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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 14
56. Jahrgang | Mai
Kulturpolitik
Die Neunte war für London
Das Beethovenfest Bonn und der britische Kulturraum
„Noch immer hege ich den Gedanken, doch noch nach London
zu kommen, wenn es nur meine Gesundheit leidet“, schrieb
Beethoven 1822 aus Wien an seinen ehemaligen Schüler Ferdi-nand
Ries nach London. Der Wunsch des Komponisten erfüllte sich
nicht, nie betrat er britischen Boden. Den Beweis, dass das Thema „Beethoven
und England“ trotzdem zu einem veritablen Musikfest taugt,
möchte in diesem Jahr das Bonner Beethovenfest erbringen.
Unter der Überschrift „Joy“ bietet es zwischen
dem 24. August und dem 23. September an 27 Spielstätten
in der Bundesstadt und der näheren Umgebung mehr als 60
Konzerte.
Das Motto erinnert zunächst vielleicht an einen Gospel-Workshop,
spielt jedoch darauf an, dass sich die Neunte Sinfonie (mit dem „Song
of Joy“ Schillers als Finaltext) einem Impuls von jenseits
des Ärmelkanals verdankt. Denn eben jener Ferdinand Ries,
1822 seit neun Jahren Direktor der Londoner Philharmonic Society,
gab Beethoven den Auftrag.
Da es offenkundige Bezüge zur britischen Insel in Beethovens
Werken nicht allzu viele gibt (etwa die Klavier-Variationen über „God
save the king“, die Bearbeitungen schottischer, irischer
und walisischer Volkslieder für Singstimme und Klaviertrio
oder das Schlachtengemälde „Wellingtons Sieg“),
manifestiert sich der England-Bezug des Beethovenfestes vorwiegend
in der Riege der Musiker, Ensembles und Komponisten.
Zum Eröffnungskonzert am 24. August reist das Philharmonia
Orchestra London unter Sir Andrew Davis an, die Bamberger Symphoniker
unter Jonathan Nott beenden das Beethovenfest am 23. September.
Dazwischen gastieren die Academy of St. Martin in the Fields unter
Sir Neville Marriner, das BBC Philharmonic Orchestra unter Martyn
Brabbins, der Pianist Alfred Brendel (mit Wohnsitz in London) und
sein junger britischer Kollege Paul Lewis. In der „Nacht
der Stimmen“ erfüllen der Choir of King’s College
Cam-bridge und das Hilliard Ensemble zusammen mit Singer pur und
dem Arditti-Quartett Bonner Kirchen mit Musik. Das Spektrum der
britischen Komponisten reicht von Orlando Gibbons bis zu Brian
Ferneyhough, von Gilles Farnaby bis Thomas Adès. Beethoven-Fans
werden mit „Beethoven-Pur“-Programmen (etwa sämtliche
Streichtrios oder fünf Klavierrecitals) bei Laune gehalten,
während die „Visionen – Musik der Zukunft“ der
zeitgenössischen Musik Raum geben. Den 75. Geburtstag Mauricio
Kagels würdigt man mit 3 Konzerten. Darin werden dessen „Trio
Nr. 3 für Violine, Violoncello und Klavier“ (eines von
mehreren Auftragswerken des Beethovenfestes) und „Verborgene
Reime“ für Stimmen und Schlagzeug uraufgeführt.
Ihre Premiere erleben außerdem James Clarkes „Untitled
No. 4“ für Streichquartett und Stimmenquartett, Nigel
Charnocks Performance über den „Brief an die Unsterbliche
Geliebte“, oder Till A. Körbers „Phönix und
Taube – Fuge für Streichquartett und drei Schauspieler“.
Beachtenswert ist zudem die Uraufführung der Oper „Freax“ von
Moritz Eggert, ein Auftragswerk von Theater Bonn und Beethovenfest.
Rund um die bizarren Stars einer Show, etwa siamesische Zwillinge,
Hermaphroditen oder Gummimenschen, entwickelt sich ein „berührendes
Drama“, das zugleich „bissige Satire“ (so Librettistin
Hannah Dübgen) ist. Die Inszenierung übernimmt Christoph
Schlingensief. Realisiert wird das alles mit einem Etat von 3,65
Millionen Euro, von dem die Stadt Bonn 1,2 Millionen übernimmt.
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