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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 44
56. Jahrgang | Juni
Noten
Leichte Klavierstücke, Tänze und anderes
Tschaikowsky, Debussy, Skrjabin, Fauré und Neefe in neuen
Ausgaben
Peter I. Tschaikowsky: Leichte Klavierstücke und Tänze,
Bärenreiter BA 6576
Nach mehreren bereits erschienenen Heften
wird diese Reihe für den Unterricht mit dem Komponisten Peter
Tschaikowsky weitergeführt. Diese praktischen Sammlungen sind
Unterrichtsmaterial im besten Sinne, denn sie enthalten eine Auswahl
kurzer Stücke in einer Ausgabe. Bei Tschaikowsky kommen hierfür
eigentlich nur drei zyklische Werke in Frage: das in Anlehnung
an Schumanns „Album für die Jugend“ entstandene „Kinderalbum“ op.
39, die „Jahreszeiten“ op. 37a und die „12 Stücke
für Klavier“ op. 40. Sie entstanden zudem im gleichen
zeitlichen Umfeld zwischen 1876 und 1878. Während aus dem
Kinderalbum vorwiegend die Tänze (Mazurka, Polka, Neapolitanisches
Tanzlied) ausgewählt wurden, überwiegen bei den Jahreszeiten
die Monate, die einen eher ruhig schwingenden Charakter aufweisen
(März: „Lied der Lerche“, Mai: „Weiße
Nächte“, Juni: „Barcarole“). Die Jahreszeiten
entstanden ja für ein monatlich erscheinendes Journal und
richteten sich vornehmlich an Liebhaberinnen des Klavierspiels.
Dieser Bezug erklärt auch den thematischen Ansatz der einzelnen
Monate.
Wie ein Kontrast wirkt da die kindliche Fantasie: „Die Hexe“ und „Süße
Träumerei“ aus op. 39. Das „Chanson triste“ aus
op. 40 gehört zweifelsfrei auch in diese Sammlung; fast choralartig
zum Abschluss das „Thema in E“ aus dem Trio op. 50.
Der Editor Michael Töpel bezog noch einige russische Volkslieder
in der Originalfassung zu vier Händen mit ein und bietet auch
eine behutsame Einrichtung für zwei Hände mit an. Die
Fingersätze wurden von Annette Töpel bezeichnet und berücksichtigen
eher kleinere Hände. Leider gibt es im Text mehrere Druckfehler,
die aber unschwer zu erkennen sind und dieser schönen Ausgabe
keinen Abbruch tun.
Claude Debussy: Children’s Corner,
Bärenreiter BA 8767
Als Claude Debussy bei Frau von Meck als Hauspianist tätig
war, kam er mit Mussorgskys Liederzyklus „Kinderstube“ in
Berührung. Er bewunderte den Scharfblick des russischen Meisters
für die kindliche Psyche. An die Stelle manch dunkler Untertöne
des Vorbildes tritt in Debussys „Spielecke“ gutmütige
Ironie, kindhafter und der kindlichen Fantasie entgegenkommender
Spaß in den Vordergrund. Die 1906/08 komponierten Stücke
lassen sich, was Satz und Inhalt angeht, jedoch kaum von Kindern
bewältigen. Die kritische Neuedition von Regina Back bezieht
sich auf die Erstausgabe als Hauptquelle. In der Einführung
(acht Seiten in je drei Sprachen) erläutert sie detailliert
ihre Arbeit an dieser Edition. Sie gibt Auskunft zur Entstehungsgeschichte,
den musikalischen Bezügen, zur Aufführungspraxis und
nennt die Quellen. Ihre Recherchen beruhen auf Akribie und Perfektion,
auch die Walzenaufnahmen des Komponisten wurden bei schwierigen
Entscheidungen mit herangezogen. Beim Blick ins Heft und dem Vergleich
mit anderen Ausgaben fällt auf, dass die Verwendung der Schlüssel
für die rechte Hand ganz unterschiedlich gehandhabt wird.
Im Bereich um das eingestrichene C sind ja sowohl Violinschlüssel
als auch Bassschlüssel möglich. Die Verwendung hier erscheint
oft unsinnig und auch schwer lesbar, selbst wenn es im Urtext so
stehen mag. Sehr hilfreich sind die Erläuterungen zur Aufführungspraxis.
