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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 7
56. Jahrgang | Juni
Magazin
Freie Netze, Privatkopie und befreite Informationen
Aktuelle Veröffentlichungen zum Thema – auch kostenlos
zugänglich
Für öffentliche Diskussionen ist es von nicht zu unterschätzender
Bedeutung, dass sie in der Öffentlichkeit stattfinden. Ein
banaler Satz. Nur leider finden viele interessante Beiträge,
gerade auch zur Frage eines öffentlichen Zugangs zu Wissen
und Kunst, hinter fast verschlossenen Türen statt oder auf
einem auch theoretischen Niveau, welches mehr an Stammtischgeplauder
erinnert. Hier sollen drei Publikationen vorgestellt werden, die
man in guter alter Buchform lesen kann, die aber zugleich auch
zum kostenlosen Download bereitstehen. Eine nicht ganz neue Entwicklung
im Handel mit niedergelegten Inhalten. Auch die nmz praktiziert
dieses Vorgehen seit ihrer Präsenz im Internet, die mittlerweile
auch schon fast 10 Jahre andauert.
Dass der inflationäre Einsatz von Computern nicht ohne Folgen
für die Gesellschaft und ihren Zusammenhang im Umgang mit
sich selbst oder auch in der Veränderung ihres Rechtssystems
bleiben würde, kann niemand mehr bezweifeln. Dass dieser Prozess
in seiner entwicklungslogischen Ausgestaltung jedoch keineswegs
nur eindimensional ist, ist umstritten. André Spiegel untersucht
in seinem 175 Seiten umfassenden Essay jene andere Computerkultur,
die neben den großen Entwicklungsströmungen verläuft.
Es geht ihm dabei um Nutzungs- und Arbeitsformen, die sich durch
Kooperation und freien Austausch von Informationen bilden. Freie
Software beispielsweise. Spiegel verweist immer wieder auf den
Urvater der Computerbefreiungstheologie Richard M. Stallman und
dessen wichtige Unterscheidung innerhalb des Begriffs. „Freie
Software“ heißt nicht zwingend „umsonst“ sondern
steht in Beziehung zur Verwendung, der Freiheit nämlich, die
die Software dem Nutzer lasse. Und die sie dem Nutzer aber auch
verpflichtend weiterreiche. Was einmal frei war, darf nicht wieder
unfrei gestellt werden. Spiegel analysiert diesen Freiheitsbegriff
in mehreren Sphären wie Kryptographie, Musik, Film und Wort.
Was würde sich ändern, wenn diese Bedingungen allgemein
zur Grundlage des Handelns würden. Spiegel meint, an der Kunst
selbst würde es wenig ändern, wohl aber den ganzen Betrieb
zwischen Künstler und Nutzer, wenn nicht gleich außer
Kraft setzen, so doch erheblich relativieren. Insgesamt käme
so ein Verfahren allen zugute, Barrieren des Zugangs würden
eingerissen und zugleich eine Welt aktiver Partizipation eröffnet.
Als prominentestes Beispiel verweist Spiegel auf die Online-Enzyklopädie
Wikipedia, einem gemeinschaftlichen Lexikon. Das alles steht dabei
nicht einmal üblichen Wertschöpfungsketten im Wege. Nur
veränderten diese ihr Aussehen, die Geschäftsmodelle
wären andere.
