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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 11-13
56. Jahrgang | Mai
Kulturpolitik
Warum die Pädagogik oft die zweite Geige spielt
Zur Studie „Musikpädagogik in der Ausbildung an deutschen
Musikhochschulen – Weg oder Irrweg?“
Das Institut für musikpädagogische Forschung der Hochschule
für Musik und Theater Hannover stellte sich die Aufgabe, gültige
Informationen über die Frage nach der Studienmotivation von
Studierenden der Musikerziehung zu erhalten. Die von der Stiftung „100
Jahre Yamaha e.V.“ unterstützte Studie sollte dabei
Material für eine „eventuelle Neuvermessung“ der
Studiengänge Musikerziehung liefern. Die Ergebnisse sind ernüchternd:
So wertig die künstlerische Ausbildung an Musikhochschulen
im internationalen Vergleich auch ausfällt, die pädagogischen
Fächer gelten unter den Studenten nach wie vor als zweitrangig.
nmz-Herausgeber Theo Geißler sprach mit den Initiatoren der
Studie, Hans Bäßler (Musikhochschule Hannover) und Asmus
Hintz (Yamaha).
Theo Geißler: Weshalb engagiert sich ein privater Konzern,
Yamaha, inhaltlich und finanziell bei einer bildungspolitischen
Studie? Das wäre doch eine genuine Aufgabe der Hochschulen
selbst und der sie tragenden öffentlichen Institutionen?
Asmus
Hintz. Foto: Johannes Radsack
Asmus Hintz: Mich hat zunehmend irritiert, dass Studierende an
Musikhochschulen ein sehr geringes Interesse an der Ausgestaltung
ihrer beruflichen Perspektiven zeigten. Von den Professoren wurde
das Interesse an einer entsprechenden Informationsveranstaltung
für ihre Studierenden hoch eingeschätzt, aber die angeblich
stark interessierten „Betroffenen“ nahmen die Möglichkeit,
sich über ihre Berufsaussichten zu informieren, nur in sehr
geringem Umfang wahr. Diese Diskrepanz und die Tatsache, dass es
nach wie vor schwierig ist, für musikpädagogische Tätigkeiten
motivierte und qualifizierte Pädagogen zu finden, bewog mich
dazu, die Einstellung und Grundmotivation derjenigen, die sich
für einen Studiengang mit musikpä-dagogischem Schwerpunkt
entschieden hatten, untersuchen zu lassen.
Geißler: Es erhärtet den alten Vorwurf, dass die Musikhochschulen
immer noch stark Instrumentalisten-lastig ausbilden, dass Pädagogik
allenfalls die zweite Geige spielt …
Hans Bäßler: Man muss differenzieren:
Die Studienanfänger
können sich das pädagogische Ziel kaum vorstellen, obwohl
sie eingeschrieben sind in einen instrumental- oder gesangspä-dagogischen
Studiengang. Sie belassen ihren Ausbildungsweg in einer offenen,
diffusen Haltung. Je älter sie jedoch werden, desto präziser
wird ihre Vorstellung, insbesondere die der 24- bis 26-Jährigen.
Unsere Studie 2006 ist zu einem Zeitpunkt durchgeführt worden,
als immer klarer wurde, dass die Möglichkeiten für Hochschulabgänger,
eine solistische Laufbahn einzuschlagen oder eine Orchesterstelle
zu bekommen, stark abgenommen haben.
Ferner muss man im Hinblick auf die Studie noch folgende Einschränkung
hinsichtlich der Motivation machen: Der häufig geäußerte
Vorwurf, die ausländischen Studierenden hätten eigentlich
kein Interesse an einem pädagogischen Studiengang, hat sich
nicht bestätigt. Ganz im Gegenteil: Diejenigen, die als „Ausländer“ zu
uns gekommen sind, haben von vornherein gewusst, dass dies für
sie ein Aufbaustudiengang ist, der sich auch in der Pädagogik
erfüllen muss. Außerdem gibt es eine leichte, aber durchaus
messbare Tendenz im Hinblick auf den Unterschied zwischen Männern
und Frauen. Männer sehen sich selbst, besonders bis ins Alter
von 24 Jahren, noch stärker in der künstlerischen Praxis
als die Frauen, die ein höheres pädagogisches Bewusstsein
haben.
