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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 42
56. Jahrgang | Mai
Portrait
Normale Instrumente sind nicht ihre Sache
Porträt der norwegischen Sängerin Hanne Hukkelberg
Die Szene ist grotesk. Da fährt eine Norwegerin 24 Monate
mit dem Fahrrad durch Oslo und nimmt so ziemlich jedes Geräusch
auf, das ihr vor den Gesundheitslenker fällt. Doch es kommt
noch schlimmer. Hanne Hukkelberg, besagte Norwegerin, nimmt diese
Fundstücke und bastelt daraus
Musik. Auf dem ersten Album „Little Things“ derart
genial wie widerspenstig, dass die „Sunday Times“ das
Album zu den zehn wichtigsten im Jahr 2005 zählt. Und Kritiker
seitdem scheitern, die Musik greifbar zu machen.
Hanne
Hukkelberg. Foto:Nettwerk
Wie auch? Nimmt man Hanne Hukkelberg’s neues Album „Rykestrasse
68“, stellt man fest, dass Musik, die aus Geräuschen
oder Stille besteht, und ab und an vom Kratzen einer Büroklammer
auf Stanniolpapier touchiert wird, kaum einzuorden ist. Dazu der
Gesang. Mystisch, hoch und crisp. Sicher in Jazzphrasierungen,
doch stets das Gegenteil von dem tuend, was das gemeine Ohr so
erwarten würde. Echten musikalischen Beistand holt sie sich
selten. Und dann von nordischen Klanggenossen wie den wahnsinnigen
Jaga Jazzist.
Die erste legitime Frage lautet somit: Warum hört man sich
das an, wenn nichts passiert? Die Antwort ist schwer. Weil man
sich wieder eine Umschreibung von „passieren“ zu Recht
legen muss. Weil man wieder mal auf seine musikalische Gefühlswelt
horchen sollte und was in einem selbst vorgeht beim Musikhören
statt Konsumieren. Bei Hanne Hukkelberg ergibt sich eine seltsame
Kreuzung. Hört man „Rykestrasse 68“ in Abgeschiedenheit,
entfesseln die Lieder eine aufgekratzte Stimmung. Lässt man
das Album in größter Abgelenktheit laufen, sedimentiert
sich eine sympathische Ruhe. Wirr? „Sicher nicht“,
schmunzelt Hanne Hukkelberg. „Ich war schon immer an solchen
Auswirkungen meiner Musik interessiert. Deshalb verwende ich so
untypische Instrumente. Das provoziert Emotionen, die in alle Richtungen
strömen, manchmal auch gegensätzlich werden“.
Hanne Hukkelberg weiß also genau, was sie da macht. Sollte
fast so sein, denn ihre Klangregionen scheinen einer strengen Planung
zu unterliegen. Denn Songwriting geht mangels Band und Instrumente
kaum. Zudem gibt es keine „Strophe/Refrain“-Scha-blone. „Zunächst
bewege ich mich im Dunstkreis meiner musikalischen Identität“,
erklärt sie. „Die lautet, dass es keine Regeln gibt.
Wenn ich beginne zu schreiben, sitze ich am Piano und drücke
meinen Finger auf eine Taste und warte was passiert. Wenn ein Akkord
dazu kommt, der schräg klingt oder nicht in den Takt passt,
ist mir das egal. Man muss seinem Spürsinn folgen. Und wenn
der zur Songidee passt, verfolge ich den Gedanken weiter. Ein guter
Song kann es nur werden, wenn man zu Beginn nicht weiß, was
herauskommt“. Das sind die Parameter, die Hanne Hukkelberg
justiert. Und nebenbei entwickelt sich ein cineastischer Effekt.
Jedem Geräusch sein Bild, jedem Song sein Film. Eben weil
man eine Schreibmaschine hört. Und los spinnt. Wo könnte
die stehen, wer könnte sie bedienen? „Geplant war dieser
visuelle Effekt nicht“, erinnert sich Hanne Hukkelberg. „Als
ich meine Solokarriere begann, hatte ich keine Ahnung, wohin sich
das entwickeln würde. Erst langsam entstand eine Theorie.
Ich kann das nicht verlässlich erklären, weil ich mich
selbst immer wieder überraschen lasse“. Bei Hanne Hukkelberg
sieht man sich also mit Musik in einer Kunstform konfrontiert.
Die menschelt und nie abhebt, um elitäre Kreise zu ziehen.
Nicht zuletzt die Zusammenstellung einer Liveband zeugt davon.
Denn die Geräuschkulissen der Songs aufzuführen, kann
nur ein Erlebnis sein. „Um ehrlich zu sein“, lacht
Hanne Hukkelberg, „es war beim ersten Album schwierig die
Songs live zu spielen. Deshalb muss ich zugeben, dass der Livefaktor
bei den neuen Songs im Hintergrund verankert war. Es ist eine Herausforderung,
aber man gewöhnt sich daran“.
Hanne Hukkelberg zeigt sich als Geheimnis. Das man aushorchen
kann. Ihre charmant-schrägen Songs innerhalb einer paradoxen Klangkathedrale
haben Flair und Vision. Schnell lernt man die daneben liegenden
Töne lieben, findet die Romanzen der Songs und freut sich über
so viel Unangepasstheit und Ruhe. Ja, Ruhe. Denn nicht selten muss
man warten, bis die Songs beginnen oder der dritte Song eine Verbindung
zum siebten schafft. Nordisch kühl ist das nur auf dem Eisberg.
Darunter prickelt eine fast rastlose Seele.
Schublade: Lässt man iTunes nach Hanne Hukkelberg (28, Trägerin
des norwegischen Grammy Preises) suchen, erfährt man von zwei
Alben und vier Genres: Alternative, Pop, Jazz und Electronic. Noch
nie lag iTunes so daneben. Denn Hanne Hukkelberg ist ungreifbar.
Vereint Versatzstücke der erwähnten Genres, aber die
unzweifelhaft großartigen Auswirkungen bleiben unbeschrieben.
Denn Hanne Hukkelberg ist orchestral, cineastisch, rau, charmant,
diagonal
und kursiv. Hat Blues in der Stimme, covert einzigartig den Pixies-Klassiker „Break
My Body“ oder klingt nach tropfendem Wasserhahn. Und doch
irgendwie, scheint das alles elektronisch zu sein.