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nmz-archiv
nmz 2007/05 | Seite 23
56. Jahrgang | Mai
Verbandspolitik
Musik ist Bildungsaufgabe und kein Zeitvertreib
Winfried Richter, Bundesvorsitzender des Verbandes deutscher
Musikschulen, im Gespräch mit der neuen musikzeitung
Warum ist das so? Was ist damit gemeint? Das sind die Fragen die
Winfried Richter, Bundesvorsitzender des Verbands deutscher Musikschulen
(VdM), seit jeher an der Musik interessiert haben. Der promovierte
Musikwissenschaftler hat aber auch eine andere, eine praktische
Seite. Als Klavierlehrer arbeitete er während und nach dem
Studium an der Musikschule in Kiel. Dann wurde er in Sachen Öffentlichkeitsarbeit
als Referent für den VdM-Landesverband Schleswig-Holstein
angefragt. Dort lernte er die Verwaltungsarbeit kennen. Seit 1986
ist Richter Leiter der Musikschule Pinneberg und kann dort seine
Erfahrungen aus Öffentlichkeitsarbeit, Verwaltung, musikalischer
Praxis und musikwissenschaftlichem Denken ideal umsetzen.Die Bundesversammlung
des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) wählte am 29. April
2005 in Essen Winfried Richter, Landesvorsitzender der Musikschulen
in Schleswig-Holstein und Leiter der Musikschule Pinneberg, zu
ihrem Bundesvorsitzenden. Wenige Wochen vor dem Start des 19. Musikschulkongresses
in Mannheim stellte sich Richter den Fragen von Andreas Kolb, Chefredakteur
der neuen musikzeitung.
Winfried
Richter. Foto: VdM
neue musikzeitung: Was waren Ihre wichtigen Themen von 2005
bis heute? Winfried Richter: Das Schöne für mich war, dass ich einen
sehr gut aufgestellten Verband vorgefunden habe. Auch die Tatsache,
gleichzeitig mit Matthias Pannes einen neuen Geschäftsführer
zur Seite zur haben, hat sich als absoluter Glücksgriff herausgestellt.
In den ersten Gesprächen innerhalb des erweiterten Bundesvorstandes
und auch denen mit Musikschulleitern stellte sich bald heraus,
dass wir ein neues Gleichgewicht zwischen Bundes- und Landesebene
auf die Agenda setzen sollten. Ein erster Ansatz sind Kompetenzzentren
in Kombination von Landes- und Bundesebene. Derart ist es uns gelungen
zum neuen TVöD ein beispielhaftes Modell zu erarbeiten. Ebenso
entwickeln wir derzeit ein Forum für Leitungskräfte.
Strukturelle Innovationen sind auf den Weg gebracht, die wirksam
werden.
nmz: Sie betonen die Gemeinsamkeiten
von Landes- und Bundesinteressen innerhalb des Verbandes. Wie
will der Bundesverband ein Dach bilden über
die föderalen Strukturen? Richter: Es gilt, Weichen zu stellen. Wir müssen
Impulse geben, neue Dinge aufnehmen. Diese können auch aus
der kleinsten Schule kommen. Dazu benötigen wir weiter Bundesmittel
für
Forschung und Fortbildung, um die neuen Herausforderungen der Zeit
verantwortlich lösen zu können. Dazu zählt dann
auch, die Leiter der Musikschulen auszubilden und die Öffentlichkeitsarbeit
weiter auszubauen. Es ist natürlich eine zentrale Aufgabe
der Bundesebene, klar zu machen, wie wichtig die Musikschularbeit
ist, die mehr als jedes Projekt leistet, durch ihre Kontinuität
nachhaltig wirkt und keine kulturelle Eintagsfliege darstellt.
nmz: „Macht Mozart schlau?“, eine aktuelle Studie des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung, fasst den Forschungsstand
zum Thema Förderung kognitiver Kompetenzen durch Musik zusammen.
Wie stehen Sie zur sogenannten Bastian-Falle? Sind solche Untersuchungen
für Ihre Öffentlichkeitsarbeit in irgendeiner Form wichtig
oder legitimieren Sie Ihre Arbeit, wie Sie ja gerade schon ausgeführt
haben, ganz anders? Richter: Spätestens seit der griechischen
Antike wissen wir von Platon oder Aristoteles oder über die
Affektenlehre des Barock bis hin zur gegenwärtigen Hirnforschung,
dass Musik Wirkung auf die geistige und seelische Ausrichtung des
Menschen
zeigt. Wenn eine Komposition von J.S. Bach zu Lebzeiten des Meisters
den Menschen etwas sagte, dann ist es schon erstaunlich, dass sie
heute noch die selbe Wirkung hat. Viele technische Errungenschaften
seit dieser Zeit haben sich verändert, mit denen könnten
wir nichts mehr anfangen, aber die geistige und emotionale Wirkung
dieser Musik, ihre geistige Botschaft gibt uns noch jede Menge.