Geißler: Trotzdem – es bleibt der Verdacht, dass pädagogischer
Eros sich eher in einer Art Versicherungsstudium erschöpft…
Bäßler: Das ist korrekt.
Es ist noch keine ausreichende pädagogische Bewusstheit da und hier gibt
es eine ganze Reihe von Aufgaben für die Hochschulen, um diesem
Problem näher zu kommen. Erst, wenn die Frage: „Wo bleibe
ich nach dem Studium?“ näher rückt, werden die
Themen des Berufsfeldes deutlicher ins Auge gefasst. Wir können
das an drei ganz entscheidenden Aspekten festmachen, die zu einer
modernen Pädagogik gehören. Erstens gibt es eine ganz
geringe Bereitschaft, in den frühkindlichen Bereich zu gehen.
Zweitens gibt es höchst eingeschränktes Interesse, später
mit Senioren musikalisch zusammenzuarbeiten. Drittens ist man nur
ungern bereit, Instrumentalunterricht in Gruppen zu erteilen, insbesondere
auch in einer dringend erforderlichen Kooperation zwischen Schulmusikern
und Instrumentalunterricht.
Hintz: Erstaunlich ist die mangelnde Zielorientierung
der Studierenden auf ihre Berufstätigkeit, bedenklich die
Ablehnung der in Zukunft attraktivsten beruflichen Arbeitsfelder,
der frühkindlichen
Musikalisierung (Kleinstkinderunterricht) und der Musikvermittlung
an Menschen im dritten Lebensabschnitt. Mit diesen Zielgruppen
zu arbeiten, können sich nur sehr wenige der Befragten überhaupt
vorstellen. Das ist wirklich ein Desaster, denn die
se beiden Bereiche sind schon heute zu den bedeutsamsten musikpädagogischen
Betätigungsfeldern in unserer Gesellschaft zu zählen.
Yamaha Music Education als Anbieter von Arbeitsplätzen und
Arbeitsmöglichkeiten im musikpädagogischen Bereich kann
nicht genügend qualifizierte Fachkräfte finden, die Interesse
zeigen, in diesen Sektoren arbeiten zu wollen und die geforderte
Qualifikation mitbringen. Mit großem Aufwand müssen
wir jährlich circa 1.200 Fachkräfte allein in Deutschland
nachqualifizieren, damit sie den Anforderungen an frühkindliche
Musikalisierung, instrumentalen Gruppenunterricht und Musikvermittlung
mit älteren Menschen entsprechen. Ich fordere die bundesdeutschen
Musikhochschulen auf: Bildet musikpädagogische Fachkräfte
aus, die motiviert und kompetent für das Arbeiten in den zuvor
genannten Bereichen sind, denn dort liegt die gesellschaftliche
Notwendigkeit und, ebenso wichtig, die dauerhafte Nachfrage, die
aussichtsreiche berufliche und existenzsichernde Perspektiven bieten
wird.
Geißler: Das sind Aufträge, die schon seit vielen Jahren – offensichtlich
vergeblich – an die Musikhochschulen herangetragen werden…
Hans
Bäßler. Foto: Johannes Radsack
Bäßler: Es gibt ganz
wenige Ausnahmen, die man beobachten kann, zum Beispiel Frankfurt,
wo dieses Bewusstsein
durch Thomas
Rietschels Arbeit sichtlich geschärft wird. Aber: Im Normalfall
spielen diese Fragen im Rahmen der Hochschulausbildung keine oder
eine eingeschränkte Rolle. Wir haben an den vier Hochschulen
nachgefragt, wie es mit dem Interesse für Praktika im musikpädagogischen
Bereich an Schulen steht: Es gibt kaum ein Interesse! Das kann überhaupt
nur dadurch umgekehrt werden, dass die Hochschulen endlich selbst
aktiv werden und nicht erst die Studierenden nach derartigen Angeboten
fragen müssen. Insofern muss man vor dem Hintergrund der Studie
sagen: Die Hochschulausbildung ist als Grundkonzept immer zu wenig
auf das spätere Arbeitsfeld ausgerichtet – das zumindest
gilt für den befragten Kreis der Studierenden und ihrer Hochschulen!
Geißler: Wird die Situation
nicht noch dadurch verschärft,
dass durch „Reformen“ im Rahmen des Bologna-Prozesses
die Studienzeiten dramatisch verkürzt werden, so dass eine
ausgependelte Ausbildung von instrumentaler und pädagogischer
Qualifikation weiter beschnitten und begrenzt wird?
