und gemeinsam Prozesse gestalten können. Gemeinsam
mit dem DMR und dem IKI haben wir jüngst eine Ensemblestudie
durchgeführt. Die Ergebnisse werden demnächst in der
neuen musikzeitung vorgestellt und dankenswerter Weise über
das Musikinformationszentrum verbreitet, wofür die GNM gar
keine Ressourcen hätte.
Darüber hinaus ist die GNM beratend und personell in den verschiedenen
Gremien vertreten: wir sind Mitglied im Bundesfachausschuss für
Neue Musik, wir sind sowohl im Beirat als auch in der Jury des „Konzerts
des Deutschen Musikrates“, wir sind in der Jury für
die „Edition für Zeitgenössische Musik“.
Unsere Beratertätigkeit wird auch vom Präsidium des DMR
genutzt. Zudem haben wir die Vereinbarung getroffen, dass ein Vertreter
der beiden Bundesfachausschüsse „Popmusik“ und „Neue
Musik“ an den Sitzungen des jeweils anderen Ausschusses teilnimmt.
nmz: Glauben Sie, dass die Neue
Musik eines Tages einen Schutzraum wie die GNM nicht mehr nötig hat? Cording: Ich bin keineswegs der Meinung, dass
sie einen anderen Schutzraum als auch sonst die Kultur braucht!
Konzerte mit Zeitgenössischer
Musik sind ausnehmend gut besucht, kluge Einführungskonzepte
unterstützen die Vermittlung der Musik. Wenn es tatsächlich
Konzerte gibt, in denen kein zeitgenössisches Stück auf
dem Programm steht, dann höre ich hinterher regelmäßig
Kritik daran.
Ich glaube fast, dass die Musik der Klassik einen Schutzraum viel
nötiger hat, weil man denkt, man müsse diese Musik nicht
vermitteln, sondern kann sie einfach so in den Raum stellen.
nmz: Was wäre ohne die GNM in Deutschland nicht geschehen? Cording: Ich glaube, dass das Bewusstsein von
Zusammenhängen
und Abhängigkeiten nicht so entwickelt wäre. Komponisten,
Interpreten, Rundfunkanstalten und Verlage würden sehr viel
vereinzelter agieren und damit ineffizienter. Durch die GNM ist
die Vernetzung institutionalisiert worden. Andererseits ermöglicht überhaupt
erst die Demokratie die Gründung und
Pflege solcher Gesellschaften. Nur in diesem Kontext können
wir überhaupt Vertreter in Gremien entsenden. Wünschenswert
ist eine stärkere Durchdringung der unterschiedlichen Musiksparten
und gleichzeitig ein stärkerer Artenschutz für die Musik,
damit man komplikationslos zusammenarbeiten kann.