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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 5
56. Jahrgang | Juni
Magazin
Dramatische Perspektiven
Händel als Spielball wirtschaftlicher Interessen
Deutschland verfügt über eine ungeheure Dichte an Musikfestivals.
Von der Nordsee bis zu den Alpen verwandeln sich ganze Landstriche
im Sommer in blühende Musiklandschaften. Ein großer
Schatz, und ein großes kulturelles Potential! Wichtige Partner
der Festivals waren und sind von jeher die öffentlichen Rundfunkanstalten,
die im Rahmen ihres kulturellen Auftrages Live-Aufführungen
regional oder gar bundesweit anbieten. Diese Ausstrahlungen sind
zugleich Botschafter für Musik jenseits des Mainstreams oder
gar neu entdeckte und edierte Stücke. Gerade dieser letzte
Bereich entwickelt sich positiv, und es vergeht kaum ein Jahr,
in dem nicht das eine oder andere, Archiven entrissene Werk begeisterte
Aufführungen erlebt. Aus dem punktuellen Ereignis kann aber
erst dann mehr werden, wenn diese Aufführungen auch verbreitet,
sprich gesendet werden. Diese mediale Verbreitung ist es, die so
manches Werk in die Repertoires der Theater bringt und damit den
scheinbar festgelegten Spielkanon der Opernhäuser immer wieder
mit neuen Werken belebt.
Philipp
Adlung vor seinem Institut in Halle. Foto: Händel-Haus
Das Händel-Haus in Halle vereint unter einem Dach ein Musikmuseum,
eine Forschungsstätte und die 1922 begründeten Händel-Festspiele.
Daneben hat hier die Redaktion der „Hallischen Händel-Ausgabe“ ihren
Sitz. Die Edition von Musik und ihre Aufführung gehen in Halle
wie an wenigen anderen Orten Hand in Hand. Bedauerlich ist, dass
das Anliegen auf Verbreitung der Musik Händels immer häufiger
zum Spielball wirtschaftlicher Interessen von Verlagen und Rundfunkanstalten
wird. So wird es 2007 aus Halle keine Übertragung des erst
jüngst rekonstruierten Pasticcios „Giove in Argo“ geben.
Auch die fest eingeplante Ausstrahlung der Oper „Riccardo
I.“ scheitert an kleinlichen, pekuniären Interessen.
Für Halle bitter ist, dass gerade hier die Edition – mit öffentlichen
Mittel kräftig subventioniert! – entsteht, die nun kommerziell „ausgeweidet“ werden
soll. Musikverlage verstehen es schon seit langem, ihre wirtschaftlichen
Risiken bei kritischen Editionen soweit wie irgend möglich
zu minimieren: überall sind Forschungsgemeinschaften und Förderstiftungen
eingebunden, ohne die offenbar kein Verleger mehr einen Griffel
in die Hand nimmt. Die Senderechte sind da ein hübsches Zusatzsalär,
das man freilich ganz alleine einsteckt. Kaum besser die öffentlich-rechtlichen
Anstalten: sie werden aus Gebühren finanziert, eben um ihren
kulturellen Auftrag zu erfüllen. Da darf eine Händel-Übertragung
nicht an 1.000 oder 2.000 Euro scheitern!
Musik ohne Publikum? Das ist schlechterdings nicht vorstellbar!
Vielleicht müssen wir uns aber
an den Gedanken gewöhnen, dass die lieb gewonnenen, sommerlichen
Musikübertragungen bald der Vergangenheit angehören.
Bevor es aber so weit ist, sollte man an die Vernunft der Beteiligten
appellieren. Denn die Verbreitung von Musik liegt im Interesse
aller, nicht zuletzt der Verlage. Denn wenn ihr Material nicht
benutzt wird, dann gibt es auch keine Einnahmen. Viel dramatischer
wäre aber als Folge ein Einbruch der Drittmittel: denn wozu
soll man die Erarbeitung kritischer Werkausgaben fördern,
wenn deren Verwendung an den Forderungen der Verlage scheitert?
Man sieht: hier spielt manch Beteiligter mit dem Feuer, freilich
ohne den Rauch zu bemerken.
Die Übertragung von Konzert- und Festspielaufführungen
sind für die Veranstalter essentiell. Wenn Verlage und Anstalten
hier keine Bewegung zeigen sollten, dann wäre eine Alternative
die Verwendung günstiger erreichbarer oder gar urheberrechtlich
nicht geschützter Werkausgaben. Dass für die diesjährige „Giulio
Cesare“-Produktion bei den Göttinger Händel-Festspielen
das vorhandene, kritische Notenmaterial aus Kostengründen
nicht benutzt wird, zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Sicher
ist nur eines, dass sich Veranstalter und Musikfestivals nicht
länger von Anstalten und Verlagen gängeln lassen werden.