Bäßler: Es gibt tatsächlich
Hochschulen, die die künstlerische und pädagogische Ausbildung
zusammenlegen mit der früher so genannten KA-Ausbildung, die
im wesentlichen für Orchestermusiker und für spätere
Solisten gedacht ist. Andere reduzieren das Ganze auf vier Studienjahre.
Es gibt
aber auch Hochschulen, die hier viel sensibler herangehen und verschiedene
Zugangsweisen anbieten werden, die entweder über einen zunächst
künstlerischen oder einen musikpädagogischen Bachelor
erreicht werden – wobei bereits im künstlerischen Bachelor
pädagogische Anteile einbezogen wurden. Die Hochschule Lübeck
zum Beispiel beabsichtigt, diesen doppelten Weg zu gehen und dann
zusätzlich einen spezifischen Master anzubieten, der sich
gezielt auf den pädagogischen Bereich bezieht. Aber das ist
ein ganz schwieriges Geschäft. Ich fürchte in der Tat
auch, dass eine Schmalspurausbildung stattfinden könnte, wenn
man dem nicht mit intelligenten Lösungen massiv gegensteuert.
„Optimierte“ Studiengänge?
Geißler: Wie beurteilen Sie das, Asmus Hintz, als einer,
der eher den wirtschaftlichen Blick auf das Ganze hat. Es wird
versucht, Studiengänge zu „optimieren“ – sprich:
zu komprimieren, sie dadurch auch preisgünstiger zu machen.
Dabei geht möglicherweise die Tiefe der Qualifikation verloren…
Hintz: Das Ganze vorrangig unter
dem finanziellen Aspekt zu betrachten, hieße,
den Blickwinkel zu sehr einzuschränken. Ob Master-, Bachelor-
oder Diplomstudiengang: Entscheidend ist, welche berufliche Motivation
und fachlichen Kompetenzen die Absolventen aus dem Studium gewinnen.
Auch die bisherigen Studiengangs- und Vermittlungsformen haben
den Absolventen nicht in ausreichendem Maße das notwendige
Rüstzeug für erfolgreiches Arbeiten in der Praxis vermittelt.
Es gibt bei ME-Studierenden enorme Defizite im Bereich der methodischen
Kompetenz. Von instrumentalem Gruppenunterricht zum Beispiel haben
sie in der Regel leider immer noch zu wenig Kenntnis. Auch die
Bereitschaft, sich mit diesem wichtigen Thema befassen zu wollen,
hat das Studium nicht angeregt oder gesteigert. Schulmusiker lernen
während ihrer Ausbildung noch viel zu selten die Methoden
des Klassenmusizierens kennen. Im Bereich der Ausbildung methodischer
Kompetenzen muss angesetzt werden. Wir brauchen Fachkräfte,
die aufgrund langjähriger Übung und bereits während
des Studiums erworbener praktischer Erfahrungen einsatzfähig
sind und nicht erst am Schüler das experimentell erproben,
was sie eigentlich als Kompetenz mitbringen sollten. Das ist nicht
eine Frage des Geldes, sondern vielmehr der Neuorientierung der
Ausbildungsziele. Haben wir das Richtige und Notwendige definiert,
müssen wir dies auch konsequent durchführen. Stimmen
die Ziele und Ergebnisse, ist auch das Geld dafür zu beschaffen.
Die Behauptung, mangelnde Finanzmittel seien vorrangig für
die derzeitigen Schwierigkeiten verantwortlich, ist ein allzu bequemer
Vorwand, sich nicht bewegen zu müssen.
Geißler: Wie, bitte, aus
dieser Not eine Tugend machen?
Hintz: Mehr ausgewiesene Praktiker
müssen
in den Hochschulen lehren; der Schwerpunkt muss auf der Einübung
methodischer Kompetenzen liegen, also mehr auf dem Training von
Fähigkeiten, als darüber zu reden, was möglicherweise
sein könnte – Ermutigung zum Handeln! Dies bedarf einer
umfänglichen Erneuerung des Apparates an Haupt und Gliedern
und wird nicht kurzfristig gelingen. Ein Generations- und Mentalitätswechsel
im Bereich der Führenden und Lehrenden ist unerlässlich.
