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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 3
56. Jahrgang | Mai
Magazin
Politischer Wille und die schönen Künste
Europäische Ensemble-Akademie on Tour · Ein Werkstattbericht
von Georg Beck
Eine Slowenin mit rotem Schopf, die in Dresden studiert, ein
Portugiese mit verschmitztem Lächeln und Wohnsitz in Essen, ein gedankenvoller
Norddeutscher aus einem Hamburger Pfarrhaus. Drei junge Komponisten
als Teil eines Projekts des Deutschen Musikrats. EU-Jubliäum
und deutsche EU-Ratspräsidentschaft machen es möglich.
Ein eventistisches Konzertereignis mit Neuer Musik, Jazz, Rock,
Pop in eigens kreierten Ensembles tourt durch die europäischen
Metropolen. Was machen junge Komponisten, wenn sie bei einer Europäischen
Ensemble-Akademie mitmachen? Eindrücke, Beobachtungen, Einschätzungen.
Portugal? – Für Luís Antunes Pena ist es die
Erinnerung an das Dorf seiner Großeltern nahe der spanischen
Grenze. Regelmäßig hat er seine Schulferien dort verbracht,
wo er eine „Landschaft von wunderbaren riesigen Granitsteinen“ für
sich entdeckte.
Eine Erfahrung, die er jetzt für die Europäische Ensemble-Akademie
in eine Klanglandschaft übersetzt hat. „Musik in Granit – Sechs
Augenblicke einer Landschaft“ beschreibt nicht, wie diese
Granit-Landschaft nahe dem großelterlichen Dorf aussieht,
schon gar nicht, was daran „typisch portugiesisch“ ist,
sondern erzählt assoziationsreich von der Begegnung des Enkels
mit dem härtesten unter den Steinen: am Anfang ein Schlag.
Ein Hammer, der niedersaust? Ein Brocken, der sich gelöst
hat? In jedem Fall ein Auslöser. Triller, Repetitionstöne
wandern durchs Orchester.
Das Material zerbröselt, rieselt endlich sogar in konkreter
Gestalt auf eine Trommel. Das Gefüge definierter Tonhöhen
und Klangfarben in dieser fein austarierten Arbeit be- und angereichert
durch organisiertes Geräusch. Dass der junge portugiesische
Komponist schließlich noch ein Zitat des von ihm hochgeschätzten
Landsmanns, des Barock-Komponisten Manuel Cardoso einwebt, muss
man gesagt bekommen. Hörbar ist es nicht, zumindest nicht
für Uneingeweihte. Auch Cardoso, erzählt Pena, während
wir seinen schwarzen Kaffee trinken, habe mit verschwiegenen Anspielungen
gearbeitet und habe dazu dieses Faible für übermäßige
Intervalle gehabt. Hochspannung bereits im Seicento. Wie auch nicht?
Bonn, 6. Dezember 2006
Kleine Schokoladennikoläuse zieren den Tisch. Doch ist es
nicht Knecht Ruprecht, der an diesem Tag erwartet wird. Im Haus
des Deutschen Musikrats in der Weberstraße haben sich drei
Nachwuchskomponisten angesagt. Das Gespräch, das geführt
werden soll, ist Bestandteil eines Kompositionsauftrags.
Wich
jeder folkloristischen Sackgasse aus: die Komponistin Nana
Forte.
Es gilt, ein neues Werk für Ensemble von längstens acht
Minuten Dauer zu schreiben, sich darin auseinanderzusetzen mit „nationalen
Traditionen einerseits, mit anderen musikalischen Genres, das heißt
mit Jazz- und Popmusik andererseits“. Eine Vorgabe, die andeutet,
wohin die Reise gehen soll. Tatsächlich ist es die große
Politik, die in diesem Fall der Kunst Pate steht: „Aus Anlass
der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands und des 50. Jahrestages
der Römischen Verträge initiiert der Deutsche Musikrat
eine Europäische Ensemble-Akademie.“ Der quasi-diplomatische
Tonfall in der Pressemeldung des Veranstalters könnte dabei
glatt auf die falsche Fährte führen: Europa hat Geburtstag – Nachwuchstonsetzer
aus drei europäischen Ländern komponieren ein Ständchen.
Spaß beiseite. Sich mit Nana Forte, Johannes Motschmann und
Luís Antunes Pena zu unterhalten, ihre Arbeiten auf Intention,
Durchführung, Hintergründe zu befragen, führt entschieden
auf anderes. Die slowenisch-deutsch-portugiesische „Konstellation“,
so Dieter Rexroth im Vorwort zum Programmheft, mag „politisch
motiviert“ sein – Portugal und Slowenien stellen die
künftigen EU-Ratspräsidenten –, und der „Beauftragte
der Bundesregierung für Kultur und Medien“ mag im Namen
der hauptfinanzierenden Bundeskulturstiftung das Projekt als Beleg
für den „internationalen Kulturtransfer“ werten – wie
aber „nationale Traditionen“ in Kunst transferiert
werden können, ist damit nun einmal noch längst nicht
ausgemacht.
Der Fingerzeig liegt im subjektiven Zugang, in der subjektiven
Aneignung, ohne die es eine ästhetische Gültigkeit schwerlich
geben kann. Dass die jungen Komponisten der Europäischen Ensemble-Akademie
diese geheime Dialektik gespürt und gesehen haben, war mitentscheidend
für glückliche kompositorische Ergebnisse und damit für
den Erfolg – zumindest, was den Part der Neuen Musik angeht.