Frank Fechner (Hrsg.): Die Privatkopie – Juristische, ökonomische
und technische Betrachtungen. Mit Beiträgen von Ulrich Loewenheim,
Jürgen Nützel, Björn A. Kuchinke, Iris Lenke und
Heike Walterscheidt. Ilmenau, 2007. 14,50 Euro (Download als pdf über:
http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=7543)
Fünf Autoren nähern sich fachübergreifend auf
unterschiedlichen Wegen und mit teils abweichenden Ergebnissen
dem Themenfeld „Privatkopie.“ Diese im wissenschaftlichen
Tonfall gehaltenen Analysen fragen das Thema ab und stellen es
mit modernen theoretischen Modellen letztlich
in den gesellschaftlichen Zusammenhang. Denn das ist der gemeinsame,
wenngleich im Titel nicht ausgesprochene Nenner der Fragen. Dabei
sind die Autoren frei von jeglicher Lobby-Position. Diese Abstraktion
von konkreten Interessen, die gleichwohl nicht über die Interessen
der beteiligten Akteure der von Privatkopien Betroffenen hinweg
sieht, macht den Reiz dieses Fachbuches aus. „Im Wesentlichen
stehen sich dabei zwei Gruppen von Interessenvertretern gegenüber:
Die Urheberrechtler, die einen Schutz geistigen Eigentums im Interesse
der Urheber wie auch im Interesse der Allgemeinheit an einem lebendigen
Geistesleben vertreten, auf der einen Seite und Nutzer von Geistesgütern,
die nach Möglichkeit alles zum Nulltarif gebrauchen möchten,
auf der anderen Seite. Wie diese Gegenüberstellung verdeutlicht,
bezieht sich diese Frage nicht nur auf Details in der Abgrenzung
von Urheberrechten, vielmehr geht es um die gesamtgesellschaftlich
elementare Haltung der Allgemeinheit zum Privateigentum,“ schreibt
der Herausgeber der Sammlung, Frank Fechner.
Das umfangreichste Buch mit 338 Seiten geht auf Aspekte des
freien Netzes im Allgemeinen ein. Von Funknetzen, über Freiheit
in Wissenschaft und Forschung, freie Software, Blogs, Wikis,
Kunst
bis zu Fragen der aktuellen Stadtentwicklung. Neben Hauptaufsätzen
wie „Kreativität in Fesseln: Wie Urheberrecht Kreativität
behindert und doch mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden
kann“ oder „Freiheit der Kunst durch freie Werke?
Kunst und Kultur im Zeitalter digitaler Remixes“ stehen
Interviews mit beteiligten Personen oder Vertretern entsprechender
Thesen
und Visionen wie dem bekannten amerikanischen Rechtsgelehrten
und Begründer der „Creative Commons Bewegung“ Lawrence
Lessig. Die Herausgeber beschreiben ihr Vorhaben so: „Dieses
Buch versucht, die auf freien Netzen basierenden und in freien
Netzen agierenden sozialen Bewegungen rund um ,Open Sources‘ in
ihren zahlreichen Facetten zum (kommunalen) Thema zu machen.
Die Darstellung der teilweise sehr abstrakten Themen an Hand
eines
konkret-kommunalen Beispiels soll sie dabei auch technischen
Laien zugänglich machen … .“ Insgesamt ist diese
Veröffentlichung
nicht auf dem theoretischen Niveau der anderen beiden Veröffentlichungen,
sondern parteilich. Aber diese Parteinahme muss nicht von Schaden
sein, denn hier wird noch radikaler eine mögliche Welt dargestellt,
die bei Spiegel noch den Spagat zwischen Wirtschaftsinteressen
und gemeinschaftlicher Produktivität zu vermitteln versucht.
Eine Leerstelle ist den beiden eher populärwissenschaftlichen
Arbeiten jedoch eigen. Wie eine Gesellschaft bestellt und eingerichtet
sein müsse, damit diese Überlegungen auch greifen können.
Denn im Prinzip gehen sie von Idealvorstellungen einer aufgeklärten
und kooperativ selbstlosen Gesellschaft aus. Leider ist dem jedoch
nicht so. Zwischen Gebrauch und Missbrauch solcher Freiheit ist
es daher oft nur ein kleiner Schritt. Dass eine auch befreite Gesellschaft
Ergebnis einer auf Freiheit gegründeten Wissenschaft und Kunst
sein könnte, was so direkt freilich nie ausgesprochen wird,
gehört zum Begründungstenor. Dass sich andererseits allein
mit Mitteln von Rechtsanalysen oder ökonomischen Erwägungen
der radikale Wandel auch technischer Art bewältigen lasse,
ist ein offenes, kaum bearbeitetes Problem der Studie der Wissenschaftler
aus dem Ilmenauer Projekt.