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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 6
56. Jahrgang | Juni
Magazin
Phönix aus der Asche: historische Aufnahmen restauriert
Urheberrecht und CD-Piraterie – zur Schutzwürdigkeit
einer tonmeisterlichen Leistung
„Früh übt sich, wer ein Meister werden will“ – eine
Binsenweisheit zwar, aber wie immer trifft sie die Sache auf den
Punkt. Wer den Meisterbrief führt, hat in der Regel viel Zeit
und Geld in die Hand genommen und in seine Ausbildung investiert,
um von seiner Zunft als Fachmann anerkannt zu werden. Umso besorgter
müssen Kollegen des Verbandes Deutscher Tonmeister (VDT) immer
wieder registrieren, dass Arbeiten aus ihren Werkstätten – wenn
sie im Zusammenhang mit der Restauration historischer Schallaufnahmen
stehen – sehr schnell zum „Freiwild“ werden.
Aufwendig neu gemasterte, oftmals mit viel Liebe zum musikalischen
und historischen Detail klanglich vollständig überarbeitete
und der gegenwärtigen Audiophilosophie angepasste historische
Einspielungen fallen scheinbar ungebremst in das Haifischbecken
der CD-Piraterie.
International anerkannte Tonmeister, wie zum Beispiel der für
Naxos arbeitende Mark Obert-Thorn oder Jürgen Crasser, der
sämtliche Editionen von Bear Family neu gestaltet und auch
Holger Siedler, der mit seinen historisch Bearbeitungen im Rahmen
der vom Label „Profil“ herausgegebenen „Edition
Staatskapelle Dresden“ in internationalen Rezensionen höchste
Punktzahlen für seine Arbeit einfährt, können ein
Lied von dieser Quellenlage singen: Ein oftmals gruseliger Mix
von Schellackplatten (durch das Abspielen mit Stahlnadeln ergraut,
bei unsachgemäßer Lagerung verkratzt, gerissen oder
durch falsche Lagerung verzogen), Langspielplatten der ersten Generation,
deren Rillen durch das Abspielen mit den schweren Plattenhobeln
der 50er-Jahre quasi eingeebnet wurden oder verknitterten Tonbändern,
die schon merkwürdig nach Essig riechen, die teils vom Bobby
gerutscht sind, oder die – auch dies kommt vor – aus
Platzgründen von so genannten professionellen Archivaren von
der originalen 76er Masterbandgeschwindigkeit auf die 19er Consumergeschwindigkeit
herunterkopiert wurden. Hat der Tonmeister Glück, sieht er
sich nur mit einem der hier beschriebenen Sachverhalte konfrontiert.
In der Regel stellt sich aber bei der Detailanalyse heraus, dass
viele Störkomponenten aufeinander treffen. Die Ausgangssituation
vor der Restaurierung ist immer individuell. Der Weg zum Erfolg
kann aus diesem Grunde nicht über eine routinemäßige
Abfolge von Handgriffen erfolgen. An diesem Punkt beginnt die schöpferische
Eigenleistung des Tonmeisters.
Sie sind in der Regel keine eigenen Produzenten, sondern Dienstleister
im Auftrag von Labels, die sich der seriösen Veröffentlichung
historischer Aufnahmen verschrieben haben. Da wird Geld in die
Hand genommen, oftmals in stattlicher Höhe, um am Ende ein
Produkt zu erhalten, das im audiophilen Bereich konkurrenzfähig
ist. Umso ernüchternder ist schließlich die Erkenntnis,
dass das Endprodukt „vogelfrei“ ist. Die geleistete
Arbeit ist – per Gesetzeslücke – für jedermann
kostenfrei nutzbar. Der nach kaufmännischen Regeln kalkulierende
seriöse Produzent muss die Vorkosten in seinen Händlerabgabepreis
mit einkalkulieren, der Trittbrettfahrer kann hingegen sein Produkt
schnell und schmutzig zu Dumpingpreisen auf den Markt werfen. Einschlägige
Prozesse gegen derartige Trittbrettfahrer verlaufen in der Regel
im Sande. Bisher haben es die individuellen Restaurierungsmerkmale,
die in jeder Veröffentlichung enthalten und nachweisbar sind,
noch nicht geschafft, vor Gericht als Beweis für ein Abkupfern
anerkannt zu werden. Dabei ist durchaus zu behaupten, dass sich
unter den Meistern ihres Faches mittlerweile eindeutige, klangästhetische
Handschriften herauskristallisiert haben. Ihre Namen auf den Covers
sind ein Qualitätskriterium und geben dem Musikliebhaber Auskunft über
das zu erwartende Klangbild einer historischen Veröffentlichung.
Und bei den unter Piratenflagge arbeitenden Billig-anbietern, die
natürlich und aus gutem Grund ihre Quellen verschweigen müssen,
wundert sich nach erfolgter feindlicher Übernahme mancher
Rezensent über die hervorragende Klangqualität.
Um nicht missverstanden zu werden: Es geht hier nicht um die
in letzter Zeit viel diskutierte Anhebung der 50-Jahres-Schutzfrist.
Diese gesetzliche Regelung hat dazu beigetragen, dass wir mittlerweile
in Europa und in vielen Ländern der Welt in den Genuss einer
einzigartigen kulturellen Vielfalt kommen können. Eine Anhebung
dieser Deadline hätte sogar katastrophale kulturelle Auswirkungen,
denn sie würde den nach knallharten Markt- und Umsatzkriterien
kalkulierenden Major Companies eine Art Sperrmonopol in die Hand
geben. Das Veröffentlichungsspektrum würde sofort wieder
auf die wenigen historischen und profitablen Dauerbrenner zusammenschrumpfen.
Das gesamte Nischenrepertoire hingegen, das von kleineren, seriös
arbeitenden Labels betreut wird, hätte hingegen keine Chance
mehr. Man bleibt bei den Majors lieber vornehm unter sich. Lizenzpflichtige
Aufnahmen werden wegen des zu erwartenden geringen Ertrages und
des zu erwartenden bürokratischen Aufwandes selten oder gar
nicht herausgegeben oder verlizensiert. Leidige Erfahrungen in
diesem Punkt sprechen eine klare Sprache.
Um die Sache auf den Punkt zu bringen: Eine fünfzigjährige
Schutzfrist, so wie bereits im Gesetz verankert, unter Hinzunahme
eines neuen, eigenen Copyrights für die Tonmeisterleistung
sollte das Ziel sein. Jeder, der im Besitz eines historischen,
nach heutigen Qualitätskriterien jedoch klangtechnisch und
damit auch kommerziell nicht mehr verwertbaren, die Schutzfristen
einhaltenden Originaltonträgers ist, soll die Freiheit haben,
sich damit auf dem Markt zu versuchen. Dies aber mit der Gewährleistung,
dass seine finanziellen Aufwendungen einen Schutz vor Piraterie
genießen. Ein Fotograf, der die historische Himmelsscheibe
fotografiert, erhält auf sein Bild ein Copyright, ein Musikverleger,
der ein unbekanntes, historisches Bach-Autograph neu setzen und
drucken lässt, hat bei Aufführungen des Werkes Anspruch
auf Materialentschädigung. – Warum also ist das Werk
des Tonmeisters nicht geschützt, der historische Aufnahmen
wieder wie einen Phönix aus der Asche holt?