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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 47
56. Jahrgang | Juni
Rezensionen - DVD
Dylan ’65 – ein Blick zurück
Pennebakers legendärer „Don’t Look Back“-Film
auf DVD
Als Don Alan Pennebakers schwarzweiße Dylan-Dokumentation „Don’t
Look Back“ vor genau 40 Jahren, im Mai 1967, in die amerikanischen
Kinos kam, herrschte Funkstille im Hause des Meisters. Nach einem
mysteriösen Motorradunfall war die moderne Stimme Amerikas
verstummt gewesen. Dylans letzte Schallplatte, das Meisterwerk „Blonde
On Blonde“, war bereits vor einem Jahr erschienen. Genau
in diese Dylan-lose Zeit platzte die „Mutter“ aller
Backstage-Dokus, die nun endlich als Special Edition bei Sony BMG
auf DVD erschienen ist, inklusive Outtakes und Premierenbüchlein.
Obwohl „Don’t Look Back“ während Bob Dylans
letzter „akustischer“ Englandtournee im Frühling
1965 entstand, wird mit dem Film vor allen Dingen ein Song aus
seiner „elektrischen“ Phase verbunden: „Subterranean
Homesick Blues“. Das dazugehörende Zwei-Minuten-Filmchen,
das im Film wie ein Fremdkörper wirkt, wird gerne als die
Geburtsstunde des Videoclips betrachtet. Doch schon vor einiger
Zeit hat Pop-Professor Diedrich Diederichsen die ganze Sache klargestellt: „Historisch
ist das nicht richtig, denn der gemeinte Kurzfilm, der die Single ‚Subterranean
Homesick Blues‘ visuell unterstützen sollte, war keineswegs
die erste dieser Maßnahmen zur Ankurbelung des Schallplattenverkaufs
während der sechziger Jahre: Er existierte ursprünglich
nur als Eröffnungssequenz von Pennebakers ,Don’t
Look Back‘.“
Im Audiokommentar nennt Pennebaker nun zum ersten Mal Dylans
Vorbilder für diese Sequenzen: die Scopitones. Bereits seit
1939 existierten in den USA visuelle Jukeboxen. Nach dem Zweiten
Weltkrieg begann
man auch in Europa mit ähnlichen Geräten herumzuexperimentieren.
So entstand Ende der Fifties in Frankreich eine Jukebox, die 36
Filme zur Auswahl anbot: Scopitone. 1965 war die Scopitone-Welle
auch nach Amerika hinübergeschwappt. Als 1967 dann Pennebaker
Dylans „Subterranean Homesick Blues“ als Kinotrailer
verwendete, war die Zeit der Scopitones schon wieder vorbei. Auch
visuell war Dylans „Blues“ natürlich sehr reizvoll.
Kühn war für Diederichsen, „wie Dylan ein Prinzip
des Experimentalfilms seiner Zeit aufgreift und abgefilmte Schrift
ins Zentrum stellt. Der Text seines Songs wird nicht gesungen (auch
wenn der Song natürlich aus dem Off erklingt), sondern durch
oft fehlerhafte Schrifttafeln mit den Reimworten der jeweiligen
Zeile repräsentiert, die Dylan so lange in die Kamera hält,
wie seine Schallplattenstimme aus dem Off die entsprechende Zeile
singt“. In einem der vielen Outtakes erklingt noch einmal
der „Subterranean Homesick Blues“. Dieses Mal aus einem
Kofferradio. Stolz spielt ihn Dylan seiner Entourage vor und fügt
hinzu: „A Columbia Record“. Ähnlich wie Barbra
Streisand ist Dylan bis heute seiner alten Plattenfirma (bis auf
eine kurze Unterbrechung) treu geblieben. Heuer werden es 46 Jahre
werden.
Als Dylan-Manager Albert Grossman Pennebaker das Angebot machte,
die Englandtournee seines Schützlings zu filmen, dachte er
natürlich
an einen „Promo“-Film für Columbia Records. Aber
das Werk, das nur wenige Konzertausschnitte enthielt, eignete sich
dann damals doch nicht so richtig zu Promo-Zwecken. Als es Pennebaker
später der Filmfirma Warner-Seven Arts anbot, wurde er nur
ausgelacht. Es fehle der Fokus, hieß es. Dabei hatte Pennebaker,
der im Übrigen später auch für den Bayerischen Rundfunk
einen sehr ähnlichen Film über Franz Josef Strauß drehte,
beiläufig ein neues Genre erfunden: die Backstage-Doku. Vorher
hatte es Starvehikel wie die Elvis-Filme oder Richard Lesters Beatles-Musicals
gegeben. Nun war plötzlich der Blick hinter die Kulissen erlaubt.
Natürlich war das ganze ein Fake – im „Direct
Cinema“-Stil der Sixties. Aber man bekam doch ein Gefühl
für die aufgekratzte Atmosphäre, die während dieser
letzten „akustischen“ Tournee in England herrschte.
Irgendwann im Film beginnt Dylan einen alten Hank-Williams-Song
anzustimmen: „Lost Highway“. Und plötzlich erklingen
die Zeilen, die ihn wohl zu seinem wichtigsten Song jener Phase
inspiriert haben dürften: „I’m a rolling stone,
I’m alone and lost ...“ Mit dem elektrischen „Like
A Rolling Stone“ wird Dylan wenige Monate später Pop-Geschichte
schreiben. Es wird sein größter US-Hit werden. Später
im Film glaube ich dann sogar, der Geburt dieses Jahrhundertsongs
beizuwohnen. Wieder mal sitzt Dylan fast abwesend an einem verstimmten
Klavier und hämmert darauf los – und irgendwie klingt
es für mich schon wie „Like A Rolling Stone“,
das er nach dieser England-Tournee schreiben wird. Aber das könnte
auch nur Einbildung sein – und so versuche ich, einen anderen
Ohrenzeugen zu finden. Nach langem Suchen in meiner Dylan-Bibliothek
finde ich tatsächlich einen weiteren Zeugen, der meinen Eindruck
bestätigt, den Dylan-Forscher Paul Williams. Auch für
ihn kündigt sich „Like A Rolling Stone“ an, „als
Dylan irgendwo in England an einem Klavier hinter der Bühne
sitzt und voller Energie darauf improvisiert. In den aufsteigenden
Akkorden, die Dylan ganz am Anfang dieses Backstage-Solos spielt,
kann man das grundlegende Muster hören, das die Basis der
Refrainmelodie und die wiederkehrende harmonische Figur in ‚Like
A Rolling Stone‘ darstellen wird. Der Film hat hier das Wunder
künstlerischen Schaffens eingefangen: Ein großes Werk
taucht langsam aus dem Unterbewusstsein des Künstlers auf
und beginnt in der materiellen Welt Gestalt anzunehmen – man
bekommt richtig Gänsehaut beim Zusehen.“