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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 55
56. Jahrgang | Juni
Portrait
Erkenntnis eigener Identität durch Gesang
„Dass es knallt in Deutschland“ – Anna Haentjens und
ihre Chanson-Werkstatt
In Deutschland ist die nationale Chanson-Tradition noch allzu
wenig öffentlich
präsent. Das Interesse an schneidiger Satire, frechen Humoresken,
melancholischer Poesie oder politischen Couplets, kurzum: an literarischen
Liedern gedeiht in kulturellen Nischen.
Anna
Haentjens
Anna Haentjens hat bei der schon legendären Brecht-Interpretin
Gisela May gelernt, dass Chansons zu singen einen speziellen Persönlichkeitstypus
erfordert. Nämlich fähig zu sein, durch Stimme, Gestik
und Mimik aus sich heraus einen Text singend zu gestalten. Seele
und Körper müssen gleichermaßen beteiligt sein,
um glaubwürdig zu sein. Nun hat Anna Haentjens sich als Künstlerin
etabliert, für die „Chanson total“ zum Lebensmotto
geworden ist. Ihre Programme sind jeweils eine Blütenlese
dieses Genres: sei es als Hommage an Marlene Dietrich und andere
bekannte Sängerinnen, an Dichter wie Heinrich Heine, Erich
Kästner und Wilhelm Busch oder in Wiederentdeckungen von verdrängtem
Repertoire, etwa die „Poetischen Waren (aus dem dreißigjährigen
Krieg)“ von Johann Rist und die Originalversionen der Antikriegslieder
(Lili Marlen) von Hans Leip.
Ihre Chansonforschung und Chansonpflege findet weithin Anklang,
nicht nur bei begeisterten Veranstaltern. Wissen um und Erfahrung
mit Chansonkunst gibt Anna Haentjens gerne seit einigen Jahren
weiter, in Kursen, wo Laien und ausgebildete Sängerinnen und
Sänger sich selbst ausgesuchte Lieder mit professioneller
Unterstützung aneignen können.
In der Nähe ihrer Wohnung, an der Volkshochschule Elmshorn,
finden diese Kurse statt, wohin Teilnehmerinnen und Teilnehmer
aus ganz Deutschland anreisen. Maximal zehn Personen unterrichtet
Anna Haentjens nicht öffentlich je einzeln in 45 Minuten,
denn ein Chanson interpretieren bedeutet, die eigene Identität
durch Gesang zu erkennen. Deshalb ist für Anna Haentjens die
sehr individuelle Betreuung der Interpretation wesentlich, um den
Lernenden dauerhaft Sicherheit zu geben.
Diese Chansonwerkstatt wird jetzt mobil und ist ins 13. Sommerfestival
auf Schloss Filseck eingebunden worden. Mit ihrem Klavierpartner
Manfred Schmitz, der auch Gisela May am Berliner Ensemble begleitete
und selbst viele Chansons komponiert hat, wird Anna Haentjens vom
24. bis 28 Juli 2007 acht Personen für eine Chanson-Matinèe
vorbereiten. Selbst stellt sie die Revue „Dass es knallt
in Deutschland – Das literarische Chanson von 1901 bis heute“ vor.
So öffnet sich die Chanson-Nische mit Anna Haentjens für
die Zukunft.
Hans-Dieter Grünefeld
Diskografie (Auswahl)
Anna Haentjens: Kinderzeit. Klavier, Sven Selle, Thorofon CTH
2218
Anna Haentjens: ... und bleibe Berlinerin – Marlene Dietrich
und ihre Chansons. Klavier, Sven Selle, Haentjens Records 2002
Anna Haentjens: Chansons nach Texten von Erich Kästner.
Klavier, Sven Selle, Haentjens Records 2002
Anna Haentjens: Max und Moritz – Eine Bubengeschichte
in sieben Streichen von Wilhelm Busch.
In der Vertonung von Manfred Schmitz.
Klavier, Sven Selle, Haentjens Records 2007
Anna Haentjens: Lieder nach Texten von Wilhelm Busch. Klavier,
Sven Selle, Haentjens Records 200