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Ausgabe 2007/05
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nmz 2007/05 | Seite 40
56. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert

Zwischen Stadt und Land, Kunst und Alltag

Interkulturelle Brüche und Brücken bei der Berliner MaerzMusik 2007

Gesucht wurde ein neuer Zugang zur Musik, eine andere Art der Wahrnehmung. Nicht das geschlossene Werk stand bei der diesjährigen MaerzMusik im Vordergrund, sondern der Ort seiner Entstehung und Verwendung. Ins Blickfeld geriet Musik als Bestandteil einer Region und damit ein Regionalismus, der lange als hinterwäldlerisch galt. Der NS-Staat hatte Heimatkunst gepflegt und auf Völkisches eingeengt, sie wurde zur Eingangspforte für musikalischen Rassismus. Dies hat den Blick auf lokale und regionale Traditionen desavouiert, weshalb er meist dem Tourismus oder der Volksmusikforschung vorbehalten blieb.

Konnte sich im neutönerischen Umfeld des Festivals gut behaupten: Jodlerclub Wiesenberg. Foto: MaerzMusik

Bild vergrößernKonnte sich im neutönerischen Umfeld des Festivals gut behaupten: Jodlerclub Wiesenberg. Foto: MaerzMusik

Matthias Osterwold, dem Künstlerischen Leiter der MaerzMusik, kann man solche einengenden Tendenzen nicht vorwerfen. Der ausgebildete Stadtsoziologe und Volkswirtschaftler sprengte schon in dem 1983 gegründeten Berliner Verein mit dem ironischen Namen „Freunde Guter Musik“ die Grenzen des herkömmlichen Konzertlebens. Bei der diesjährigen MaerzMusik lotete er unter dem Motto „Alpenmusik – Stadtmusik – Turmmusik“ den Kontrast und das Wechselspiel zwischen Lokalem und Globalem, Ländlichem und Städtischem aus.

Bislang förderte der musikalische Regionalismus meist „Typisches“ und schuf Normen und Idealtypen, er ordnete in Kästchen und Rubriken und sortierte „Untypisches“ aus. Die MaerzMusik suchte dagegen nach Außenseitern und Randphänomen. Nicht immer ließ sich allerdings klar unterscheiden, ob eine bestimmte Musik eher als ländlich oder als städtisch anzusehen war. Es gab auch Zweifel am künstlerischen Wert einiger Aufführungen.

Alpenmusik

Um das Berliner Publikum auf die Thematik einzustimmen, hatte man im Programmbuch Georg Simmels Essay „Die Alpen“ nachgedruckt und Georg Nussbaumers Klanginstallation „Die schönsten Gipfel der Alpen“ ins Haus der Festspiele geholt. Stimmgabeln unterschiedlicher Tonhöhe waren als Repräsentanten der einzelnen Berge so aufgehängt, dass sie ein Alpen-Relief im Maßstab 1:33000 bildeten. So bequem hat man diese Gipfel noch nie begehen und sich „erobern“ können. Zum kleinen Sonnenberg (484 m) musste man sich bücken, während man sich dagegen zum Mont Blanc fast auf die Zehnspitzen stellen musste, um die entsprechend beschriftete Stimmgabel anzuschlagen. Dann vereinte sich der Klang beider Berge und tönte noch lange nach. Das optische Panorama verband sich reizvoll mit dem akustischen.

So war man vorbereitet auf die Orchesterinstallation „fichten“ des Grazers Klaus Lang, die im Saal die Festspiele eröffnete. Zuvor mussten die Besucher ihre Schuhe gegen Einwegsocken austauschen und auf leisen Sohlen die lindgrüne Liegefläche betreten, die Claudia Doderer hier installiert hatte. Das rund um die Hörer postierte Rundfunk-Symphonie-Orchester Berlin bildete siebzig Minuten lang mit Streicherakkorden und Schlagzeugeffekten den tönenden Wald. Ergänzt durch von der Decke herabhängende Stahlseile und von Andreas Fuchs betreute Lichtwechsel entstand ein Gesamtkunstwerk, das wohl eher der angenehmen Entspannung als der ästhetischen Erkenntnis diente.