Sie müssen das Neue und Notwendige, legitimiert auf der Grundlage
eigener Kompetenz, vermitteln und fördern können. Solange
dies nicht geschieht, müssen andere Bildungsträger die
Defizite ausgleichen. Aber auf Dauer ist es nicht hinnehmbar, dass
die Absolventen erst durch das dem Studium nachgeschaltete Feintuning „verwendungsfähig“ werden.
Geißler: Eine gesellschaftspolitische Aufgabe, Hans Bäßler…
Bäßler: Der Musikpädagoge muss ebenso über
sehr hohe Qualifikationen im Bereich der Vermittlung von Musik
verfügen wie derjenige, der in einem Orchester Höchstleistung
bringt. Bisher hatten wir das Prinzip: Wer auf seinem Instrument
fantastisch ist, der kann automatisch etwas weitergeben. Dieser
Irrglaube muss aufhören.
Geißler: Ein langer Weg.
Bäßler: Richtig, aber
einer, bei dem ich nicht ganz mutlos bin, denn es ist ja nur eine überschaubare
Gruppe von Menschen, die davon überzeugt werden muss, soweit
sie es nicht längst schon ist: Die Rektorinnen und Rektoren
der deutschen Musikhochschulen. Davon haben wir 23 in Deutschland.
Und dann kommen
noch einige Konservatorien hinzu. Ich bin der festen Überzeugung:
Wir könnten es jetzt noch hinbekommen, in die Speichen des
laufenden Rades Bachelor/Master einzugreifen, indem wir vom späteren
Berufsfeld der Musikpädagogik her denken und die entsprechenden
Studienpläne entwerfen. Dazu gibt es nach meinen Beobachtungen
einige Bereitschaft in den Hochschulen. Diese Bereitschaft müsste
erhöht werden, indem Gespräche mit der Konferenz der
Rektoren geführt werden, und ich hoffe, dass die Rektoren
innerhalb ihrer Häuser das umsetzen können, was sie an
Einsicht signalisieren.
Geißler: Ist das Ganze nicht nach wie vor
ein Imageproblem und damit eben ein gesellschaftliches? Der Solist
genießt
möglicherweise ein höheres Ansehen als der möglicherweise
derzeit viel wichtigere Pädagoge…
Bäßler: Das hängt damit zusammen,
dass wir eine Bewusstseinspyramide haben: Wer es als Solist, so
die selten ausgesprochene,
aber immer wieder gelebte Denkweise, nicht geschafft hat, kann
doch wenigstens im Orchester spielen. Wer keine Perspektive im
Orchester hat, der kann doch wenigstens Instrumentalunterricht
erteilen. Wer aber keinen Instrumentalunterricht erteilen kann,
dem bleibt wenigstens die Schule. Solch eine Hierarchie haben wir.
Vergessen wird: Hochschulen haben aber die Aufgabe der Spitzenförderung
einerseits und der Breitenförderung andererseits. Und die
Breitenförderung verlangt eine ganz andere Kompetenz als die
eines Instrumentalsolisten. Und diese doppelte Aufgabe der Hochschulen
einer Ausbildung für die Breitenarbeit und für die Spitzenarbeit
wird nicht überall wirklich umgesetzt.
Hintz: Damit wir uns weiterhin an vielen schönen Konzerten
erfreuen können, müssen wir den Pädagogen und Musikern
das „Dienen“ populär machen. Jemandem zu dienen,
ist derzeit nicht wirklich akzeptiert. Dennoch: „Dienen“ ist
die edelste aller Tätigkeiten. Ich spreche gern, auch wenn
viele das nur widerwillig zur Kenntnis nehmen wollen, von musikpädagogischer
Dienstleistung. Derjenige, der einen Dienst erbringen kann im Bereich
Musikpädagogik, muss hochqualifiziert sein, muss in der Lage
sein, die Wünsche und Ziele seiner Schüler, Klienten
oder Kunden, wie auch immer man sie nennen mag, zu erkennen und
seine Kompetenz einzubringen, die Verwirklichung der Ziele mit
angemessenem Einsatz der notwendigen Ressourcen zu ermöglichen.
Dienen heißt in diesem Zusammenhang auch, den „Auftraggeber“ wichtiger
zu nehmen als sich selbst.
