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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 42
56. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Avantgarde mit sozialer Erdung
Forum neuer Musik im Deutschlandfunk
Jeweils für ein Wochenende im März lockt das Forum neuer
Musik die Freun-
de einer sich neu definierenden Avantgarde in den Kammermusiksaal
des Deutschlandfunk. Im Kreis der um Weiterentwicklung und Neuentdeckung
sich mühenden Veranstalter ist das Kölner Festival eine
wichtige Adresse geworden, obwohl die Programme ganz bewusst einen
Bogen machen um Moden, Events und zugkräftige Prominenz. So
auch beim diesjährigen „Focus Balkan“. Eine im
Windschatten des allgemeinen Interesses stehende Komponisten- und
Interpretenszene konfrontierte mit neuen unbekannten Namen und
ungewöhnlichen Konzepten – ein Festivalbericht aus fokussierter
Perspektive.
„That’s our way“, sagt Bákos Árpad, nippt
an seinem Sektglas und lächelt verlegen, so als ob er sich
für irgendetwas entschuldigen wollte. Dort, wo er zu Hause
ist, in der Vojvodina, der erst vor wenigen Jahren wieder autonom
gewordenen serbischen Provinz mit fünf Amtssprachen und einer
noch größeren ethnischen Vielfalt, ist Bákos Árpad
ein bekannter Folklore-Musiker. Er spielt die Koboz, die achtsaitige
mittelalterlich-altungarische Laute, singt dazu alte Lieder, ist
außerdem Spezialist für traditionelle Holzblasinstrumente
wie etwa der aus dem Hirtenmilieu stammenden Kaval. Jetzt, zum
Empfang, steht er am Partytisch im Foyer des Kölner Deutschlandfunk.
In seinen Gesichtszügen die Erleichterung, gerade eben auch
seinen Beitrag geleistet zu haben zu einem fulminanten Eröffnungskonzert
des Forum neuer Musik 2007. Der Fachmann staunt, der Laie wundert
sich: Was macht einer wie Bákos Árpad auf einem Experimentierfeld
der Avantgarde? Ja, sagt der Serbe, und greift noch einmal zum
Sektglas, auch für ihn sei es das erste Mal, dass er so etwas
mache. „Quite unusual.“ Ganz und gar ungewöhnlich
sei das schon gewesen.
Wie wahr. Die mundstücklos geblasene Hirtenflöte Kaval
integriert in ein Programm zeitgenössischer serbischer Kunstmusik.
Ein bis in die Fingerspitzen motiviertes Ensemble European Music
Project, spielend geleitet vom Posaunisten Mike Svoboda, hat soeben
einer Gemeinschaftskomposition von Irena Popovic und Ensemblegründer
Jürgen Grözinger zur Uraufführung verholfen: „Dodole.
Rituals, Songs and Dances from Serbia“.
Mit von der Partie eine Kaval, die mit ihren eigentümlichen
Flöten- und Klarinettenklängen weder exotischen Parfumduft
verbreiten will, noch archaisierende Fill-ins liefert, damit’s
esoterisch klingt. „Dodole“ archaisiert nicht, schließt
aber auch nichts aus, organisiert sein Material auf großer
Bandbreite. Gleiche Rechte wie Pflichten auch für das Alte,
eingestellt in einen zeitgenössischen Ensemble-Kontext: Streicher,
Perkussion, elektronische Vorproduktion, dazu experimentell-improvisatorische
Zwischentöne, halb Klang, halb Geräusch, die Irena Popovic
ihrer Stimme, Mike Svoboda seiner Posaune entlockt und die man
ungern in eines der üblichen Schubfächer stecken möchte.
Ein Erlebnis.
Wie auch der ensembleinterne Dialog Popovic/Árpad. Hier
ein Instrument, das in Zeiten zurückreicht als in Mitteleuropa
die Troubadoure unterwegs waren – dort eine Stimmperformerin,
die in der Theatermusik und im Jazz ebenso zu Hause ist wie in
der neuen Musik. Vorproduzierte Sequenzen aus Kaval und Stimme
live zugespielt, im Konzert individuell verarbeitet, „abhängig“,
so Mit-Komponist und Perkussionist Grözinger, „von der
Stimmung und Situation“. Improvisation als selbstverständlicher
Bestandteil von Komposition. Diese wiederum verstanden als soziale
Interaktion Belgrad-Ulm. Hier wie dort sind die scharfen Trennkanten
verschwunden.
Keine Frage: Zu den faszinierendsten Ergebnissen der Festival-Ausgabe
2007 zählte die hörbar gewordene Begegnung mit einem
spirituellen Serbien und seinem eigenen Weg, Zukunft zu denken:
einerseits Anschluss suchen, andererseits die Wurzeln befragen,
die-se zugleich neuen Bewährungsproben aussetzen. “That’s
our way.”
Selten, dass ein Kompositionsauftrag, weil im Ergebnis übers
tönende Ereignis hinausweisend, von so eminenter Wichtigkeit
war. Relativiert das Bild des veröffentlichen Meinens, das
im Fall Serbien vor allem die Schablone kennt, stets bereit, grobe
Keile auf einen vermeintlich groben Klotz zu setzen. Es war ein
anderes Serbien, das am Kammermusiksaal-Horizont des Deutschlandfunk
auftauchte; eines, das man zwar immer vermutet hat, dem man aber
hierzulande nirgendwo begegnet war, weil es, wie beinahe das gesamte
Südosteuropa mit Ausnahme Ungarns, ausgeblendet wird. Serbien?
Bulgarien? Rumänien? Da winken die Realisten unter den Festivalmachern
gleich ab: ohne Stars, ohne Umfeld, ohne Events ist nichts zu bewegen.
Ist es doch! Wie diese Ausgabe des Forum neuer Musik bewiesen
hat. Natürlich – es ist der Rundfunk, der Freiraum bietet,
den andere an anderen Orten möglicherweise so nicht haben.
Doch es bedarf eben auch eines Kurators, dem die Pflege des Kulturauftrags
süße Pflicht ist, für den Offenheit, Neugierde,
Mut nicht nur Metaphern sind, mit denen man sein Vorwort schmückt,
womit das Selbstverständnis des verantwortlichen Redakteurs
umschrieben wäre: „Gastgeber, Initiator und Produzent“ zu
sein, so definiert Frank Kämpfer seinen Part wie den seines
Arbeitgebers. Was ist zentral fürs Zustandekommen des Neuen,
wenn nicht die Neugierde? Dass der mäandernde Weg der neuen
Musik am Kölner Deutschlandfunk nicht vorbeiführt, ist
sein Verdienst. Ein März-Wochenende, so ist es Usus geworden,
gehört dem Forum neuer Musik. Was Frank Kämpfer vor Jahren
von seinem Vorgänger übernommen hat, trägt mittlerweile
seine Handschrift: Avantgarde mit sozialer Erdung.