Wesseling, im März
Noch übt getrennt, was im Rahmen einer zehntätigen Akademiephase
zusammenwachsen soll. Hier die Jazzer, einen Flur weiter, hinter
der Glaswand die zeitgenössische Musik, im Keller die Münchner
Klassik-Hip-Hopper Eins-hoch6, eine Fado-Band aus Lissabon und
draußen, dort, wo der Park des weitläufigen Schlosses
Eichholz eigentlich schon zu Ende ist, in einem Pavillon die Gruppe
Wet Bed, Hard Rock aus Slowenien.
Manfred
Schoof mit den Jazzmusikern. Alle Fotos: Johannes Radsack
Doch solche praktische Trennung der Sphären soll, so die Projektidee,
im ensemble 07, bestehend aus Akteuren aller Stile, schlussendlich überwunden
sein. Musikalische Grenzüberschreitungen ausdrücklich
erwünscht. Die Kernbrennstäbe für den Fusionsreaktor
liefert ein älteres, für diese Zwecke umarrangiertes
Orchesterstück von Moritz Eggert: Anna who was mad.
„Pridite, dajte.“
Gezischte Laute als Teil einer atmosphärischen Geräuschmusik. Die Instrumentalisten
von ensemble perspektiv unter Leitung von Sian Edwards, das sich auf Schloss
Eichholz wie ensemble 07, wie das Jazz-Orchester überhaupt erst konstituiert
hat, sind auch Vokalisten. Im Fall der slowenischen Komponistin Nana Forte und
ihres Akademie-Beitrages Pritrkavanje, zu Deutsch: Glockenschlagen, ist die geforderte
Bezugnahme auf „nationale Traditionen“ vielleicht am sinnfälligsten
eingelöst. Und doch ist faszinierend, mit welcher Souveränität
es der jungen Komponistin aus Ljubljana gelingt, der folkloristischen Sackgasse
auszuweichen.
So eindeutig die Bezugnahme auf eine lange Tradition slowenischer Volkskunst
ist, Forte übersetzt diese konsequent in die Grammatik wie ins Instrumentarium
neuer zeitgenössischer Ensemblemusik. Mit anderen Worten: die Glocken schlagen,
ohne sie zu schlagen, sie zugleich, so alter slowenischer Sprachgebrauch, zum
Singen bringen. Ein Kunststück, das Fortes Arbeit vollbringt. Und noch etwas
anderes überrascht: Ausgerechnet die Komponistin, der Youngster unter den
Dreien, sorgt in entschiedenster Weise für dynamisches Gefälle. „Pridite,
dajte.“ „Kommt, gebt.“
Dortmund, Konzerthaus
Eben ist der letzte Jazzakkord ver-klungen, da wird Bandleader
Manfred Schoof überraschend
grundsätzlich. „Musik“, ruft er den herausdrängenden Schülern
zu, „Musik ist das Größte, was wir Menschen geschaffen haben.
Musik ist Frieden.“ Dass ausgerechnet ein Jazztrompeter ins pädagogische
Schubfach greift, hatte atmosphärische Gründe. Rascheln, Tuscheln,
Scharren. Alle Mahnungen des Ensembleleiters zu mehr Ruhe, die Hinweise Schoofs
auf bevorstehende subtile Klangereignisse in den dargebotenen Arrangements, wunderbar
auf den Punkt gebracht vom European Mouvement Jazz Orchestra, verhallten im Nirgendwo.
Jubel erst, als Einshoch6 zu Turnübungen aufforderte und Wet Bed die Frisuren
durchfönte. Ratlosigkeit hingegen auf den Gesichtern der Kevins, Svens,
Marielles und Franziskas bei den reflektierten Klängen. Achthundert Dortmunder
Schüler, angeworben übers städtische Schulamt, als hibbeliges
Testauditorium bei der öffentlichen Generalprobe der Europäischen Ensemble-Akademie.
Und doch. Angesichts einer Dreistunden-Tour de Force quer durch den Vorgarten
von Neuer Musik, Jazz, Rock und Pop, inklusive hochexperimenteller Stilmischungen,
hätte jedes Publikum seine Auszeiten genommen.
Berlin, Konzerthaus
Eine Geigenmelodie, die in einem Quintraum Pirouetten dreht, ihre
Weise erst
der Flöte, dann der Klarinette anvertraut, bevor sich das Blech mit einem
neuen Thema meldet, ohne dass das eine wie das andere eine Entwicklung auslöste. „Vielmehr
geht es darum, aus den immer gleichen Intervallkonstellationen stets neue musikalische
Momente zu generieren.“ Eine Musizierhaltung wird besichtigt. Eine Serenadenmusik
entsteht, der Beitrag des jungen norddeutschen Komponisten Johannes Motschmann.
Für ihn, so erzählt er, sei es besonders schwierig, sich im Sinne der
Auftragsidee, „mit dem Komponieren innerhalb nationaler Traditionen“ auseinanderzusetzen.
Um so schöner die Lösung, die er gefunden hat. Seine „Serenata“ ist
der Versuch, über den Schatten zu springen, der deutsch-protestantischen
Traditions-Schwere dadurch auszuweichen, indem er eine Parallel-Welt aufruft.
Es geht um ein neues Kleid für die ältere Form der Gesellschaftsmusik,
die die Tafel erfreut, die die Abend- und Nachtunterhaltung speist, aber auch
als Huldigung, als Ständchen auftreten kann, womit zum Schluss doch noch
ein feines Augenzwinkern in Richtung auf die politische Veranlassung eines experimentierfreudigen
Projekts durchscheint.
Etwas Leichtes schreiben – nicht im gängigen Pop-Idiom, vielmehr mit
den Mitteln der Kunstmusik. Das Leichte, das so schwer zu machen ist. Grenzüberschreitung
der unspektakulären Art, so dass sie am Ende noch dort angetroffen würde,
wo niemand sie erwartet hätte.