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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 37
56. Jahrgang | Mai
Bücher
Das neue Musikleben abseits des Plattenladens
Eine Essaysammlung zum virtuellen Musik(er-)leben
Ayers, Michael D.: Cybersounds – Essays On Virtual Music
Culture, Peter Lang Verlag, New York 2006, 282 S., € 29,40,
ISBN 0-8204-7861-X,
Das Internet hat die Welt der Popmusik zerstört. So ist es
doch, nicht wahr? Jedenfalls wenn man der Plattenindustrie beim
konstanten Vortrag im Jammerton Glauben schenkt. Illegale Downloads,
ob von Plattformen wie Napster oder direkt vom Rechner unbekannter
Filesharing-Gleichgesinnter, haben das Geschäft mit den kostbaren
Tondokumenten kaputt gemacht, so der herzerweichende Tenor. Aber
ist der Umsatzeinbruch der Majorlabels der einzige Effekt, den
das Kommunikationszeitalter auf die Rezeption von Musik hatte?
Der amerikanische Soziologe Michael D. Ayers ist als Herausgeber
der englischsprachigen Essaysammlung „Cybersounds“ dieser
Frage nachgegangen. Ayers und seine Autoren haben dabei das Thema
Musik im Internet, also im Cyberspace, von verschiedenen Seiten
betrachtet. Dazu hat man die Zusammensetzung und das Verhalten
verschiedener musik-affiner Gruppen, die sich in Web-Foren zusammengeschlossen
haben, nachgezeichnet. Als Beispiele werden die Fangemeinde der
englischen Band New Model Army und zwei Hip-Hop-Communities aus
den USA und Südafrika untersucht. Was bewegt diese zusammengeschweißten
Fangemeinden, sind sie pubertäre jugendliche Götzenanbeter
auf Sinnsuche oder handelt es sich bei ihnen um Musikfanatiker,
die in den Internet-Foren musikalischen Inhalten auf der Spur sind,
welche ihnen die Industrie nicht bieten kann oder will? Wer bewegt
sich in der halblegalen Welt des „Filesharing“, wo
man es vorzieht, Musik herunterzuladen, ohne dafür zu bezahlen?
Die Autoren kommen hier teilweise zu überraschenden Ergebnissen
und machen den Leser auch mit Gruppen wie den „Bootleggern“ bekannt,
die in virtuellen Tauschbörsen selbst gemachte Live-Aufnahmen
von Konzerten anbieten, ohne dabei kommerziellen Erfolg anzustreben.
Im Vordergrund steht der „not for profit“-Dienst an
einer Gemeinschaft, die keineswegs willenlose Konsumherde sein
möchte, sondern ihr Musikleben eigenständig gestalten
will.
„Cybersounds“ ist trotz des musikalischen Themenbezugs kein
Musikbuch. Es handelt sich bei den sprachlich manchmal nicht ganz
einfachen Texten um soziologische Betrachtungen aktueller Musikkultur,
die sich vor allem mit den Menschen und deren Motivationen befassen.
Dabei untersuchen die Autoren auch die Veränderungen im so
explosionsartig gewachsenen Medium Internet. Dessen Entwicklungsphase
als Massenmedium dauert mittlerweile mehr als eine Dekade an und
das Erscheinungsbild des Cyberspace ist zuletzt durch Trends wie
Podcasting und Selbstdarstellungsplattformen wie „myspace“ stark
verändert worden. Gerade diese interaktiven Möglichkeiten,
ergänzt durch Audioproduktionssoftwares für den Privatgebrauch,
die den immer zahlreicher werdenden PC-Amateurmusikern die Teilnahme
am virtuellen Musikleben erlauben, werden in dem Buch kritisch
untersucht. Dabei kommt der Leser auch in den Genuss einer Kostprobe
gängiger Chat-Unterhaltungen zwischen Teilnehmern eines Forums
für „Musikproduzenten“ und wird über Fachausdrücke
virtueller Zusammenhänge wie „p2p“ (peer-to-peer), „digital
sampling“ oder die „mp3 revolution“ aufgeklärt.
Was wäre eine Sammlung von Essays über die heutige Musikkultur
ohne einen Beitrag zum Kassenschlager der Medienbranche, Apples
iPod? Das Kapitel „Hacking the iPod“ liefert einen
genaueren Blick auf den meistverkauften Musicplayer, seit Sony
in den 80er-Jahren den Walkman vorgestellt hat.
Abschließend werden die vorgestellten Thesen noch einmal
zusammengefasst und überprüft. Auch die Frage „Was
wäre, wenn es keine Musikindustrie gäbe?“, darf
hier gestellt werden. Die Antwort liegt allerdings im Gegensatz
zum restlichen im Buch unterbreiteten Gedankengut in der Vergangenheit
und wird wohl so bald nicht mehr relevant werden. Immer relevant
ist es allerdings, neue Erscheinungen in der Musikwelt zu reflektieren.
Insofern hat Michael D. Ayers mit seiner Essaysammlung ein wichtiges
Buch zum Verständnis aktueller kultureller Strömungen
und Verhaltensweisen vorgelegt.