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2007/05 | Seite 10
56. Jahrgang | Mai
Ferchows Fenstersturz
Zum Phänomen „EMI Saves Culture“
Danke, liebe EMI. Lob an Apple-Chef Steve Jobs. Nachdem ich in
den letzten Jahren sieben „EMI Copy Controlled“-CDs
durch die Windschutzscheibe geschleudert habe – darunter
die großartige „Jane’s Addiction – Stray“ von
2003 – weil mein Auto-CD Spieler „No Disc“ anzeigte,
und aus dem gleichen Grund, und zu Recht, Robbie Williams‘ Album „Rudebox“ aus
dem linken Fenster feuerte, kippt die EMI den einst teuer verprassten
Kopierschutz. Nicht zu vernachlässigen: Die vergeigte Zeit,
die Millionen Musikfans damit verbrachten, Programme zu hacken,
die den EMI-Schutz knacken könnten und damit vier Gigabyte
Speicher auf PCs blockierten, die so vom fixen „Volks-Computer“ zur
lahmen Krücke mutierten. Das alles freilich nicht, um illegale
Kopien zu verhökern, sondern das Recht zu wahren, legal erworbene
Musik überall zu hören. Seitdem krieche ich durch die
Straßengräben und treffe Gleichgesinnte mit derselben
Frage: Soll die Liberalisierung der Musikrechte Kapitulation vor
dem großen Indianer „User“ sein oder Signalwirkung
für alle Kulturbranchen haben? Im ersten Fall heißt
das: Urheberrechte sind ab sofort wertlos. „Prima“,
könnte die Kulturpolizei jubeln. Denn bei Popkünstlern
wie Sido oder Bushido war die Substanzlosigkeit sonnenklar. Was
soll also passieren, wenn sich deren Kulturkapital ungeschützt
fortpflanzt? Unkontrolliertes Gekläffe ist eben Teil der neuen
Musikrichtung „FAIB’N’R“ (Free Artifical
Improvisation But No Roots). Man müsste eher über sozio-genetische
Konsequenzen nachdenken. Quasi als Jugendschutzmaßnahme,
denkt man mal an Exoten wie Volksmusik oder Schlager.
Doch bei aller popkulturellen Wertlosigkeit, liebe Kulturpolizei:
Die Entwertung der einen Seite betrifft auch die Hochkultur. Dinosaurier
der Kultur-Subventionierung werden durch die EMI endgültig
ausgerottet. Weil genauso minderwertig und frei zugänglich:
zeitgenössische Komponisten, Dirigenten, Orchester und Ensembles.
Das freut den Kulturbanausen. Die öffentliche Hand wäre
aus dem Zuschuss-Schneider. Die einst Gefütterten könnten
alternativen Einsatzbereichen zugeführt werden: ab zur kommunalen
Landschaftspflege. Anders ausgedrückt: EMI Kills Culture.
Vielleicht erkenne ich aber im Zustand der einsetzenden Panik wegweisende
volkswirtschaftliche Theorien des EMI-Modells nicht. Klar doch,
die Kopierfreigabe schafft Arbeitsplätze. Kopierportale sprießen
aus dem Netzboden. Finanzieren sich mit Werbeeinnahmen. Suchen
neue Mitarbeiter. Gerne Quereinsteiger der Phonobranche: Erfahrung
unerwünscht, A&Rs bevorzugt. Oder Stichwort „Filmindustrie“.
In den Glaskomplexen werden zur Eintrittskarte Camcorder gereicht.
Das Abfilmen der Neuerscheinungen spart den Weg nach Tschechien
und eliminiert den Tanktourismus. Ich verstehe. Laut EMI muss ich
sogar kopieren. Es ist meine Pflicht. Nur so wird Kultur allen
zugänglich. Ich fühle mich motiviert. Mein Back-Katalog
ist digitalisiert. Günter Grass’ neues Buch gescannt
und online. Meine selbst entworfene Automarke heißt Mercedos
und mein Modelabel nenne ich Alvin Klein. Fragt sich nur, wer der „primus
inter pares“ werden wird. Ich bin bereit. Aber wer rettet
die EMI?