Dadurch verinnerlicht man mit Sicherheit Wertvorstellungen, die
sehr reflektiert sind. Zwei beliebige Beispiele: Denken Sie im
Zusammenhang eines interkulturellen Dialogs an Musik von Bela Bartok,
wo Dinge ihre musikalische Herkunft in anderen Kulturkreisen haben.
Denken Sie an Lutoslawski, der mittels der Aleatorik dem Interpreten
als Teil eines Ganzen große Freiheiten einräumt. Das
sind alles geistige Botschaften, die sich mehr oder weniger reflektiert
im Hörer dann auch festsetzen werden und sein Weltverständnis über
die Musik mit prägen. Dadurch entsteht eine geistig-seelische
Ausrichtung, die unsere Gesellschaft dringend braucht, um zum Miteinander
zu kommen. Das miteinander Musizieren, das aufeinander Hören
hat eine soziale Auswirkung auf den Menschen. Dem kann man nicht
sinnvoll widersprechen. Neben Intelligenz und sozialer Verantwortung
ist auch Empathie eine wichtige Sache. Sensibilität schaffen
und nicht Menschen zu Maschinen erziehen, darin ist ein großer
Wert in der Musikpädagogik zu sehen. Das können wir gar
nicht hoch genug ansetzen.
nmz: Im Mai findet der 19. Musikschulkongress
unter dem Titel „Musik
zeigt Wirkung, Musikschule für morgen“ statt. Was sind
da für Sie die wichtigsten Themen 2007? Richter: Wenn wir sagen, Musik zeigt Wirkung,
geht es uns nicht um kaufmännischen In- und Output, auch nicht
um flankierende medizinische Vorsorgemaßnahmen zur Gesundheitsreform.
Wir definieren die Wirkung etwas anders. Der Kongress ist ein Spiegelbild
der musikpädagogischen Arbeit der Musikschulen, die sich durch
innovative Impulse regelmäßig entwickelt und entfaltet.
Damit ist der Kongress ein bewährtes Mittel, engagierte Musikschularbeit
in der Bevölkerung wirkungsvoll zu multiplizieren. Zu den
Aufgabenfeldern der Zukunft gehört der Bereich der Frühförderung.
Es kann nicht sinnvoll sein, viele Krippen zu haben, aber darin
kein vernünftigeres Angebot als die Aufbewahrung von kleinen
Kindern. Wir müssen Angebote schaffen: für Eltern und
Kinder, von der Geburt an. Wir sehen die integrativen Momente und
Wirkungen gerade auch in musikalischer Frühförderung.
Dann müssen wir in die Kindergärten, und wie setzen wir
in den Grundschulen diesen Prozess fort?
nmz: Stichwort Schulkooperation: Was
ist da der aktuelle Stand? Richter: Es wird auch ein ganz wesentlicher
Gesichtspunkt auf dem Kongress sein, dass wir Beispiele neuer
Kooperationen mit allgemein
bildenden Schulen darstellen. Die Nachfrage an den Musikschulen
hat auf diesem Gebiet unglaublich zugenommen.
nmz: Im VdM-eigenen Verlag publizieren
Sie Best-Practise-Modelle von Kooperation? Richter: Ja. Aus diesen Best-Practise-Modellen
sind Dozenten auf dem Kongress in Mannheim. Das zur Schul-kooperation.
Aber es geht
natürlich weiter: Musikschularbeit ist wiederum gefordert,
wenn wir an den dritten Lebensabschnitt denken. In Zukunft haben
wir größere Anteile an Älteren in unserer Gesellschaft,
die mit Sicherheit gerne Musizieren wollen und für die wir
die Musik für deren Wohlergehen in größerem Umfang
anbieten wollen.
nmz: Auf dem Kongress kooperiert
der VdM mit der Popakademie Mannheim. Was verbirgt sich dahinter? Richter: Ganz einfach: Es gibt die Popakademie
in Mannheim, es gibt die Musikschule in Mannheim, und nun lasst
uns doch, wenn wir den Kongress in der Stadt machen,
beides nutzen und auch sehen, was in der Popakademie geboten wird.
Wenn es im Popularmusikbereich interessante Sachen gibt, die wir
annehmen können, dann wollen wir das gerne tun. Analog geschieht
das übrigens auch mit den Yamaha-Musikschulen. Wenn die auf
uns zukommen, sind wir gerne dazu bereit, einen gemeinsamen Ansatz
zu finden in der pädagogischen Arbeit.
