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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 41
56. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Asiatischer Klassiktempel hoch über dem Hafen
Das Festival im südkoreanischen Tongyeong auf Identitätssuche
Wer in Korea ein Klassik-Festival etablieren möchte, tut
gut daran, einige lokale kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen.
Geburtsstadt eines weltberühmten Komponisten zu sein, garantiert
alleine noch keinen Erfolg.
Für
wenige Wochen wird die Isang-Yun-Straße zur „Festival
Street“. Foto: Vrzal
Denn westliche klassische Musik hat es in Korea nicht leicht.
Es mangelt zwar nicht am Enthusiasmus des Publikums – volle
Säle, begeisterte Juchzer und „Encore!“-Rufe gehören
in Tongyeong zum guten Ton. Doch für die Festivalmacher ist
es ein Arbeitssieg: Im ersten Jahrgang 2000, damals noch unter
dem Titel „Tongyeong Contemporary Music Festival“,
waren der Applaus dünn und die Besucherströme mit Freikarten
geködert, berichtet der künstlerische Leiter Prof. Sngkn
Kim. Dass die beiden Säle des Tongyeonger Kulturzentrums hoch über
dem Hafen nun regelmäßig aus allen Nähten platzen,
ist klugem Marketing zu verdanken. Das Festival liegt zeitlich
in einer Ferienphase der koreanischen Universitäten. Traditionell
verreisen die Studiengänge dann gemeinsam, vorzugsweise ans
Meer – und Tongyeong lockt die Musik-Fakultäten mit
Paketangeboten, Konzertbesuch inklusive.
Das erklärt auch den sagenhaft niedrigen Altersquerschnitt
im Saal, der jeden deutschen Intendanten vor Neid erblassen ließe,
ebenso wie den immens hohen Frauenanteil: Es sei nun mal so, bemerkt
Prof. Kim mit spürbarem Bedauern, dass eine künstlerische
Ausbildung die Attraktivität bei der Partnersuche im gehoben
bürgerlichen Milieu Koreas beträchtlich steigere.
In seiner sechsten Ausgabe ist das TIMF das größte Klassikfestival
Koreas. Gerne sähe sich die mitveranstaltende Stadt Tongyeong
als ein „Mekka der klassischen Musik in Asien“ oder
gar ein „Salzburg Asiens“. Darum orientiert sich Prof.
Kim an Europa: Donaueschingen, Edinburgh, Luzern heißen seine
Vorbilder. Das deutsche Neue-Musik-Festival steuert die Grundidee
der Förderung zeitgenössischer Komponisten bei,
aus Schottland hat man seit 2002 die Idee der „Fringe“-Konzerte übernommen:
junge Künstler, ungewöhnliche Darbietungsformen aus den
Randbereichen der Musik. Luzern schließlich steht für
die Sehnsucht nach Glamour und internationaler Größe.
Am Beispiel der Fringe-Darbietun-gen zeigt sich jedoch das Dilemma.
Wen das eigene Interesse ins festlich geschmückte „Festival
House“ in der „Festival Street“ – den Rest
des Jahres die Isang-Yun-Straße – führt, der erlebt,
sofern er überhaupt noch Platz findet im restlos überfüllten
Konzertsaal, ein lokales Publikum mit enormer Musikbegeisterung.
Auf der Freilichtbühne am Hafen dagegen wird ein wenig ins
Leere beschallt – viele, die zum Hören kurz stehenbleiben,
wirken von den koreanisch-poppigen Crossover-Klängen eher
befremdet. Eigentlich müsste das TIMF „Isang-Yun-Festival“ heißen.
Der 1995 verstorbene Komponist wurde 1917 in Tongyeong geboren.
Da allerdings kommt die Politik ins Spiel. Solange sich die südkoreanische
Regierung nicht persönlich bei Yuns Witwe Soo-Ja Lee für
die sogenannte Ostberlin-Affäre von 1967 entschuldigt, verweigert
diese die Nutzung des Namens. Stattdessen bildet sich derzeit Konkurrenz:
Isang Yuns Tochter Jung Yun rief 2005 die „Isang Yun Peace
Foundation“ ins Leben. Zwar begann die Stiftung als stärker
auf die politischen Aspekte der Figur Isang Yun orientiertes Gegengewicht
zum sich populär gebenden TIMF. Nun aber kündigt sie
für den kommenden Herbst ein eigenes Isang-Yun-Festival in
der Hauptstadt Seoul an. Auf dem Spielplan: Ganz viel Yun, sowie
Gewinner-Kompositionen des ebenso neuen Isang-Yun-Kompositionswettbewerbs.
Ob sich das dem Publikum zumuten lässt? Trotz vieler Bezüge
auf koreanische traditionelle Rhythmik und Melodik bleibt Isang
Yun ein Neutöner und dessen Werk eine Herausforderung an den
Hörer. So ist es vermutlich richtig, das Sngkn Kim in Tongyeong
den erprobten Weg geht: Internationale Stars treffen auf populäre
Lokalmatadoren, Yun wird gespielt, aber selten mehr als ein Werk
pro Programm.
Gearbeitet wird auch an der Außenwirkung. Gerade war der
Bürgermeister von Tongyeong in den USA, wo Verhandlungen mit
Frank Gehry laufen: Der Stararchitekt könnte den Zuschlag
zum Bau eines Festival-Konzerthauses erhalten. Ein Hauch Bilbao
und Los Angeles am koreanischen Meer.