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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 39
56. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Suche nach spirituellem Sinn
Till Knipper zur 61. Frühjahrstagung in Darmstadt
„
Sinngebungen. Spiritualität und Geistigkeit in Neuer Musik“ war
der Titel und Ausgangspunkt der 61. Frühjahrstagung des Instituts
für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt (11. bis 14.
April). Es gab Vorträge von Wissenschaftlern und Komponisten,
Workshops für Groß und Klein, eine stadtweite Konzertinstallation
und immerhin fünf weitere Konzerte. Nach einführenden
und den Themenumfang definierenden Beiträgen galt es, der
Spiritualität in Neuer Musik mit Blick auf den asiatischen,
arabischen, amerikanischen und europäischen Kulturraum nachzugehen.
In der Tradition der letzten zwei Jahre wurde mit Klaus Huber wieder
ein Komponist eingeladen und dessen Schaffen reflektiert. Eine
solche Fokussierung, die Verbindung theoretischer und pragmatischer
Vorträge und die programmatisch auf die Tagung abgestimmten
Konzerte waren ein gelungenes Konzept – und dennoch: Erst
in der Sektion der Popularmusik wurde der wissenschaftliche Kuschelkurs
mit extremen Positionen durchbrochen und eine belebte Diskussion
entfacht.
Die Eröffnungsrede von Hans Zender war ein geistreicher Einstieg
in die Frage, was unter spiritueller Musik überhaupt zu verstehen
sei. Er zeichnete sie als einen Prototyp geistlicher Musik aus,
jedoch mit dem Unterschied, dass sie unabhängig von den Funktionen
sakraler und kultischer Dienste sei. Allerdings könnten weder
sakrale Funktionen noch religiöse Texte automatisch spirituelle
Musik entstehen lassen. Es sei heute sogar so, dass sakrale Funktion
und spirituelle Wirkung nur noch in Ausnahmefällen in Neuer
Musik zusammenkämen. Ist aber eine sakrale Musik ohne spirituelle
Wirkung nicht gänzlich sinnlos?
Die Bedingungen für sakrale und spirituelle Musik sind für
Zender von widersprüchlichen Bedingungen geprägt: Während
sich ein Gottesbezug in sakraler Musik teleologisch gerichtet,
in einem begrifflichen Denken manifestiere, sei spirituelle Kunst
immer von einer kontemplativen Ruhe, einer Entleerung vom Geist
der Symbolik geprägt. Spirituelle Musik sei eine geistige
Präsenz ohne konkrete Gedanken und Gefühle. Als Gegenpol
zum verbreiteten zielorientierten Leistungsdenken sei sie ein geeigneter „Übungsweg“,
um sich von äußeren Zwängen zu befreien (und hat
darin ihr pragmatisch-kritisches Potenzial).
Insbesondere in Bezug auf schaffens-psychologische Aspekte der
Künstler untersuchte Helga de la Motte-Haber die Frage der
Sinngebungen in Musik in einem geschichtlichen Rückblick.
Seit Beginn der Aufklärung, so de la Motte-Haber, wollten
Künstler sich selbst die Regeln geben, wodurch die vorherigen
Funktionen in der Instrumentalmusik wegfielen. Dieses Vakuum habe
man dann versucht, durch sinnstiftende Außenhalte zu füllen.
Zunächst sei dies vor allem der subjektive Ausdruck als Objektivierung
eigener Gefühle gewesen, sowie die Verwendung von Texten,
Programmen und Titeln. Außenhalte hätten aber auch unmittelbar
religiöse Bezüge, naturreligiöse Vorstellungen,
Zahlenmystik und der Wahrnehmungsvorgang geboten. Gegenwärtig
beobachtet sie insbesondere einen „roll back“ zurück
zur Ausdrucks-
ä
sthetik und den Versuch, die (Musik-)Geschichte selbst zum sinnstiftenden
Außenhalt zu machen.
Leider enthielt sich de la Motte-Haber einer Bewertung dieses „roll-backs“,
denn es wäre ein geeignetes Thema gewesen, um mit Klaus Huber über
seine Musik zu diskutieren. u Schließlich ist seine Musik
voll von geschichtlichen Bezügen, sei es zur Stimmung Vicentinos,
zur Musik Gesualdos oder zu arabischen Musiktheoretikern des Mittelalters.
Gerade die Beschäftigung mit letzteren hat seit den 1990er
Jahren über utopische und spekulative Aspekte hinaus zu einer
Erneuerung der Klanglichkeit von Hubers Musik geführt, wie
Kjell Keller zeigen konnte. Den Komponisten beschäftigte in
den 1970er und 80er Jahren immer wieder die Befreiungstheologie,
welche Max Nyffeler als inkonsistent erklärte und damit für
Diskussionsstoff mit Huber sorgte. Während der Marxismus auf
innerweltliche Dinge ziele, so Nyffeler, sei die Verheißung
von Christus auf eine außerweltliche Erlösung gerichtet.
Bei allem sozialen Engagement habe Jesus nicht die Veränderung
der weltlichen Ordnung gepredigt. Daher gehe beides nicht zusammen.
Entgegen dem unterhaltsam witzigen Überblick eigener geistlicher
Werke von Dieter Schnebel, war der Vortrag von Mark André für
manchen Tagungsbesucher selbst ein Mysterium. Hatte de la Motte-Haber
vielleicht mit ihrer Bemerkung Recht, André habe anhand
fremder Werke eigentlich über sein eigenes Trio ... ALS ...
(2001) gesprochen? Dieses noch am gleichen Abend aufgeführte
Stück war auf alle Fälle ein Highlight innerhalb der
beiden Konzerte des Ensemble Modern. Die abends zu hörenden
Stücke der zahlreichen Komponisten waren in Verbindung mit
den Vorträgen oftmals erhellend. Angesichts des gesellschaftlich
gestiegenen Rechtfertigungsdrucks für Neue Musik scheint die
Suche nach einem Sinn in der Musik größer denn je. Beim
Hören zahlreicher Stücke zeigte sich dann aber auch,
dass die einkomponierte Spiritualität nur den Hörer erreichen
kann, wenn die Musik diesen auch versteht zu berühren, d.h.
weder gleichgültig noch aufdringlich an ihn herantritt. Als
Schnebel einmal gefragt wurde, wie geistliche Musik sein müsse,
antwortete dieser: „Sie muss gut sein!“ So unrecht
hatte er da wohl nicht.