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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 43
56. Jahrgang | Juni
Rezensionen-CD
Transzendental
György Ligeti: Die vollständige Klaviermusik; Fredrik
UIIén, Klavier.
BIS/Klassik Center Kassel CD-1 683-84 (2 CDs)
Kaikhosru Sorabji: 100 Transzendentale Etüden: Etüden
Nr. 1–25; Fredrik Ullén, Klavier.
BIS-CD-1 373
Die noch zu Lebzeiten des Komponisten konzipierte Neuausgabe von
Ulléns Ligeti-Aufnahmen fasst nicht bloß die bislang
erschienenen CDs zusammen, sie ergänzt sie auch – teils
in Erst-
einspielung – um die frühesten und spätesten bekannten
Kompositionen, nämlich die vier Klavierstücke „Basso
ostinato“ von 1941 und die Etüden 17 und 18, die bis
2001 entstanden und das dritte Buch abschließen, sowie ein
weiteres, als Etüde verworfenes Stück namens „L‘arrache-cœur“,
das György Kurtág gewidmet ist. Somit bekommt der geneigte
Hörer nicht nur eine süperb klingende Alternative zu
den Aufnahmen Aimards an die Hand, sondern auch ein wertvolles
Kompendium avanciertesten Umgangs mit Polyrhythmen – ein
Hauptinteresse Ligetis, das sich bereits in der „Musica ricercata“ (1951-53)
und den „3 Stücken für 2 Klaviere“ von 1976
andeutete. Außerdem bietet nur der Schwede eine Lesart der „Chromatischen
Phantasie“ an – Ligetis einzigem konsequent dodekaphonen
Werk und zugleich dem letzten, das er vor seiner überstürzten
Flucht in den Westen noch vollenden konnte. Anhand seiner Klavierwerke
könnten wir Ligetis musikalische Entwicklung von den ersten
Versuchen bis hin zum Spätwerk verfolgen – wenn nicht
zwischen 1958 und 1976 eine signifikante Lücke klaffen würde,
in der unter anderem alle Stücke entstanden, die von der viel
zitierten Mikropolyphonie Gebrauch machen – von den „Apparitions“ bis
hin zur „San Francisco Polyphony“.
Sein aktuelles Projekt wird Ullén noch auf Jahre hinaus
in Anspruch nehmen – eine herkuleische Tat, von der nicht
einmal absehbar ist, wie viele CDs sie umfassen wird: die einhundert
Etüden (1940–44) des Kaikhosru Sorabji; geschätzte
Aufführungsdauer: sieben Stunden. Der völlig abgehobene
Einführungstext trägt leider nichts zur Erschließung
des in der Tat transzendental unzugänglichen Etüdengebirges
bei, dessen musikgeschichtlicher Rang erst dann beurteilt werden
kann, wenn der Zyklus komplett vorliegt. An der epochalen Bedeutung
von Ligetis gefeierten Gattungsbeiträgen hingegen besteht
schon jetzt kein Zweifel mehr.