Obwohl Debussy im Text mit Angaben zu Tempo, Dynamik, Phrasierung,
Pedalgebrauch und auch Fingersätzen nicht sparte, gibt dieses
Hintergrundwissen Denkanstöße zur Handhabung.
Noch ein Wort zum letzten Stück. „Golliwogg‘s
Cake Walk“ gilt als das erste vom amerikanischen Rag-Rhythmus
beeinflusste europäische Musikstück. „Zu Ragtime-Klängen
tanzte man den Cake-Walk, in Amerika und in Europa“ (Arrigo
Polillo). Meines Wissens hat dieser Tanz den Namen bekommen, weil
man als Preis einen Kuchen erhielt. Dass es da eine Parallele zu
einem französischen Feldsignal gibt, ist mir neu.
Die diffizilen Stücke aus „Children‘s Corner“,
besonders „Jimbo‘s Lullaby“, „The snow
is dancing“ oder „The little Shepherd“ hört
man noch viel zu selten. Vielleicht kann diese Neuausgabe helfen,
dies zu ändern.
Alexander N. Skrjabin: 24 Préludes op. 11,
Edition Peters, Nr. 9287b
Als Student des Moskauer Konservatoriums wagt sich Alexander
Skrjabin im Jahre 1888 an diesen Zyklus mit Stücken in allen Tonarten.
Inspiriert von Chopins op. 28 und wie dieses wiederum von Bachs „Wohltemperiertem
Klavier“ sind diese Préludes das kompositorische Tagebuch
für seine schöpferische Experimentierfreude. Dieses Genre
spielt nicht nur im Jugendschaffen eine zentrale Rolle, es rundet
auch sein Gesamtwerk ab. Günter Philipp gilt als Kenner des
Skrjabinschen Werkes (von ihm liegen bereits mehrere Editionen
vor). Besonderes Augenmerk bei der interpretatorischen Umsetzung
legt er auf die Anwendung des Pedals und die daraus resultierende
Behandlung von Fingersatz und Artikulation. Die Präzision
seiner Ausführungen sind das Ergebnis einer eingehenden Beschäftigung
sowie umfangreicher Erfahrungen aus der Praxis. Auch Philipp hörte
schon in den sechziger Jahren „Welte-Mignon“-Walzen
ab.
Das op. 11 des Komponisten wurde im Verlauf von acht Jahren an
unterschiedlichen Orten geschrieben. Im Autograph findet sich
am Ende jeden Stückes ein Vermerk zu Ort und Datum seiner Entstehung.
Wie bei Chopin baut sich der Zyklus im strengen Quintenzirkel auf
(die Molltonarten folgen den Durverwandten nach). Die durchweg
nur ein bis zwei Seiten umfassenden Préludes spiegeln charakteristisch
ganz unterschiedliche Stimmungen wider. Das Tempo spielt dabei
eine ganz wesentliche Rolle, auch hinsichtlich der spieltechnischen
Anforderungen. Agogik erfordert bei Skrjabin eine eigenständige
Behandlung, wie überhaupt alle interpretatorischen Möglichkeiten
gekonnt ausgeschöpft werden sollten. Wie der Herausgeber an
anderer Stelle kritisch bemerkt, erfährt Skrjabin auch heute
noch, und ganz besonders im Unterrichtsbereich, nicht die Würdigung,
die ihm zweifelsohne zusteht. Seine Préludes sind eine wahre
Fundgrube für den Musikfreund und eignen sich auch für
fortgeschrittene Schüler sehr gut als Einstieg.
Gabriel Fauré: Dreizehn Nocturnes, Edition Peters London,
No. 7659
„In der Klaviermusik ist kein Platz für Firlefanz,
man kommt direkt an die Kasse und muß sich dauernd was Interessantes
einfallen lassen“ (Fauré an seine Frau im Jahre 1910).
Der Herausgeber Roy Howat eröffnet mit diesem Zitat sein Vorwort.
Kaum ein anderer Komponist hat die Problematik so präzise
auf den Punkt gebracht. Die Komposition der Nocturnes umfasst einen
sehr langen Zeitraum, von 1870 bis 1921. Alle Stücke wurden
mit Widmungen versehen und so lassen sich Weggefährten, Förderer,
Kontakte zu Interpreten aufzeigen und beleuchten. Howat verknüpft
Informatives mit Fachwissen, wobei er auch Fauré selbst
zu Wort kommen lässt. Das Klavierwerk des Komponisten konzentriert
sich auf den Typus des Charakterstückes. In seinem Klavierstil,
der an die Romantik anknüpft, sich aber impressionistischen
Elementen eher verschließt, beherrschen vielfältige
Mischungen zwischen heiterer Eleganz und elegischer Nostalgie den
Ausdruck.
