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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 30
56. Jahrgang | Mai
Jugend musiziert
Jugend praktiziert bei ”Jugend musiziert“
Die Pianistin Rebekka Friedrich absolvierte ein Schulpraktikum
bei ”Jugend musiziert“
Rebekka hat den Computer in der Bundesgeschäftsstelle ”Jugend
musiziert“ fest im Griff. Den ganzen Tag schon tippt sie
eifrig Daten in den Rechner. Rebekka ist 17 Jahre alt, kommt aus
dem Süden Baden-Württembergs, spielt seit elf Jahren
Klavier und ist mehrfache Bundespreisträgerin ”Jugend
musiziert“. Aber sie ist nicht nur eine brillante Pianistin,
sondern ein gescheiter und neugieriger Teenager der elften Klasse
des Friederich Wöhler-Gymnasiums in Singen am Hohentwiel.
Dort müssen die Schüler der elften Klassen ein einwöchiges
Praktikum absolvieren, die sogenannte „Berufsorientierung
an Gymnasien, BOGY“.
Ziel ist eine erste Konfrontation mit der Arbeitwelt, idealerweise
leistet man das Praktikum im späteren bevorzugten Berufsfeld
ab. Ist die Berufswahl noch unklar, hat man so zumindest die Möglichkeit,
bestimmte Berufsfelder für sich auszuschließen. Bezogen
auf Rebekkas berufliche Wünsche, deckt das Praktikum bei ”Jugend
musiziert“ entscheidende Felder ab: „Am liebsten möchte
gerne Musik studieren und Konzertpianistin werden, aber“,
so ihre realistische Einschätzung, „ich werde sicherheitshalber
auch Pädagogik belegen, um unterrichten zu können oder
vielleicht sogar ganz auf Musikmanagement umsatteln.“
Post aus der
Bundesgeschäftsstelle
Einmal hinter die Kulissen dieses Wettbewerbs zu blicken, an
dem sie sich in der Vergangenheit so oft beteiligt hatte, und der
vor
den Kulissen so erstaunlich reibungslos abläuft, das war ihr
Wunsch, den sie sich mit diesem Praktikum erfüllte. Dazu startete
sie ihren Aufenthalt in München kurzerhand eine Woche früher
als von der Schule vorgesehen, ein Teil der Osterferien wurden
dafür geopfert. „Eine Woche wäre einfach zu kurz
gewesen, da kann man die Zusammenhänge zwischen den einzelnen
Tätigkeiten gar nicht richtig herstellen. Allmählich
blicke ich besser durch,“ begründet sie ihren Entschluss.
Rebekka kann sich noch sehr genau an ihre Freude über den
1. Bundespreis in der Kategorie „Klavier solo“ erinnern
und auch, wie sie damals auf Post aus der Bundesgeschäftsstelle
wartete, die ihr den genauen Ort und Termin ihres Wertungsspiels
vor der Jury mitteilen würde. Im Gegensatz zu dem Heer von
Eltern und Lehrern, die im Moment im zwei Stundentakt in der Bundesgeschäftsstelle
anrufen, um ihrer Verwunderung darüber Ausdruck zu verleihen,
weshalb zwei Wochen nach Abschluss der letzten Landeswettbewerbe
noch immer kein Terminplan zu erhalten ist, kennt Rebekka nun die
Ursache für die Wartezeit. Denn sie arbeitet am großen
Zeitplan mit, der allen Teilnehmern größtmöglichen
Spielraum einräumen soll:
Einfache Fälle sind schnell erledigt: Jedem Teilnehmer werden
Ort und Zeit seines Wertungsspiels zugewiesen. Das besorgt eine
speziell für ”Jugend musiziert“ entwickelte Software.
Schwieriger wird es schon, wenn ein Teilnehmer in mehreren Kategorien
mitmacht. Dann muss darauf geachtet werden, dass die beiden Termine
seiner Wertungsspiele so gelegt werden, dass er im Ernstfall auch
mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Nachbarstadt fahren
und sich dort entspannt einspielen kann. Dabei kann die Software
zwar noch unterstützen, aber der Anteil an Hand- und Denkarbeit
wächst, ganz abgesehen davon, dass man sich via Internet zunächst
einen Überblick über den öffentlichen Personen-Nahverkehr
der Gastgeberstädte verschaffen muss, um qualifiziert, die
rechnergestützte Ordnung umzustürzen. Der nächst
höhere Schwierigkeitsgrad besteht darin, Zeitfenster für
Teilnehmer zu finden, die als Ensemble antreten und darüber
hinaus allesamt in weiteren Ensemblewertungen mitwirken. Auch hier
darf es weder Überschneidungen noch zu eng gesteckte Abstände
zwischen den Wertungsspielen geben. Oberstes Ziel ist immer, die
Rahmenbedingungen für die jungen Musiker so zu definieren,
dass sie sich ausschließlich auf ihren künstlerischen
Vortrag konzentrieren können und ihnen keinerlei organisatorische
Fallstricke drohen.
