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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 31
56. Jahrgang | Mai
Arbeitskreis
Musik in der Jugend
Chancen und Gefahren für die junge Stimme
5. Leipziger Symposium Kinder- und Jugendstimme: Medizin, Musik
und Pädagogik
J.S. Bach wird sich nicht in seinem Grab in der Thomaskirche
herumgedreht haben, als im Februar in der Leipziger Musikhochschule
450 Fachleute
aus Musik, Medizin und Pädagogik den „heimlichen Groove“ in
seinem Magnificat entdeckten. Im Gegenteil, er dürfte sich
gefreut haben, dass es auch in der Postmoderne Sänger jeden
Alters gibt, die den emotionalen Gehalt seiner Musik (hier: Marias
Hochstimmung) zeitgemäß und in angemessener künstlerischer
Form transportieren: mit Groove und Glücksgefühl.
Der tosende Applaus des 450-köpfigen Chores galt Prof. Schönherr
vom Fachbereich „Schulische Musizierpraxis und ihre Didaktik“ an
der MH Hamburg für sein mitreißendes musikdidaktisches
Meisterstück. Es war zugleich Finale des 5. Leipziger Symposiums „Kinder-
und Jugendstimme“. Diese Veranstaltung unter dem diesjährigen
Thema „Stimmkulturen“ öffnete Augen, Ohren, Herzen
und Verstand für den behutsamen Umgang mit der Stimme unter
den Herausforderungen unserer Zeit. Einer Zeit, in der Kinder und
Jugendliche zunehmend den Wunsch haben, außer klassischer
Chorliteratur auch andere Musikstile zu singen. Globalisierung
und Medienpräsenz beschleunigen ihr Interesse an Musikkulturen
wie Musical, Film, Pop, Rock oder Gospel.
Dass diese Art von Singen besondere Anforderungen an die junge
Stimme stellt und Chancen ebenso birgt wie Gefahren, darin waren
sich die Experten einig. Aus ganz Deutschland waren sie nach Leipzig
geströmt, um ihr Wissen in Theorie und Praxis zu erweitern.
Unter der Federführung des ehemaligen Thomaners Dr. Michael
Fuchs, Leiter der Abteilung für Stimm-,
Sprach- und Hörstörungen, hatten die Kooperationspartner
HNO-Uniklinik Leipzig, AMJ, MH Leipzig und Bundesverband Deutscher
Gesangspädagogen wieder ein Forum mit interdisziplinärem
Austausch und raumgreifender Langzeitwirkung auf die Beine gestellt.
Zwei Tage lang hielten Fachvorträge und Workshops zu aktuellen
Erkenntnissen aus Human- und Musikethnologie, Stimmphysiologie,
Therapie und Pädagogik die Teilnehmer in Atem. Dem ganzheitlichen
Ansatz trugen die Workshop-„Versuchskaninchen“ vom
Schulchor Markkleeberg, die „Sächsischen Variationen“ des
musikalisch ambitionierten Kabarettisten Tom Pauls, die Präsentation
fachbezogener Industrieunternehmen und gesellige Zusammenkünfte
am Büffet Rechnung. Besonders begeisterten Auftritte des vitalen
Dresdner Jazzchores „VoiceIt“ (2. Sieger beim Chorwettbewerb
2006) und des ebenso blutjungen wie brillanten A-cappella-Ensembles „Chickpeas“ (Kichererbsen).
Ethnologische Streiflichter widmeten sich dem Reiz alter Musik
für junge Stimmen, der männlichen Falsettstimme, den
Besonderheiten des Kastratengesangs, afrikanischer und indischer
Stimmtradition oder dem ganz eigenen Stimmklang im Pop-, Jazz-
und Rockgesang. Dass einer gut geschulten Stimme auch starke Beanspruchungen
nicht schadet, kam ebenso zur Sprache wie typische Erkrankungen
des Stimmapparates und deren Behandlung.
Dem Stimmklang und den Ansatzräumen bei jungen Sängern
widmete sich der Physiker, Musikwissenschaftler und Sänger
Prof. Johann Sundberg aus Stockholm. Eindrucksvoll machte sein
Hauptreferat die Zusammenhänge zwischen „Hard- und Software“ beim
Singen transparent. Dass Chorkinder außer dem Singenlernen
auch auf sozialer, emotionaler, körperlicher und geistiger
Ebene profitieren, dürfe nicht davon ablenken, dass das Singen
keiner anderen Begründung bedarf, war das Fazit einer weiteren
Studie: Das Singen ist vor allem menschliches Urbedürfnis.
Eindringlich wurde frei nach dem Motto „lieber gar nicht
singen als falsch“ auf die Sorgfalt im Umgang mit der heranwachsenden
Stimme hingewiesen. Um sie nicht unwiederbringlich ein Leben lang
in der „Bruststimmfalle“ zu fangen, müsse von
Beginn an auf klangschönes, tragfähiges und effizientes
Singen in höheren Lagen, richtige Atmung, saubere Intonation
und präzise Artikulation geachtet werden. Praktische Beispiele
aus der Musicalszene, spannende Stimmspiele für klangvolles
und selbstbewusstes Singen in der Gruppe, die farbenprächtige Übersetzung
von Text in Klang, aber auch stimmdiagnostische und
-therapeutische Betrachtungen rundeten eine Veranstaltung ab, die
sich in kürzester Zeit eine bundesweit führende Position
erwarb.