Die beiden Österreicher Georg Nussbaumer und Klaus Lang bildeten die Eingangspforte des Festivals. Sonst dominierten bei der Alpendarstellung die Schweizer, deren Pro Helvetia-Stiftung konzeptionell und finanziell wesentlich zum Gelingen beitrug. Aus Genf reiste das Ensemble Contrechamps an, das sich den Schweizern Klaus Huber und Claire-Mélanie Sinnhuber sowie dem in Bergamo lebenden Stefano Gervasoni widmete. Auf dem Programm des von Peter Hirsch geleiteten Collegium Novum Zürich standen Heinz Holligers vier Lieder „Induuchlen“ (Eindunkeln), die ihren Reiz aus der Auseinandersetzung mit provinziellen Traditionen gewannen. Angeregt durch den 80. Geburtstag Klaus Hubers und durch dessen Vater, einen Volkslieddichter und -sammler, hatte Holliger Brienzer Mundartgedichte für Countertenor (Kai Wessel) und Naturhorn (Olivier Darbellay) gesetzt und dabei die Unebenheiten dieser kulturellen Archaik hervorgekehrt. Was auf den ersten Blick wie schlichte Volksfest-Gebrauchsmusik wirkte, offenbarte bei genauerem Hinhören raffinierte Abweichungen beim enggeführten Miteinander beider Interpreten. Wie schon 1991 in seiner Komposition „Alb-Chehr“ ließ sich Holliger auch hier ohne Niveauverlust auf ländliche Traditionen ein. Mit der Unbefangenheit eines Naturburschen bewegte sich dagegen der Züricher Mischa Käser in seiner neuen Ensemblekomposition „City 1“ in städtischem Terrain und vereinte Alltags- und Straßengeräusche zu einem spannenden Klangbild. Das Städtische im Ländlichen suchte der in Würzburg lebende Klaus Ospald in seinen „Tschappina-Variationen“, dem akustischen Protokoll eines Schweiz-Besuchs. Immer wieder brach geschäftige Hektik in ruhige Klänge ein, versteinerten bewegte Aktionen und zerstörten „falsche“ Instrumente wie Steeldrums das Natur-ambiente, bis zum Schluss Statik und Dynamik sich überlagerten: Der Alpen-Besucher hatte sich damit abgefunden, dass die unberührte Natur der Vergangenheit angehört.

Aus alten Traditionen kann sich aufregend Neues entwickeln. Das bewiesen das Duo Stimmhorn und der Trümpi- oder Maultrommelspieler Anton Bruhin, der auf seinem Instrument nicht nur übliche Ländler und Polkas spielte. Die von ihm entwickelte elektro-magnetische Maultrommel (Elektrisch Trümpi oder ET) ermöglichte ihm Übergänge zu avantgardistischen Synthesizer-Klängen. Auch die Unterengadiner Volksmusikgruppe „Ils Fränzlis da Tschlin“, die zumeist aus Mitgliedern einer einzigen Familie besteht, spielt nicht nur gefühlsbetonte „Fränzlimusig“ des 19. Jahrhunderts, sondern erweitert ihr Traditionsrepertoire. Da dort der „Pfeffer“ fehlt, ergänzen neuere Kompositionen harmonische und rhythmische Raffinements. In dem ebenfalls in Berlin gezeigten Film „Increschantüm“ (Heimweh) wirkte die Gruppe allerdings lebendiger als beim Live-Auftritt. Volksmusik dieser Art ist eben doch auf ihre eigentliche Umgebung angewiesen und lässt sich nicht ohne Verluste in eine Großstadt exportieren.

Dagegen konnte sich der Jodlerklub Wiesenberg im Musiktheater „Tante Hänsi – Ein Jenseitsreigen“ der Komponistin Mela Meierhans sehr gut behaupten. Eine Erzählerin berichtete in Dialektsprache von alten Totenritualen in jenem innerschweizerischen Dorf, während eine Sängerin und ein Sänger sich dem Phänomen des Todes auf sehr unterschiedliche Weise nähern – mit religiöser Inbrunst oder kühl und sachlich. Die vom Instrumentalensemble gespielte Musik verblasste vor dem Auftreten des Jodlerchors, der zunächst mit einem „Naturjodel“ provozierte, dann aber einen passenden Jodel anstimmte. Im Gedächtnis haften blieb der Kontrast zwischen Volksmusik und Kunstmusik, kaum aber die für die Handlung zentrale Unterscheidung zwischen „Naturjodel“ und geistlichem „Bätruef“.

Stadtmusik

Stadtmusik konnte man zu später Stunde in clubähnlichen „Sonic Arts Lounges“ hören. Auf dem Programm standen vor allem Musikarten zwischen Komposition und Improvisation wie die „Hardcore Chambermusic“ des Schweizer Trios Hans Koch, Martin Schütz und Fredy Studer, die auf weite Strecken wie Free Jazz mit eingeflochtenen Elementen aus Avantgarde, Rock und Pop wirkte. Allerdings lehnt das Trio, wie dem ihnen gewidmeten Film zu entnehmen war, Experimente ab. Bei den Auftritten wolle man nur das bereits Erprobte bieten. Eine weitere Sonic Arts Lounge war dem Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch vorbehalten, dem gleichzeitig im Martin-Gropius-Bau eine Retrospektive gewidmet war. Er spielte auf der Orgel der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche, wo er schon 1974 gemeinsam mit anderen Wiener Aktionisten aufgetreten war.

Fast demütig trat der Künstler zu Beginn vor sein Publikum und ließ verlauten, er sei kein Orgelvirtuose. Das hatte auch niemand von ihm erwartet. Das hier aufgestellte amerikanische Instrument aus dem Jahr 1870 sei eine wunderbare Orgel, sein Orchester, mit dem er Klangblöcke dynamisch wirken lasse. „Genießen Sie das“, beruhigte Nitsch seine Zuhörer. „Man kann das eigentlich sehr genießen.“ Tatsächlich wirkte seine neue „Komposition für Orgel“ in der langsamen Überlagerung von Haltetönen und Clustern eher meditativ als provokativ. Zwei Registranten standen wie Ministranten zu Seiten des Meisters und durften gelegentlich die Register wechseln. Man vernahm den Wechsel der Klangfarben und Tonlagen sowie das Pulsieren des Windes. Vor allem sah man den weißbärtigen Meister vor seinem Instrument. Hätte man nicht einmal von draußen ein Feuerwehrsignal gehört, hätte man eher ein ländliches Kloster als die Nähe einer Großstadt assoziiert.