Geißler: Um noch ein Ergebnis
dieser Studie in Erinnerung zu rufen: Zu dieser Form hochqualifizierten
Dienens scheinen Frauen
eher bereit zu sein als Männer …
Bäßler: Ich glaube, dass Frauen sehr viel realistischer
sind und dass dieses Selbstverwirklichen im Umsetzen von Realistischem
stattfindet, also kurz gesagt: Frauen erkennen wesentlich stärker
eine pädagogische Perspektive für sich, wenn sie diese
Studienrichtung eingeschlagen haben. Männern muss man „ins
Gebetbuch schreiben“, dass sich Karriere nicht auf der Basis
einer Instrumental-Höchstleistung definiert, sondern in der
Frage, ob ich eigentlich
im Stande bin, meinem späteren Arbeitsgebiet gerecht zu werden.
Diese Differenz zwischen männlichen und weiblichen Studierenden
muss überwunden werden, indem „Mann“ hier von
den Frauen lernt.
Vom Gewinn aus der Studie
Geißler: Was wird getan, um die Erkenntnisse
dieser Studie zügig in die Praxis umzusetzen?
Hintz: Wir schaffen Öffentlichkeit für diese Problematiken
und erzeugen Handlungsdruck, unter anderem zum Beispiel dank dieses
Gesprächs…
Bäßler: Es kommt in
der Umsetzung der Einsichten, die man aus dieser Studie gewinnen
kann, ganz wesentlich
darauf an,
in den Hochschulen Wege für eine sehr viel größere
Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Studiengängen
zu entwickeln. Diese Frage ergibt sich automatisch aus der Struktur
von Bachelor und Master, denn bestimmte Module wiederholen sich
und müssten damit gegenseitig anerkannt werden. Durchlässigkeit
heißt, dass man pädagogische Studiengänge nicht
von Anfang an festlegt auf eine bestimmte Klientel, zum Beispiel
auf die Schulmusik. Sondern dass man sagt: „Was du später
machen wirst, entscheidest du nach dem Bachelor. Du bekommst eine
breite grundlegende und an der Praxis orientierte Ausbildung, die
in den Bereich des Musikvermittelns geht, die sich dann im Masterstudiengang
präzisiert.“ Und diese Umsetzungsprozesse müssen
wir an allen Hochschulen implementieren. Ferner brauchen wir den
Druck der musikpädagogischen
Verbände, die sich ganz dringend dafür einsetzen müssen,
dass möglichst viele gut ausgebildete Musikvermittler in die
Praxis gehen.
Geißler: Nun hat sich die Konferenz der Musikhochschulrektoren
in den letzten Jahrzehnten als besonders innovationsresistente
und entscheidungsschwache Institution erwiesen …
Bäßler: Ich glaube, dass sich diese
Veränderungen
durch den Generationswechsel, der in den letzten fünf Jahren
stattgefunden hat, in den Hochschulen durchsetzen können.
Die Frage also lautet: Inwieweit spürt der einzelne Hochschullehrer,
der einzelne Rektor in seinem ganz konkreten Ausbildungsfeld, dass
es so, wie es im Moment ist, nicht mehr weitergehen kann. In dem
Moment, wo er erlebt, dass seine eigenen Kinder ohne Musikunterricht
groß werden, dass eine Unzahl von Schülerinnen und Schülern
vor den Toren der Musikschulen stehen, denen ein bezahlbarer Unterricht
verweigert wird, in dem Moment, wo dies für ihn sicht- und
fühlbar wird, wird sich dieser Wandel vollziehen. Also, die
ersten Gespräche, die wir als Präsidium des Deutschen
Musikrats mit dem jetzigen Sprecher der Rektoren, Prof. Martin
Pfeffer, hatten, hat für mich durchaus Hoffnung signalisiert.
Hintz: Das beunruhigt mich, wenn das tatsächlich die einzige
Perspektive wäre, dass erst dann wenn der Rektor einer Hochschule
sich persönlich betroffen fühlt, er die Notwendigkeit
sieht auch etwas zu verändern. Im Klartext: jedes Jahr verlassen
Tausende junger Menschen als Absolventen unsere Musikhochschulen.
Was machen sie hinterher mit diesem Spezialwissen? Gehen sie von
der Hochschule direkt in die Arbeitslosigkeit oder machen sie etwas
ganz anderes? Das sind ja enor-me Verluste an Motivation, an Geld,
an Wissen: ein Verlust für die Gesellschaft. Wir haben ganz
klar definierte Bedarfe im Markt der Musikpädagogik, und dafür
muss ausgebildet werden. Das ist eine Aufgabe, die Hochschulen,
die mit Steuermitteln finanziert werden, zu leisten haben.
