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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 8
56. Jahrgang | Juni
Magazin
„Macht verrückt, was euch verrückt macht!“
Der „ewige Gärtner“ Jochen Distelmeyer: 15 Jahre „Blumfeld“ haben
die deutsche Pop-Musik verändert
Adoleszente haben sich mithilfe von Jochen Distelmeyers Lyrik
eine verzweifelt-euphorische Identität zurechtgebastelt. Professoren
dekonstruierten auf Germanisten-Kongressen in wild durchtanzten „Blumfeld“-Partynächten
ihr mühsames Erwachsenen-Dasein und entdeckten die Geheimnisse
der ewigen Jugend und die Schlangengrube der Interpretation. Nach
fünfzehn Jahren und sechs heftig umstrittenen Alben macht
jetzt die Band, die wie keine andere das Pop-Verständnis hierzulande
verändert hat, plötzlich Schluss. Ein Rückblick
auf die Frontmänner der „Hamburger Schule“.
Wie
aus Stein gehauen: „Blumfeld“. Foto: Martin
Eberle
Macht verrückt, was euch verrückt macht! In dieser Liedzeile
und im Titel des zweiten „Blumfeld“-Albums „L’état
et moi“ steckt schon viel von der Methode, der Strategie
und dem poetisch-politischen Programm von Jochen Distelmeyer & Co.
Der Song zitiert auf verquere, den Sinn verschiebende Weise einen
längst zur mythischen Parole gewordenen Satz-Fetzen der Ur-Anarcho-Punker „Ton
Steine Scherben“, nämlich: „Macht kaputt, was
euch kaputt macht!“ Distelmeyer will, wie er erst jüngst
in einer Reihe von Interviews erklärt hat, nicht eine Revolution,
deren Opfer er nicht verantworten kann, er will nicht einmal mehr
die zerstörerische Rebellion der an den Rand Gedrängten.
Eher schon untersucht er die Bedingungen des sozialen Daseins und
staatlich oder medial verordneter Sinn-Produktion, die er der Subversion
des Wissens und eines störrischen Eigen-Sinns unterzieht.
Distelmeyer und seine Band, deren Name sich einer Erzählung
Franz Kafkas verdankt („Blumfeld, ein älterer Junggeselle“),
waren seit den Anfängen in den Unruhe-Jahren nach 1989 beides:
Romantische Post-Modernisten, die Celan und Benn lasen, Godard-
und Fassbinder-Filme sahen und das, was sich an Lektüre- und
Kino-„Früchten“ in ihnen absetzte, mit eigenen
Erfahrungen, Wünschen und Ängsten, wüsten Tagebuch-Notaten
und erinnerten Gesprächsfetzen verbanden. Heraus kamen fragmentierte,
zersprengte und zerrissene „lyrics“, in denen sich
paradoxerweise eine ganze Generation wiederentdeckte. Vielleicht,
weil Blumfelds harter Gitarren-Pop und Distel-meyers traumhaft
sicheres Rhythmus-Gespür, mit dem er seine vertrackten Texte
rappte, „toastete“ und
nur in seltenen Momenten sang, sehr „sexy“ war, selbst
die melancholischsten Bastionen der Verirrten und Verlorenen einnahm
und ihre wütende Weltfremdheit oder -ferne hymnisch verwandelte.
Es gab Zeiten, da verständigten oder zerstritten sich Paare
oder Wohngemeinschaften vor allem mithilfe von „Blumfeld“-Zitaten: „Lass
uns nicht von Sex reden. Ich weiß gar nicht, wie das geht.“ Es
konnte so aussehen, als sei Jochen Distelmeyer eine Art Kurt Cobain
der studentischen Sub-Kulturen, ein gequälter Charismatiker,
der die Parolen des Tages für die jeweils akuten Emotionen
oder Krisen ausgab. Aber der Vor-Denker der neuen Hamburger Schule
des Pop war nie „Teil einer Jugendbewegung“; er wollte
es höchstens sehnsüchtig, gebrochen, aus einer unüberwindbaren
Distanz heraus sein. Sein Terrain waren nicht Häuserkämpfe
oder Parteitage, eher schon Strindbergsche Zimmerschlachten und
Selbstzerfleischungen, die er mit innig ironischer Souveränität
so lange durch seine Metaphern-Mühle drehte, bis sie zerbröselten.
Distelmeyer konnte durchaus ein politisch bewusster Zeitgenosse
sein. Freilich war er dann, ur-deutsch, mehr Gesinnungs-, denn
Verantwortungsethiker. Die Schlechtigkeit der Welt wurde vor allem
deshalb zum Problem, weil die eigene Seele daran Schaden nehmen
konnte. Deshalb zog er in den frühen 90er-Jahren, als vor
allem im Osten Ausländerheime brannten, mit den „Wohlfahrtsausschüssen“ Gleichgesinnter übers
flache Land. Was sich als entschiedene Aufklärung und als
der (nur) etwas andere „Aufstand der Anständigen“ verstand,
verdankte sich in Wahrheit einem romantischen Polit-Projekt. Die
gewaltsame Verbrüderung von oben, von Bühne und Podium
aus, musste zwangsläufig in der Enttäuschung über
die enden, die sich partout nicht zum besseren Bewusstsein bekehren
lassen wollten. Rückblickend war diese Art von Engagement
sicher ein Misserfolg und auch ein Missverständnis, genauso
wie die hysterische Angst vor einem „Vierten Reich“.