Der Klaviersatz verzichtet weitgehend auf knifflige Passagen; er
lebt von Durchsichtigkeit, Brillanz und Klarheit. Erst im Verlauf
einer eingehenden Beschäftigung wird der Interpret alle Schattierungen
entdecken können. Formell bewegt sich Fauré nach einem
bestimmten Grundmuster, der dreiteiligen Reprisenform. Dieses Brückenmodell
fußt auf einem meist melancholischen Grundimpuls mit weich
ausladender Melodik, welcher in einem Mittelteil kontrastreich
(Tempo) und teils dramatisch unterbrochen wird, um abschließend
im Grundtenor verklingen zu können. Die Nocturnes können
von bereits fortgeschrittenen und begabten Schülern durchaus
bewältigt werden, gehören aber eher ins Studienrepertoire.
Christian Gottlob Neefe: XII Klaviersonaten, Verlag Dohr Köln,
E.D.26347
Neefe? Da war doch was. Genau, Beethovens Bonner Lehrer. Schon
Musik von ihm gehört oder selbst
gespielt?
Nein? Das war auch schwer möglich, waren doch die Zwölf
Klaviersonaten schon längere Zeit nicht mehr lieferbar. Der
Verlag Dohr hat es sich zur Aufgabe gemacht, vergriffene Ausgaben
wieder auf den Markt zu bringen. Unterstützung für den
vorliegenden, auch optisch sehr ansprechenden Band erhielt er von
der Arbeitsgemeinschaft für Rheinische Musikgeschichte sowie
der Kulturstiftung NRW.
Den Förderern ist es zu verdanken, dass zudem Einspielungen
auf Tonträgern, hier von Oliver Drechsel, beigegeben werden
konnten. Den Klaviersonaten, die sogenannten Kurfürsten-Sonaten
Beethovens, die er während seiner Schülerschaft bei Neefe
komponierte, gegenüberzustellen, ist sehr geschickt. Für
die Aufführung wünschte Neefe ausdrücklich den Clavichord-Klang
(dem konnte entsprochen werden), es gibt aber auch eine Aufnahme
mit einem modernen Konzertflügel zum Vergleich. Inge Forst
dokumentiert in ihrem Vorwort den aktuellen Stand der Neefe-Forschung.
Zudem finden sich im Anhang ein eigens vom Komponisten beschriebener
Lebenslauf mit einem Resultat seiner Beobachtungen selbst und
auch eine Fortsetzung seiner Witwe in sehr unterhaltsamer Weise.
Seine Sonaten widmete er keinem Geringeren als Carl Philipp Emanuel
Bach. Auch das liebenswerte Widmungsschreiben ist veröffentlicht
worden. Neefe hat bereits als Chemnitzer Schüler (dort 1748
geboren) den „Versuch über die wahre Art, das Clavier
zu spielen“ studiert. Bei seiner späteren musikpädagogischen
Tätigkeit legt er sehr viel Wert auf eine systematische Methodik.
Im Zentrum seines Instrumentalschaffens stehen seine Werke für
das Klavier. Die hier veröffentlichten Sonaten sind Neefes
erste größere Klavierwerke. Auch sie entstanden noch
im engen Kontakt zu Hiller in Leipzig und erschienen 1773 dort
im Druck.
In seiner Widmungsschrift bemerkt er fast entschuldigend, dass
er „in den kleinen Abschnitten und Cadenzen zu gesangmäßig
geworden“ sei. Weiter schreibt er: „Ich sehe aber nicht
ein, warum man das nicht mannichmal auch auf dem Klaviere leiden
dürfe.“ Gesangsmäßigkeit als Oberbegriff
findet auch seinen Niederschlag in den Tempobezeichnungen: Allegro
grazioso, Andante con Tenerezza, Con Gusto oder Largo e mesto zum
Beispiel. Der galante und feinfühlige Stil herrscht hier vor.
Und wie von Inge Forst richtig bemerkt, ist der 1. Satz der Kurfürsten-Sonate
nicht zufällig ein Allegro cantabile. So lassen sich Neefes
Sonaten ins Vorfeld der Wiener Klassik einordnen und verdienen
praktische Aufmerksamkeit.