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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 37
56. Jahrgang | Mai
Noten
Ein Klavier, ein Klavier!
Viel Abwechslung durch Neues und Altes für das Klavier zu
zwei und vier Händen
Das Pianobuch – Klaviermusik für Neugierige, Band
1, Hrsg. Sibylle Cada und Thomas Peter-Horas.
Peters EP 10906a
Ganz neugierig blättere ich im Inhaltsverzeichnis und finde
eine bis dahin eher ungewohnte Zusammenstellung, nämlich Klavierstücke
von Chick Corea direkt neben Georg Friedrich Händel, von Arvo
Pärt neben Domenico Cimarosa, von John Cage neben Edvard Grieg.
Insgesamt sind in diesem ersten Band 72 Originalkompositionen von
60 Komponisten vertreten, im Zeitraum vom 16. bis zum 21. Jahrhundert.
Inhaltlich findet sich Altbewährtes, aber auch ganz Neues,
sehr Bekanntes steht neben Unbekanntem. Herausgekommen ist eine
sehr schöne Sammlung kurzer Klavierstücke, meist von
ein bis zwei Seiten, die interessanterweise nicht chronologisch,
sondern nach Themen und nach Schwierigkeitsgrad zusammengestellt
sind.
Es gibt vieles zu entdecken: So finden sich Komponisten wie Turina,
Albeniz, Skrjabin, Cesar Franck und Milhaud, die in solchen Sammlungen
bisher kaum vertreten waren, dann aber gibt es auch Bewährtes
von Bach, Haydn, Mozart und Schumann. Dazu kommen eigens für
dieses Heft neu komponierte Klavierstücke in verschiedenen
Stilrichtungen. Das Wichtigste dabei ist aber: Jedes einzelne Stück
ist schön, auf seine Weise interessant und lässt sich
gut im Unterricht verwenden!
Sibylle Cada und Thomas Peter-Horas haben hier beispielhaft gezeigt,
wie man Unterrichtsliteratur zusammenstellen kann. Das „Pianobuch“ ist
eine Sammlung, die in vielerlei Hinsicht Maßstäbe setzt
und überdies auch noch in den verschiedensten Altersgruppen
von Kindern bis zu Erwachsenen einsetzbar ist, also nicht nur für
eine einzige Zielgruppe gedacht ist.
Auch das Layout stimmt: Das Notenbild ist klar und sehr übersichtlich.
Die Fingersätze sind gut durchdacht, im Vorwort finden sich
wichtige Hinweise zur Interpretation, zu Dynamik, Artikulation,
zum Pedal und zu den Fingersätzen. Im Anhang sind Erklärungen
zu den einzelnen Stücken und Kurzbiographien sämtlicher
Komponisten abgedruckt. Was will man mehr? Oder: Was wollen wir
noch? Ein Klavier – zum sofortigen Ausprobieren, natürlich!
Friedrich Kiel (1821–1885): Zwei kleine Sonaten (Sonatinen)
für Klavier zu vier Händen, op. 6 (1850). Edition Dohr 99693 Friedrich Kiel (1821–1885): Leichte vierhändige Klavierstücke
op. 13 (1856). Edition Dohr 26369 Friedrich Kiel (1821–1885): Ländler op. 66 (1871/76)
für Pianoforte zu vier Händen.
Edition Dohr 26374
Der westfälische Komponist und Musikpädagoge Friedrich
Kiel, geboren 1821, erhielt ab 1835 seine musikalische Ausbildung
am Hofe des musik-liebenden Fürsten zu Wittgenstein-Berleburg.
Kiel komponierte schon früh und wirkte in jungen Jahren bereits
als Hofkapellmeister und Musikerzieher der Fürstenkinder.
