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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 35
56. Jahrgang | Mai
Rezensionen - DVD
Momentaufnahmen
DVD-Neuheiten zwischen Dokument und Film
Pure Aufführungsdokumentation oder genuiner Musikfilm: An
den Enden dieser beiden Pole oder auch mittendrin sind einige DVD-Neuheiten
jüngeren Datums anzusiedeln, ohne dass diese Pole automatisch
auch den Qualitätsmaßstab bildeten.
Chaya Czernowins „Pnima … ins Innere“ etwa ist
bei der Münchner Biennale 2000 denkbar schlicht abgefilmt
worden. In prekärer Bildqualität sehen wir entweder die
komplette Bühne oder werden von der Totalen
aus etwas näher an die beiden Personen herangeführt.
Und doch entwickelt dieses singuläre Stück Musiktheater über
die Sprachlosigkeit in der persönlichen Bewältigung des
Holocaust eine Intensität, die durch ausgefeilte Kamerafahrten
wahrscheinlich eher behindert denn befördert worden wäre.
Claus Guths radikale Inszenierung, in der ein alter Mann und ein
Kind praktisch kommunikationslos auf sich selbst zurückgeworfen
werden, und die eindringliche Lichtregie schaffen einen Raum, der
Czernowins zerbrechlich-kraftvolle Musik zu voller Entfaltung kommen
lässt.
Der Aufwand, der 1969 betrieben wurde, um Gian Carlo Menottis
Kinderoper „Help,
Help, the Globolinks!“ nach der Hamburger Uraufführung
ins Fernsehstudio zu transferieren, mutet demgegenüber schon
fast ein wenig bemitleidenswert an. Zumal Menottis Parabel über
die Macht der (handgemachten) Musik, die gefährliche Außerirdische
(und deren elektronische Klänge) abzuwehren imstande ist,
eher unfreiwillige Komik denn kindliche Frische ausstrahlt. Was
bleibt, ist der kultige Charme der 60er-Jahre-Ästhetik und
Edith Mathis’ natürlicher Zugang zur Hauptrolle der
Emily.
Zurück im 21. Jahrhundert finden wir uns auf der Bühne
der Opéra de Lyon wieder. Genauer gesagt auf einer für
die Kameras sehr dankbaren Riesenuhr, auf der die letzten Stunden
des Doktor Faustus in der Gesellschaft eines wenig konzilianten
Gesprächspartners namens Mephisto und weiterer Figuren ablaufen.
Pascal Dusapin hat zu seinem Anfang 2006 an der Berliner Staatsoper
uraufgeführten Stück „Faustus, the last night“ ein
vor Belesenheit überbordendes Libretto quer durch die Faust-Mythologie
verfasst, das trotz der optisch attraktiven und in der Personenführung
sehr präzisen Regie Peter Mussbachs kaum theatrale Sogwirkung
entfaltet. Ähnliches lässt sich über seine ausgefeilt
differenzierte, aber selten an Existenzielles rührende Musik
sagen, die freilich vom Orchester unter Jonathan Stockhammer und
einem fabelhaften Ensemble aufs niveauvollste realisiert wird.
Wie aus einer Aufführung oder, wie in diesem Fall, derer 30
ein faszinierender Musikfilm entstehen kann, das führt der
Schweizer Regisseur Peter Liechti vor. Was heißt hier Aufführungen – „Hardcore
Chambermusic“ drohte das Improvisationstrio Hans Koch (Saxophon),
Martin Schütz (Bass) und Fredy Studer (Drums) einen Monat
lang, Abend für Abend seinem Publikum in der eigens in einen
Club umgebauten Züricher Schlosserei an. Und das folgte gebannt
diesen instrumentalen und elektronischen Erkundungen, die mit Free-Jazz
nur unzureichend umschrieben sind. Eine Musik, die sich die Freiheit
und die Zeit nimmt, zu entstehen und dort zu verbleiben, wo das
Verweilen lohnt. Oder, wie Fredy Studer in einem der wunderbar
lapidaren Gesprächszwischenschnitte es ausdrückt: „Im
Moment, wo es passiert, gilt einfach: Play the shit man!“ Und
die Kamera ist immer nah genug dran, diese Momente auch in ihrer
Körperlichkeit einzufangen.
Von einer anderen, morbiden Form der Körperlichkeit erzählt
Werner Herzogs gut 10 Jahre alter Gesualdo-Film. Dokumentarische
und inszenierte Elemente mischend – Milva hat einen köstlichen
Auftritt als Reinkarnation der gemeuchelten Maria d’Avalos – geht
er den Spuren nach, die der Visionär und Mörder in den
Köpfen seiner heutigen Landsleute hinterlassen hat. Er sucht
die verfallenen Orte seines Wirkens auf, lässt aber auch Musiker
zu Wort und Stimme kommen, ohne dass die Madrigalinterpretationen
von Alan Curtis’ „Complesso Barocco“ zu Hintergrundmusik
degradiert würde.
Auch Suzie Templetons Umgang mit „Peter und der Wolf“,
jenem zum Negativbeispiel einfallsloser Kinderkonzerte degradierten
Klassiker, bürstet ordentlich gegen den Strich. Die mit modellierten
Figuren und komplett ohne Worte recht düster erzählte
Geschichte hat mit Prokofieffs Version nicht mehr allzuviel gemein
und wartet mit einer originellen Schlussalternative auf. Auch der
Rhythmus des musikalischen Ablaufs wird durch die veränderte
Handlung und das Fehlen eines Erzählers angestastet; die Partitur
hält das aber größtenteils aus.
Juan Martin Koch
Diskografie:
Czernowin: Pnima … ins Innere. Mode 169
Menotti: Help, Help, the Globolinks! Arthaus 101 281
Dusapin: Faustus, the last night. Naïve MO 782177
Hardcore Chambermusic. Mit Koch-Schütz-Studer. Ein Film
von Peter Liechti. Intakt DVD 131
Gesualdo. Death for Five Voices. Ein Film von Werner Herzog. Arthaus
102 055
Prokofieff: Peter und der Wolf. Ein Film von Suzie Templeton. Arthaus
101 804-DE