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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 5
56. Jahrgang | Juni
Magazin
Großer Ärger um Großes Recht
Anmerkungen zu den Regelsammlungen von Verlagen und Rundfunk
Was ist der Unterschied zwischen einer Oper Georg Friedrich Händels
und einer von Helmut Lachenmann? Die Oper Lachenmanns ist urheberrechtlich
geschützt, Händels Oper hingegen nicht mehr. Könnte
man meinen; immerhin ist der Altmeister des Barock seit fast 250
Jahren tot. Wird aber die Händel-Oper neu editiert, unterliegt
sie von da an – genau wie die Oper Lachenmanns – dem
Urheberschutz. Gleiches gilt für Ergänzungen, die von
zeitgenössischen Komponisten in ein bestehendes musikdramatisches
Werk eingefügt werden, sei es weil das Werk vom ursprünglichen
Komponisten nicht vollendet wurde oder weil Teile der Komposition
verloren gingen. Die Urheberrechte am gesamten Werk leben mit einer
Bearbeitung oder Vervollständigung von neuem auf.
Kommt es nun zur Aufführung einer neu bearbeiteten Oper, liegt
die Rechteverwaltung bei dem Verlag, der sie in sein Verlagsprogramm
aufgenommen hat. Er kann sich auf das so genannte „große
Recht“ berufen und dieses an der bühnenmäßigen
Aufführung wahrnehmen. So sind Bearbeitungen oder kritische
Neuausgaben musikdramatischer Werke (Oper, Operette, Musical),
deren editorischer Wert oft sinnvoll ist und hier nicht in Abrede
gestellt werden soll, für Verlage hochwillkommen und zudem
ein lohnenswertes Geschäft. Vom marktwirtschaftlichen Standpunkt
her ist es verständlich, wenn Musikverlage ihr Tafelsilber
alle 70 Jahre bearbeiten und es somit vergolden lassen.
Für Rundfunkanstalten, die die Absicht haben ein solches Werk
auszustrahlen, bedeutet das allerdings einen noch tieferen Griff
in den gebührenfinanzierten Topf der Kulturwellen, die sich
bekanntermaßen den Sparzwängen der Anstalten unterzuordnen
haben und deren Budget von Jahr zu Jahr schmaler ausfällt.
Senderechte für Werke
im Rahmen des „großen Rechts“ müssen von
ihnen teuer erkauft werden. Grundlage für die erforderlichen
Senderechtsverträge bilden die Regelsammlungen „Bühnenverlage – Rundfunk“ und „Musikverlage – Rundfunk“ aus
den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das „große
Recht“ bei kritischen Neuausgaben ist übrigens kein
europäischer Standard, sondern gilt nur in Deutschland.
Was schreibt die Regelsammlung vor? Eine Rundfunkanstalt hat
zum Beispiel für jede Ausstrahlung einer neu bearbeiteten Oper
nicht nur die obligatorischen Sendeentgelte (Materialentschädigung
für Leihmaterial) zu zahlen, sondern auch noch die Kosten
für den Erwerb des so genannten „großen Rechts“ zu
tragen. Wird die Aufführung darüber hinaus als Uraufführung
deklariert, ist ein Zuschlag von 100 Prozent für die Erstsendung
fällig. Auch kooperierende Sendeanstalten müssen die
Ausstrahlung abgelten und es gelingt nur bedingt bei einer Kooperation
von mindesten drei Anstalten, dezimierte Sätze zu kommunizieren.
Die Vorgaben der Regelsammlung sind in den Rundfunkanstalten inzwischen
Programm prägend geworden. Auch ist zu beobachten, dass den
in der European Broadcast Union (EBU) vereinigten Rundfunkanstalten
oft nur Mitschnitte angeboten werden, die nicht der Regelsammlung
unterliegen.
Die jährlich um zirka zwei Prozent steigende Höhe der
Sendeentgelte ist von der Größe des Sendegebietes der
jeweiligen Anstalt abhängig und in einem Von-Bis-Bereich verhandelbar.
Kommen alle Komponenten zusammen, kann der Erwerb eines Senderechtes
für ein musikdramatisches Werk durch eine Rundfunkanstalt
wie zum Beispiel der NDR, WDR oder DeutschlandRadio schnell eine
Summe erreichen, die dem Neupreis eines Kleinwagens entspricht.
Viele Verlage sind unterdessen verhandlungsbereit und verzichten
auf einen Teil der Zuschläge, die ihnen laut Regelsammlung
tatsächlich zustehen.
Beharren allerdings Verlage auf den vollen Betrag laut bestehender
Regelsammlung, sind die Kulturwellen des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks oft nicht mehr bereit und in der Lage, für die Sendung
eines „alten“ Werkes die gleichen Sendeentgelte wie
für die Übertragung einer Oper eines zeitgenössischen
Komponisten zu zahlen. Das ohnehin budgetierte Geld wird dann lieber
einem noch lebenden Komponisten zugedacht. Einige Komponisten denken
und handeln bereits im Sinne der Werkverbreitung und bieten ihre
Stück den Sendeanstalten an, bevor sie diese an den Verlag
geben. Man einigt sich dann auf eine überschaubare Summe und
unterliegt keinem Regelzwang.
Eine zeitgemäße Lösung des Problems wäre eine
Regelung zwischen Verlagen und Rundfunkanstalten, die auf eine
Pauschale hinausläuft. Solch eine Abmachung würde im
Klartext bedeuten, dass mehr materialpflichtiges Repertoire zur
Ausstrahlung und in den Programmaustausch käme. Die Verlage
würden davon profitieren, denn die von ihnen vertretenen Bearbeiter
und Komponisten kämen medial viel mehr zum Zuge.
Veranstalter und Rundfunkanstalten sehen Handlungsbedarf und
die Zeit für gekommen, sich mit den Verlagen an einen Tisch zu
setzen, um die überholte Regelsammlung neu zu definieren.
Die Nachteile einer nicht zustande kommenden Sendung wären
Argument genug und müssten alle Beteiligten überzeugen:
den Veranstaltern geht ein erheblicher Teil an Popularität
verloren, wenn kostenaufwändige Musiktheaterproduktionen nicht
medial verbreitet werden; die Rundfunkanstalten müssen sich
nachsagen lassen, ihrem Kultur- und Bildungsauftrag nicht gerecht
zu werden; nicht zuletzt geht den Verlagen selbst angesichts ihrer
Eigenwilligkeit eine erhebliche Einnahme verloren. Wenn Verlage,
Veranstalter und Rundfunkanstalten einen Schritt aufeinander zugingen,
wäre allen geholfen.