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nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 30
56. Jahrgang | Juni
Deutscher
Tonkünstler Verband
Musik, welche die innere Welt ausdrückt
Mandala-Quartett führt Werke von Gloria Coates und Dorothee
Eberhardt auf
Wie kann man heute Streichquartette komponieren, die einerseits
der Gattung gerecht werden, andererseits aber das vorgegebene Schema
verlassen? Wahrlich keine leichte Aufgabe für einen Komponisten
und so mancher hat sich da schon verirrt – entweder zerfiel
das Ensemble in vier Solisten oder die Formen und Klangschemen
der großen Meister waren überdeutlich zu hören.
An diesem Abend im kleinen Saal des Münchners Gasteig konnte
zeitgenössische Tonkunst vom Feinsten erlebt werden. Die Gemeinschaft
der Künstlerinnen und Kunstfreunde e.V. München (GEDOK)
stellte zwei renommierte Komponistinnen mit ihren Werken vor:
Die in München lebende Amerikanerin Gloria Coates und die
Münchnerin Dorothee Eberhardt.
Die Quartettkompositionen von Gloria Coates erregten auf internationalen
Festspielen bereits mehrfach großes Aufsehen. Von den inzwischen
acht Streichquartetten der Komponistin war das String Quartet No.
6 mit den Sätzen I. Still, II. Meditation und III. Evanescence
zu hören.
„
Still“ erschließt ausgehend von einem einzigen Sforzato-Ton
eine eigene Klangwelt, die dem Stück innewohnt. Tatsächlich
wächst aus einer Tonformation als Introduktion ein Klangspektrum,
das dem langsamen Öffnen einer Blüte gleicht. Die hier
eingebetteten, schlichten Melodien erhalten aber ihre besondere
Brillanz dadurch, dass die Instrumente der 1. Violine und der Viola
um einen Viertelton höher gestimmt sind, als die der übrigen
Quartettpartner. Hierdurch entsteht bei aller Stille und Schlichtheit
eine unheimliche, mysteriöse Atmosphäre.
Der zweite Satz repräsentiert die Kunst der kontinuierlichen
Glissandi, die zu den Meisterstücken der Komponistin gehört.
Es entsteht ein Klangmeer, das dem Hörer zwischen Shärenharmonie
und Alltagsgeräuschen alle Assoziationsbereiche öffnet,
wenn er sich darauf einlässt. Die Kontinuität wird durch
eine interne klare kontrapunktische Struktur vorgegeben, eine,
von der Musik des Barock adaptierte, sich rastlos fortbewegende
Klangschiene.
„
Meine Musik drückt meine innere Welt aus. Ich kann sagen,
das, was auch immer ich erfinde, es ist meine aufrichtige Suche
nach der Wahrheit, und dass die Musik aus verborgenen Teilen meines
Selbst kommt, sowohl emotional als auch intellektuell“ sagt
die Komponistin zu ihrem Musikstil in einem Interview.
Auch die „Sonata für Violin solo“ (2000) basiert
mit seinen Sätzen Prelude – Fantasia – Berceuse – Hornpipe
auf alten barocken Formen und lotet in den Sätzen die Modulationsfähigkeiten
des Soloklanges der Geige aus.
Gloria Coates, geboren in Wausau, Wisconsin (USA), gewann schon
im Alter von zwölf Jahren ihren ersten Kompositionswettbewerb.
Zu dieser Zeit improvisierte sie am Klavier mit Clustern, ungewöhnlichen
Dissonanzen und Obertönen.
Etwas später wurde Alexander Tscherepnin ihr Mentor, der ihr
Schaffen bis zu seinem Tode 1977 unterstützte.
Sie absolvierte ihre Kompositionsstudien an der Louisiana State
University und an der Columbia University und wurde mit zahlreichen
Auszeichnungen und Kompositionsaufträgen bedacht. Ihr Werk
umfasst Orchesterwerke, darunter 15 Sinfonien, Kammermusik, 8 Streichquartette,
Solo-, Vokal-,
Chor- und elektronische Musik. Ihre Werke wurden von weltberühmten
Interpreten aufgeführt und für Rundfunksender eingespielt.
„
Music on Open Strings“ war 1978 das meistdiskutierte Werk
des Warschauer Herbstes und seit 35 Jahren das erste Orchesterwerk
einer Frau, das bei der Münchner Musica Viva aufgeführt
wurde.
Die Werke der Münchner Komponistin Dorothee Eberhardt sind
bekannt für ihre rhythmische Raffinesse, für scheinbar
irreguläre Tonstrukturen voller innerer Logik und mathematischer
Konsequenz, für Korrespondentien traditioneller und instrumentalspezifischer
Art.
Das an diesem Abend zu hörende 2. Streichquartett von 2003
der Komponistin eröffnete eine neue Variante der musikalischen
Korrespondenz.
Das dreisätzige Streichquartett zählt die Komponistin
selbst zu einem Werk des Übergangs, da sie circa ab 2003 eine
neue Ausrichtung in ihren Personalstil einflocht. War die Musik
früherer Jahre vorwiegend linear und kontrapunktisch gedacht
und oft mit starken rhythmischen Konturen versehen, so ist die
Musik ab 2003 plastischer konzipert. Klänge erscheinen nun
als bewegte Gestalten und Gebilde, deren einzelne Parameter – Rhythmus,
Intervalle, Zusammenklänge, Klangfarben – sämtlich
vom konkreten Gebilde abstrahiert werden können und mit anderen – neuen
oder bereits da gewesenen – Parametern kombiniert werden.
Alle Teile können auf diese Weise miteinander vernetzt oder
verlinkt werden. In der Gestaltung erscheint das Musikstück
kohärent, ohne dass auf Wiederholungen oder Sequenzen zurückgegriffen
werden muss. Diese neue Art des Komponierens war vor allem im zweiten
Satz des Streichquartetts zu hören, während der letzte
Teil sich mit der Orientierung an Beethovens op. 50 Nr. 3 an klassische
Muster anlehnte.
Im Duo „Steps“ für Violine und Violoncello waren
alle Formen der dialogischen Korrespondenz zwischen hohem und tiefem
Streichinstrument genutzt. Die rhythmische und melodische Bandbreite
eröffnete dabei eine große Palette unterschiedlicher
Klangformationen.
Dorothee Eberhardt wurde 1952 in Memmingen geboren und erhielt
bereits als Kind Akkordeon- und Klavierunterricht, später
kamen Saxophon und Klarinette als Instrumente hinzu. Nach dem Abitur
studierte sie in Würzburg und Tübingen Orientalistik,
Philosophie und Griechisch und promovierte 1979 zum Dr. phil. Ab
1980 studierte Dorothee Eberhardt in London Musikwissenschaft,
Komposition und Klarinette an Universität und Trinity College,
war freiberuflich für Musikverlage tätig und arbeitete
nach Abschluss ihrer Studien als Komponistin und Musikpädagogin.
Das Werkregister umfasst Kammermusik und Orchesterwerke. Die
Kompositionen wurden bislang in Deutschland, Großbritannien, Österreich,
der Schweiz, in den USA und der Tschechischen Republik aufgeführt.
Ihr erstes Streichquartett erhielt einen Preis beim Chard Festival
of Women in Music. Das Mandala-Quartett mit den Musikern Gertrud
Schilde (1. Violine), Nora Farkas (2. Violine), Mario Korunic (Viola)
und Philipp von Morgen (Violoncello) überzeugt durch professionelle
Kompetenz sowie durch hervorragende solistische Leistungen.
Ein interessantes Konzert mit Neuer Musik, das durch die Erläuterungen
der Moderatorin abgerundet wurde.