Geschichte wiederholt sich nicht so einfach. Sie setzt sich auf
andere Weise fatal fort.
Diese Mischung aus radikaler Politik und avantgardistischer Poesie,
aus entschiedener Selbstbefragung und nicht minder entschiedener
Parteinahme, wurde damals unter dem Titel „Hamburger Schule“ zum
Markenzeichen und Distelmeyer nicht nur zum Helden studentischer
Proseminare oder WG-Partys, sondern auch von Germanistenkongressen,
bei denen sich ambitionierte Nachwuchswissenschaftler tagsüber
in hermeneutischer Mühe über seine Texte beugten und
des Nachts bei Blumfelds brachialem Gitarrenkrach ein euphorisches
Vergessen suchten. Distelmeyer konnte zum Helden der Post-Moderne
werden, weil kaum einer so virtuos mit einer „second-hand-Authentizität“ umgehen
konnte wie er. Das Ur-Eigene, das er empfand und beschwor, war
ein Produkt von Zitat und Montage, das „Neue“ dabei
höchstens, dass er damit eine Generationen-Erfahrung ins nachsing-
und tanzbare Lied setzte. Was bei Nietzsche und seinen Nachfolgern
noch Anlass für Verzweiflung und Depression oder für
eine nihilistische Abräumbewegung war, das Bewusstsein nämlich,
dass es immer schon alles gibt und gegeben hat, wendet „Blumfeld“ euphorisch:
Das eigene Leben setzt sich aus den Helden-Biographien der ästhetischen
und politischen Avantgarde zusammen. Die kulturelle Erinnerung
macht aus einsamen Existenzen Brüder und Schwestern im Geist – und,
was vielleicht noch wichtiger war, im „Fleisch“: „Jeder
geschlossene Raum ist ein Sarg?“ Eben deshalb muss man durchlüften
und Solidaritäten des Schmerzes bilden.
Spätestens seit dem dritten „Blum-feld“-Album „Old
Nobody“ schieden sich freilich die Geister und selbst die
verschiedenen Distelmeyers, die eben noch eine perfekte Melange
ergaben, schienen auseinander zu brechen. Zwar spielte schon das
Cover des Vorgängers nicht nur auf das souveräne Selbstverständnis
des Sonnenkönigs an (dem die Band freilich den Bruch, die
Gegnerschaft von Subjekt und Staat entgegensetzte), sondern zitierte
auch den goldlaméhaften Las Vegas-Elvis. Aber jetzt erst
verlor sich der Sound mit masochistischer Lust ins Schlagerhafte.
Distelmeyer erkor ausgerechnet die „Münchner Freiheit“ zu
Lieblingsband und Vorbild. Und er meinte es, was manche fassungslos
machte, nicht (nur) ironisch. Die Texte versenkten sich nicht mehr
bloß wollüstig ins Private, sondern verloren sich darin.
Der verquälte Jakobiner fügte sich plötzlich der
Familienaufstellung. Nicht mehr Politik war das Schicksal, sondern
die Biologie: Herkunft, Sozialisation, die gemeinsame Geschichte,
das Netz der Neurosen.
Paradoxerweise blieb aber der Begleit-Diskurs wie ehedem. In öffentlichen
Verlautbarungen äußerte sich Distelmeyer politisch und
vernünftig; mit dem nicht ganz unwichtigen Unterschied freilich,
dass er das Projekt Revolution nun, die unvermeidbare Gewalt und
das Blut der Opfer vor Augen, verabscheute. Distelmeyer, dieser
Rimbaud des Grunge-Zeitalters, verwandelte sich in einen ewigen
Gärtner. Die Naturmetaphern mehrten sich. Die Melodien wurden
immer eingängiger. Und die Texte zeigten sich in verblüffender
trivialmythischer Schlichtheit, die der Naive mit der ewigen Welt
der Schlager-Klischees verwechselt hätte, während die
Germanistenkongress-Geschulten darin weiterhin, wie verzweifelt
auch immer, brüchige Weltschmerz-und-Schönheits-Formeln
entdecken wollen. In die Gitarren mischen sich die Posaunen. Und
Distelmeyer fasst im Interview mit der ebenfalls runderneuerten
SPEX sein sechstes und letztes Album „Verbotene Früchte“ so
zusammen: „Ich kämpfe nicht. Ich bin einfach nur da.“