[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz
2007/06 | Seite 12
56. Jahrgang | Juni
Ferchows Fenstersturz
Phänomen „Grand Prix“
Von wegen „Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne“.
Vergessen Sie diesen blumigen, glitschigen, parfümierten Titel.
Das war der dritte Weltkrieg. Ein Komplott. Ich fühlte mich
bedroht. Was erlaubt sich diese neue Balkanliga überhaupt?
Und erst der wieder auferstandene Ostblock? Bereits nach der Hälfte
der abgegebenen Bewertungen hatte ich meine Reservisten-Ausrüstung
aus dem Keller geholt, angelegt und auf Schäubles Mobilmachung
gewartet, denn Franz Josef Jung sucht ja gerade verzweifelt den
Weg nach Heiligendamm. Wahlweise seinen Auftrag. Und währenddessen
werden die etablierten Schlagermächte an allen Fronten vom
Frischfleisch der demokratischen Jungstaaten düpiert und in
die künstlerischen Knie gezwungen. Verdammt, die Popbrühe
des Grand Prix als Notration aus den vom Klima geschädigten,
schock gefrorenen finnischen Seen zu kratzen. Selbst die butterweichen
Gothic-Rocker um Sängerin Hanna Pakarinen aus Finnland, die
Saftschubsen-Kapelle „Scooch“ aus dem Pop-Mutterland
England oder Deutschland Jazz-Langstreckenrakete, Roger Cicero,
konnten die Errichtung des alteuropäischen Feldlazaretts nicht
verhindern. Aber mal patriotisch kritisiert: Dem leicht bieder-ironischen
Humor des deutschen Titels in seiner bourgeoisen Lässigkeit
fehlte es trotz geschickter Tarnung an vehementer Durchschlagskraft.
Geschickter taktierte da die Ostallianz, diese „Achse des
Popterrors“. Die chirurgische Kriegsführung „Operation
Tränendrüse“ funktionierte. Weil mit intelligenten
Waffen geführt und trotzdem Kollateralschäden auslösend.
Und nur, weil eine Serbin über ihre von Landsleuten zerstörte
Heimat singt, heult der Balkan samt östlicher Anrainer über
das ehemalige Brachland mit und spendet die Punkte via Kurztext-Granaten.
Die sollen doch bitte mal nach Westdeutschland kommen. Nach Iserlohn,
Hof oder Offenbach. Dann würden die vielleicht ganz anders
punkten. Dann müssten die mal für uns spenden. Da fragt
man sich doch, warum unsere Tornados in Afghanistan herum trödeln?
Die brauchen wir hier, lieber Schäuble. Als SMS-Abfangjäger.
Ein George W. Bush würde das nie zulassen. Man stelle sich
nur vor, süd- oder mittelamerikanische Staaten würden
den USA pop-territorial das zufügen, was die osteuropäischen
Emporkömmlinge uns angetan haben. Binnen Stundenfrist würden
sich sämtliche Flugzeugträger Richtung Panamakanal und
Atlantik bewegen. Durch die konservative Country-Szene der USA
würde ein Aufschrei ertönen. Garth Brooks würde
zum „United We Stand“- Konzert aufrufen und Charlton
Heston würde, seine Waffensammlung schwingend, brüskiert
ein weiteres Mal „From My Cold, Dead Hands“ röcheln.
Wir müssen uns wehren. Ich fordere Papst Benedikt auf den „Grand
Prix-Kreuzzug“ zu proklamieren. Motivation: Erlass sämtlicher
nationaler Popsünden. Statt des Kreuzes könnten sich
die Kreuzfahrer ein Dieter Bohlen-Portrait ans Revers heften. Und
von Heiligendamm aus könnte das Unternehmen starten. Da wären
sowieso alle vereint: Adelige, Klerus, Bürgertum und Abtrünnige.
Es muss etwas passieren. Wenn nicht jetzt, wann dann? Tja, dann
könnte es bald heißen: Who’s next?