Mit 21 Jahren konnte er dank eines Stipendiums des Fürsten
in Berlin Musik studieren. Danach war er jahrelang freischaffender
Komponist, Pianist und Pädagoge, bis er als Professor für
Komposition erst an das Sternsche Konservatorium Berlin, kurz danach
an die neu gegründete Hochschule für Musik Berlin berufen
wurde. Zu seinen zahlreichen Schülern zählen unter anderem
Ignaz Paderewski, Charles Stanford und Elise Schumann, Tochter
von Clara und Robert Schumann. Friedrich Kiel starb 1885 in Berlin
an den Folgen eines Verkehrsunfalls.
Kiel hat ein reiches Œuvre hinterlassen: Kammermusik für
verschiedene Besetzungen, darunter Klaviertrios, Klavierquintette,
Werke für Orgel, zahlreiche Chorwerke, unter anderem zwei
Oratorien, und viel Klaviermusik für zwei und vier Hände.
Die drei oben aufgeführten Hefte sind von Christoph Dohr revidiert
und neu herausgegeben worden. Zwar gibt es leider keine Fingersätze,
das Notenbild ist aber sehr übersichtlich und angenehm zu
lesen. Primo und Secondo sind übereinander gedruckt, so dass
beide Spieler den jeweils anderen Part gut verfolgen können.
Bei allen drei Heften sind Primo- und Secondopart meist im ähnlichen
Schwierigkeitsgrad, der Secondospieler sollte allerdings Oktaven
greifen können.
Die „Sonaten (Sonatinen) op. 6“ sind noch im klassischen
Stil komponiert und stilistisch und von der Schwierigkeit her in
etwa mit Beethovens vierhändiger Sonatine D-Dur op. 6 zu vergleichen.
Die erste Sonatine ist einsätzig und steht in D-Dur, die zweite – zweisätzig – in
F-Dur. Primo und Secondo sind thematisch untereinander verzahnt,
der Klaviersatz klingt und liegt gut. Das Zusammenspiel ist nicht
immer ganz einfach: In der zweiten Sonatine müssen Triolenketten
und Sechzehntelläufe bewältigt werden (allerdings im
moderaten Tempo). Wenn man das schafft, macht das Ganze Spaß!
Schwierigkeitsgrad: Mittelstufe 1.
Die „Ländler“ op. 66, komponiert um 1870, sind
kurze, aber ganz wunderbare, echt romantische Stücke, die – als
zwei Zyklen angelegt – sich hinter den einige Jahre früher
komponierten Brahms-Walzern op. 39 nicht zu verstecken brauchen.
Sie sind zum Teil etwas leichter, vor allem in den ersten Nummern,
die auch einzeln gespielt werden können. Diese Ländler
sind für mich eine echte Neuentdeckung!
Kiel hatte sie original für Viola und Klavier komponiert und
später selbst für „Pianoforte zu vier Händen“ bearbeitet.
Der Schwierigkeitsgrad entspricht insgesamt etwa der Mittelstufe.
Weite Griffe – Akkorde innerhalb einer Oktave – kommen
zwar vor, aber nicht in jedem Stück, und wenn, meist im Secondopart.
Ein Heft, das die Anschaffung lohnt!
Auch die „Leichten vierhändigen Klavierstücke“ op.
13 sind eine Bereicherung für den Unterricht. Sie sind etwas
leichter als die Ländler, etwa in der Unterstufe 2 bis zur
Mittelstufe angesiedelt. Wir finden hier 8 abwechslungsreiche romantische
Charakterstücke mit Titeln wie „Kosakisch“, „Ungarisch“, „Lied“ und „Romanze“.
Die ersten 7 Stücke sind sehr kurz, circa 24 bis 40 Takte,
das letzte, ein Rondo mit der Bezeichnung „Presto“,
ist deutlich länger, aber kaum schwieriger. Der Secondopart
ist nicht nur Begleitung, sondern hat – wie in den anderen
beiden Heften auch – thematisch einiges zu bieten.
Alle drei Hefte sind – trotz der fehlenden Fingersätze – für
Unterricht und Konzert, für die Hausmusik und auch für „Jugend
Musiziert“ sehr gut geeignet. Es wäre zu wünschen,
dass sie eine weite Verbreitung erfahren könnten. Friedrich
Kiel – eine Neuentdeckung wert!