Eine großartige Sache, finde ich, ist, dass die Söhne
Mannheims gemeinsam mit dem Baden-Württembergischen Jugendorchester
spielen werden. Das
muss man auch nach außen demonstrieren: Zwei Flächen
der musikalischen Praxis, die klassische Musik und die Popularmusik,
fügen sich wunderbar zusammen. Wenn junge Menschen solche
gemeinsamen Projekte machen, dann ist das ein Signal, welches hoffentlich
Nachahmung findet.
nmz: Kooperation gibt es auch
mit Verbänden, zum Beispiel.
Wie ist da die Strategie des VdM? Richter: Kooperationen gibt es mit der Jeunesses
Musicales, mit dem VDS oder mit der Deutschen Orchestervereinigung – um
nur Beispiele zu nennen. Wir grenzen uns nicht voneinander ab,
sondern wir haben eine gemeinsame Aufgabe: Lobbyismus für
die Musik
nmz: Momentan ertönt immer lauter der Ruf nach einer Reform
der Musikerzieherausbildung an den Hochschulen. Welche Forderungen
hat der VdM? Richter: Der Arbeitsmarkt für Musikschullehrer ist weiter
gefächert als jemals zuvor. Unser Arbeitsfeld reicht vom Unterricht
mit Kleinkindern bis ins hohe Alter. Wir brauchen rund 35.000 Musikschullehrer
in Deutschland, die in ihrer Ausbildung von diesen Themenfeldern
meistens nichts erfahren haben. Die sollen in den Schulen musizieren,
auch beim Klassenmusizieren wirken und sind dafür nicht hinlänglich
ausgebildet. Wir müssen sie durch Fortbildung und interne
Maßnahmen durch Kollegen darauf vorbereiten. Ist es nicht
viel sinnvoller, den Menschen eine Hochschulausbildung zu geben,
die sie in die Lage versetzt, das zu erlernen, was sie dann nachher
wirklich schultern müssen? Immerhin zählen wir über
1,1 Millionen Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Woche für
Woche die Musikschulen besuchen. Die Hochschulen setzen immer noch
im Wesentlichen auf eine künstlerische Ausbildung. Da muss
etwas geschehen.
nmz: Wie könnte denn dieses Studium idealerweise aussehen,
gibts da vom VdM klare Wünsche an die Politik? Richter: Wir haben zunächst das Y-Modell als Lösung angestrebt.
Der andere Ansatz ist tatsächlich auch nicht zu verwerfen,
das H-Modell. In beiden Fällen geht es um einen höheren
beziehungsweise auch später nutzbaren Anteil an pädagogischer
Ausbildung. Studiengangreformen sind schwer, aber sie müssen
kommen.
nmz: Der VdM-Bundesverband hat
die Aufgabe, Öffentlichkeitsarbeit
zu betreiben, Meinung zu bilden. Dazu haben Sie auch einen eigenen
Verlag, dazu arbeiten sie zum Beispiel mit der nmz und mit anderen
Medien zusammen. Was sind aktuelle Vorhaben? Richter: Wir erstellen zur Zeit eine neue Handreichung
für
die Musikschulen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Dann
ist der Bereich der Musikvermittlung natürlich auch im Hinblick
auf Integrationsprozesse ein wichtiges Thema. Weitere Punkte: Früher
dominierte an den Musikschulen Einzelunterricht. Das hat sich geändert.
Da sind Kollegien entstanden, in denen man versucht, mehr zu bewegen
als nur den Einzelunterricht. Durch neue Arbeitsfelder ist für
viele eine andere Bindung zu den Musikschulen und Kollegen entstanden.
Ganz offensichtlich haben wir eine neue Identität von Musikschullehrern.
Auch das wird sich in einem Panel auf dem Kongress wieder finden.
nmz: Für die Daheimgebliebenen: Wie dokumentieren Sie die
Begegnung in diesem Jahr? Richter: Wir geben regelmäßig eine Dokumentation des
Kongresses heraus. Zeitgemäß geschieht dies seit einigen
Jahren im Internet. Aber wichtiger ist diesmal, dass wir mit nmz-Media
zusammenarbeiten. So können sich Kollegen an der Musikschule
eine Veranstaltung auch mal hinterher anschauen. Das ist ein hochaktuelles
Medium, deshalb freuen wir uns auf die nmz-Media-Produktion.
nmz: Was wünschen Sie dem VdM für die Zukunft? Richter: Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft noch stärker
begreift, wie wichtig das gemeinsame Musizieren ist. Dass man stärker
wahrnimmt, wie eine Musikalisierung der Bevölkerung uns als
Gesellschaft insgesamt stark macht; dass wir Werte, die in der
Geschichte gewachsen sind, die sich im Laufe der Geschichte differenziert
haben und in der Musik ihren Niederschlag gefunden haben, in großem
Umfang weitergeben müssen. Dass die Kommunen weiter erkennen,
wie wichtig musikalische Bildung für unsere Gesellschaft ist
und dass die Länder zunehmend erkennen, dass dies eine Bildungsaufgabe
ist und nicht ein kultureller Zeitvertreib.