Geißler: Wäre es sinnvoll, außerhalb der offensichtlich
schwerfälligen Institution Musikhochschule in den Bereichen
mit den schlimmsten Defiziten, sprich elementare Musikpädagogik
und auch Seniorenarbeit mit Musik, privates Coaching zu installieren?
Hintz: In meiner mehr als dreißigjährigen Verantwortung
für Yamaha
Music Education habe ich vorrangig genau das gemacht: Tausende
von Absolventen musikpädagogischer Studiengänge fortgebildet,
weil die schwerfälligen Institutionen sich nicht innovativ
bewegt haben. Das Thema instrumentaler Gruppenunterricht bearbeite
ich als einer der Vorreiter seit mehr als drei Jahrzehnten. Obwohl
es zunehmend wichtiger wird, bewegt sich an den Hochschulen diesbezüglich
zu wenig. Solange diese nicht als Innovatoren proaktiv die Bedürfnisse
erkennend agieren, sondern sich als „Konservatoren“ verstehen,
ist das Engagement privater Initiativen unerlässlich. Warum
kommen von den Hochschulen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, so
wenige oder keine Impulse für den enorm wichtigen Bildungsbaustein
frühkindliche Musikalisierung, keine Impulse für den
instrumentalen Gruppenunterricht und für die musikalische
Breitenbildung, keine Impulse für Musikvermittlung an Menschen
im dritten Lebensabschnitt? Hier haben Verbände und private
Träger, unter diesen vor allem Yamaha Music Education, traditionell
die Vorreiterrolle eingenommen. Ich erwarte von den Hochschulen,
dass diese sich auch zu Zentren der musikpädagogischen Forschung
und Innovation entwickeln und ihre künftige Exzellenz im
Bereich der Musikvermittlung Weltgeltung erlangen möge. Unter
anderem deshalb habe ich mit der Stiftung „100
Jahre Yamaha“ zusammen mit dem Deutschen Musikrat dafür
gesorgt, dass der Preis „Inventio“ für die Entwicklung
musikpädagogischer Innovationen geschaffen wird. Der „Inventio“ hat – jetzt
im vierten Jahr seines Bestehens – beachtliche Projekte wie „Jedem
Kind ein Instrument“ in einem frühen Stadium ausgezeichnet
und damit auch Wege zu dessen Verbreitung bereitet. Künftig
erwarte ich, dass im Bereich der musikpädagogischen Dienstleistung
uns hochqualifizierte und einsatzfähige Praktiker von den
Hochschulen „geliefert“ werden, wie das auch im Gesundheitswesen
oder in der Industrie als selbstverständlich angesehen wird.
Geißler: Hoffnung, dass dies
funktioniert, Hans Bäßler?
Bäßler: Es ist eine
riesige Überzeugungsarbeit,
die man leisten muss. Und die man aus meiner Sicht in diesem konkreten
Fall nicht über die politische Schiene wird umsetzen können,
weil die Hochschulen sich auf ihre Autonomie berufen werden, wenn
sie unter Druck gesetzt werden sollen. Es bleibt also nur die ständige
Sensibilisierung kraft sinnvoller Argumente als „Brechstange“.
Wenn es jetzt um kurzfristige Lösungen geht, dann müssen
wir nachdenken, ob nicht beispielsweise über Bundesakademien,
Landesakademien et cetera Zusatzangebote im Rahmen der Fortbildung
generiert werden. Auch das erzeugt Druck …
Die Hochschulausbildung leidet ganz wesentlich darunter, dass man
das Lifelong-learning-Prinzip nur ganz begrenzt implantiert und
den Studierenden immer noch vermittelt: „Wenn du dein Examen
machst, dann kannst du bis zu deinem 65. Lebensjahr beruhigt unterrichten.“ Das
ist natürlich gerade nicht der Fall. In dem Moment, wo ich
aus der Hochschule rauskomme, beginnt
erst meine eigentliche Ausbildung, die in der Konfrontation mit
der konkreten Praxis wächst und damit eine ganz andere Qualität
und Bedeutung für den Einzelnen bekommt. Dieses Bewusstsein
aber sollte schon zu Beginn des Studiums vermittelt werden. Dann
entstünde mehr Offenheit für neue Inhalte und neue Lernstrategien!