Nicht ohne meinen Lehrer
Weil in den Vorbereitungen zu ”Jugend musiziert“ sowohl
Herz als auch Herzblut stecken, erhalten alle 2.100 Teilnehmer
für eine kurze Frist die Möglichkeit, Terminwünsche
anzumelden. Die allerdings müssen gewichtig sein. Dazu gehören
Abiturprüfungen, Klassenfahrten, Kommunion oder Konfirmation.
So dass der Feinschliff am Zeitplan darin besteht, die betreffenden
Teilnehmer terminlich gemäß ihrer Wünsche zu verschieben,
ohne das große Ganze zum Wanken zu bringen. „Ich war
zum Teil wirklich überrascht, mit welcher Begründung
einzelne Teilenehmer ihre Zeitplanwünsche anmeldeten. Dazu
gehörten Urlaubsreisen der Eltern oder die Tatsache, dass
ein Lehrer mehrere Schüler im Wettbewerb hat und darum bittet,
alle Wertungsspiele so zu setzen, dass er überall zuhören
kann. Ich finde, dass den Planern ein bisschen viel abverlangt
wird,“ resümiert Rebekka. „Als wir mit unserem
Ensemble zum ersten Mal beim Bundeswettbewerb waren, war ich dreizehn
Jahre alt und meine Lehrerin war nicht dabei. Und jetzt lese ich
von 17-Jährigen, die sich das Wertungsspiel im Bundeswettbewerb
nicht ohne Lehrer zutrauen. Irgendwann ist man dafür doch
wirklich alt genug.“
Was spielen die anderen?
Den kritischen Worten einer selbstbewussten Schülerin zum
Trotz versuchen die Zeitplanmacher derlei Wünsche zu berücksichtigen.
Nach zahllosen Checks, Gegenchecks und einer Schlussüberprüfung
durch mindestens zwei Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle
ist der Zeitplan dann schließlich zur Veröffentlichung
freigegeben. Zu den Voraussetzungen, den Bundeswettbewerb reibungslos
durchzuführen gehört auch, die Musikprogramme der 2.100
Teilnehmer auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. ”Jugend
musiziert“ verlangt einen Querschnitt durch verschiedene
Musikepochen, so dass der Musiker seine Vielseitigkeit zeigen kann.
Bei der Beurteilung der angemeldeten Musikliteratur ist musikalischer
Sachverstand angesagt, und die aufwendige Forschungsarbeit erledigen
derzeit zwei versierte Musikwissenschaftler. Auch Rebekka verfügt über
gute Literaturkenntnisse im Fach Klavier und wundert sich über
die sorglos ausgefüllten Formulare, die Lücken enthalten,
die der junge Musikant durch eine Rückfrage bei seinem Musiklehrer
sofort hätte aus der Welt schaffen können. Und natürlich
wirft sie hin und wieder, wenn ihre Zeit es zulässt, einen
Blick auf die Musikprogramme von Musikern der beiden diesjährigen
Klavier-Kategorien. „Echte Überraschungen habe ich nicht
entdeckt. Aber hin und wieder war ich erstaunt, dass zum Beispiel
ein und dieselbe Sonate bei den jüngsten und den ältesten
Teilnehmern auftauchte. Aus dem Stand würde ich sagen, dass
sich Teilnehmer der höheren Altersgruppen damit im Grunde
unterfordern. Umgekehrt fand ich vereinzelt im Repertoire der jüngsten
Altersgruppe Literatur, deren Schwierigkeitsgrad der für die
höchste Altersgruppe entsprach. Vermutlich sind einzelne Sätze
daraus besonders schwer“
Im Keller der Gastgeber
In wenigen Tagen endet Rebekkas Praktikum bei ”Jugend musiziert“.
Was nimmt sie an Erkenntnissen und Erfahrungen mit? „Es ist
beinahe ein Wunder, dass so viele Detailaufgaben und Zwischenschritte
sich am Ende zum großen Wettbewerb ”Jugend musiziert“ zusammenfügen,
man merkt das gar nicht, vor allem, wenn man tief und für
mehrere Tage in ein und derselben Arbeit versinkt. Aber ich habe
es genossen, wie heiter und routiniert die Kollegen all die vielen
Aufgaben bewältigten und es hat mir auch gefallen, dass der
stellvertretende Projektleiter ebenfalls mit badischem Zungenschlag
sprach. Das hat mich sehr schnell heimisch werden lassen.“
Für Rebekka wird es Zeit, wieder den Weg in die Heimat anzutreten,
denn sie vermisst ihr Klavier. „Ich habe zwar jeden Abend
im Keller meiner Gastgeber geübt, aber eben doch mit sehr
reduzierter Kraft und Lautstärke. Zum Glück wohnen sie
in einem Einfamilienhaus. In den nächsten Wochen habe ich
drei Konzerte zu spielen, da möchte ich natürlich beweisen,
dass ich zu Recht 1. Bundespreisträgerin ”Jugend musiziert“ bin.
In der Kategorie „Enthusiasmus“ erhielt sie jedenfalls
den
1. Preis der Bundesgeschäftsstelle.