Städtischer wirkte „The Whole World is Watching“ von Raymond Pettibon und Oliver Augst. Das in seiner Lärm-entfaltung oft die Schmerzgrenze überschreitende Spektakel war als Musical angekündigt, entpuppte sich aber als Lektion über die Weathermen, jene US-amerikanische Terrorgruppe der sechziger Jahre. Ein Video, das Raymond Pettibon der Gruppe gewidmet hatte, wurde nun neu inszeniert. Die riesige Wand von Lautsprecherboxen, die die Bühne der Sophiensäle beherrschte, war wichtigstes Instrument. Es verstärkte die grellen Schreie, die man bei Hermann Nitsch vermisst hatte. Wie einst zur Blütezeit der Studentenbewegung hörte man Manifeste aus dem Megaphon, verlesen von Pettibon oder gesungen vom Punker Schorsch Kamerun. Die derb inszenierte Provokation erwies sich als nostalgisches Happening: Abgänge von Besuchern, die vor der Lärmorgie flohen, wurden wie Siege gefeiert, missliebige Schallplatten zerbrochen.

Die Weathermen hatten ihren Namen einem Bob Dylan-Song entlehnt. Ebenfalls auf Dylan bezog sich der Grazer Kompositionsprofessor Bernhard Lang in „Differenz/Wiederholung 16: Songbook I“ für Stimme, Saxophon, Keyboards und Schlagzeug. Es hatte einen eigenen ästhetischen Reiz, wie die von Jenny Renate Wicke gesungenen Popfloskeln vom Saxophonisten des Trio Accanto aufgegriffen wurden, wie die Klänge in Zeitlupe erstarrten oder durch Repetition verfremdet wurden.

Turmmusik

Zwischen alpinen Höhen und städtischem Flachland vermittelte sogenannte Turmmusik. Eigens für diese MaerzMusik hatte Moritz Gagern seine„Babylonische Schleife“ entwickelt, die auf über zweihundert Metern Höhe im Berliner Fernsehturm erklang. Das Publikum im drehbaren Restaurant umkreiste dabei langsam die zentral postierten Musiker. Die szenische Idee imponierte mehr als die musikalischen Einfälle. Ebenfalls als Turmmusik angekündigt war das Musiktheater „Walking in the limits“ des Schweizers Heinz Reber. Schauplatz dieser „theatralischen Skulptur“ war ein Hotelzimmer im 30. Stock eines Hochhauses am Berliner Alexanderplatz. Die räumliche Höhe führte Reber in die dünne Luft der Abstraktion, in ein geistig-musikalisches Niemandsland, dem er kosmische Züge verleihen wollte. Nach der vielversprechenden Ankündigung – neben der modernen Verunsicherung sollte auch die Superstring-Theorie illustriert werden – bedeutete die Aufführung in der Volksbühne eine herbe Enttäuschung. In der ehrwürdigen musikalischen Tradition des Hauses – hier hatte Artur Schnabel seine Beethoven-Zyklen zum ersten Mal gespielt – gehörte dieser Abend zu den Flops. Origineller und provokativer war die interaktive Klang-Video-Installation „turmlaute.2“ des Berliner Medienkünstlers Georg Klein, der Osterwolds Konzept einer funktionsbezogenen Kunst konsequent weiterdachte. Türme, nicht zuletzt Grenz-Wachttürme, begreift er als Symbole der Macht und Machtausübung. Sein Ausgangspunkt war der texanische Gouverneur Rick Perry, der am US-amerikanischen Grenzzaun Webcams montieren ließ, um mexikanische Flüchtlinge besser überwachen zu können. Bis vor kurzem konnten die auf der Webseite www.texasborderwatch.com veröffentlichten Bilder illegaler Grenzübertritte weltweit abgerufen werden. Angesichts der starken Resonanz will der Gouverneur weitere Streckenabschnitte mit Webcams ausrüsten. Diesem Vorbild folgend gründete Klein eine (fiktive) European Border Watch Organisation (www.europeanborderwatch.org) und machte einen Berliner Grenzwachtturm zur Rekrutierungszentrale für wachsame Staatsbürger, die die europäischen Grenzen gegen Zudringlinge sichern wollen. Da Klein in seiner Klang-Video-Installation die Grenzen zwischen Fiktion und Realität bewusst verschleierte, löste er einige Irritationen aus. Es ist ein Verdienst der MaerzMusik, mit seiner neuartigen Programmkonzeption solche interkulturellen Dialoge und Grenzüberschreitungen ermöglicht zu haben.

Albrecht Dümling

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