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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 8
56. Jahrgang | Mai
www.beckmesser.de
Hören und Sehen
Seit rund einem Jahrzehnt ist die DVD auf dem Markt. Sie hat
die Videokassette verdrängt, ihr Umsatz macht heute rund zehn
Prozent des CD-Umsatzes aus, und mit den neuen Formaten, der
hochauflösenden BluRay-Disc respektive HD-DVD, findet gegenwärtig
ein Technologiesprung in die zehnfache Speicherkapazität
mit entsprechend neuen technisch-ästhetischen Standards
statt.
Aber noch immer meinen manche Musikhörer, es handle sich hier
nur um ein teures Spielzeug, das zu nichts taugt als den abgefilmten
Troubadour oder Figaro auf Wohnzimmerformat zu verkleinern – zum
Schaden von Werk und Aufführung und zum Nachteil des mit Konserven
gefütterten Publikums. Übersehen wird dabei, dass der
Tonbildträger aufgrund der technischen Möglichkeiten
eigene Gesetzmäßigkeiten entwickelt hat.
Es sind Darstellungsformen entstanden, die sich von der bloßen
Abbildfunktion des Fernseh-Pantoffelkinos weit entfernen. Erstaunlich
nur, dass sich die Kritik meist nur oberflächlich mit der
DVD abgibt – es besteht noch immer ein seltsames Misstrauen
gegenüber dem gar nicht mehr so neuen Medium.
Der Industrie ist das indes egal, sie produziert munter drauflos.
Klassik am Bildschirm rentiert offensichtlich. Bei den vom IMZ,
dem Internationalen Musik- und Medienzentrum Wien, stets im Rahmen
der MIDEM in Cannes veranstalteten „Avant Premiere Screenings“ wurden
in diesem Jahr Ausschnitte von über dreihundert neuen Musikfilmen
vorgeführt. Die meisten finden über kurz oder lang den
Weg auf die DVD. Und das ist nur die qualitative Spitze des Eisbergs.
Die Produzenten stammen aus aller Welt, die meisten aus Europa,
wo es dank der öffentlichen Fernsehanstalten mehr Möglichkeiten
als anderswo gibt. Doch es gibt Anzeichen, dass sie sich zurückziehen.
Klassik im Fernsehen bringt eben keine Quote. Die interessanteren
Produktionen stammen denn auch meist von freien Produzenten. Sie
halten sich durch Mischfinanzierung offenbar recht gut über
Wasser, an Geldgebern fehlt es nicht.
Eine neue Dynamik ist eingekehrt. Es gibt Neugründungen und
Zusammenschlüsse, es wird tüchtig gekauft und investiert,
und das alles auf lange Frist. Bereits wird über „Klassik
on demand“ nachgedacht, abrufbar gegen Bezahlung im Internet.
Wer heute den Fuß in die Tür kriegt und ihn nicht einklemmt,
legt den Grundstein zum finanziellen Erfolg von übermorgen.
Das Spektrum der Akteure ist breit und reicht vom neuen Klassik-Hai
bis zum wagemutigen Musikenthusiasten. Der Berliner Impresario
Peter Schwenkow etwa bastelt mit seiner Firma DEAG an einem internationalen
Verbund von Live-Großveranstaltungen, Fernsehübertragungen
und DVD, um das Trio Netrebko/Villazon/Domingo als Nachfolger der
drei Tenöre zu etablieren; die DVD ist für ihn bloß ein
Instrument des Event-Marketings.
Am anderen Ende steht eine Nischenfirma wie die englische Breakthru
Films, die mit einer fantastischen Produktion von „Peter
und der Wolf“ (erhältlich bei Arthaus) neue künstlerische
Wege beschreitet. Dazwischen eine wachsende Zahl von Opernproduktionen
traditionellen Zuschnitts, aber von künstlerisch wie technisch
hoher Qualität, die ein anspruchsvolles Publikum ansprechen
und als Dokumentation wertvolle Dienste leisten.
Aus den diffusen Anfängen vor zehn Jahren ist heute ein ernst
zu nehmendes Medium geworden, das aus dem Klassikmarkt nicht mehr
wegzudenken ist. Bei der anhaltenden Krise der CD darf man spekulieren,
ob vielleicht die mediale Zukunft der Klassik in der Verbindung
von Hören und Se-hen liegt. Was das für die Musikwahrnehmung
bedeutet, ist noch nicht abzusehen.