[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/06 | Seite 34
56. Jahrgang | Juni
Landesmusikräte
„Weltkulturgipfel“ in Essen
Tagung zur Umsetzung der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt
Vom 26. bis zum 28. April fand in Essen ein kleiner Weltkulturgipfel
statt. Die UNESCO Deutschland brachte die 27 EU-Staaten und gut
35 weitere Nationen zusammen, um mit ihnen die Umsetzung der UNESCO-Konvention
zum Schutz der kulturellen Vielfalt zu diskutieren. Im Forum „Unerhört:
Musik“ konnten zehn Thesen und Handlungvorschläge zur
Musik abgeleitet werden, die nahezu allgemeine Zustimmung fanden.
Neben der deutschen UNESCO-Kommission trugen auch das Essener
Kulturhauptstadtbüro
und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die Konferenz. Und
als Fachpartner war der Landesmusikrat NRW einbezogen, der eine
der insgesamt zehn Diskussionsrunden sowie das Musikprogramm einer
Abendveranstaltung im RWE-Pavillon der Philharmonie Essen ausrichtete.
Am 18. März 2007 trat das UNESCO-Abkommen zum Schutz der kulturellen
Vielfalt in Kraft. Außer der EU haben es inzwischen unter
anderem auch Brasilien, Mexiko, China, Indien und Südafrika
ratifiziert. Das Übereinkommen soll das kulturelle Leben und
seine Eigenheiten in den Ländern und Regionen gegen übermächtige
Marktinteressen und Vereinheitlichungstendenzen schützen.
Auch im Bereich des Musiklebens kann es positive Auswirkungen haben
und Ansätze zu Problemlösungen bieten.
Im Forum „Unerhört: Musik“ diskutierten Michel
Lambot, der Mitbegründer des Labels Pias und der Koalition
Impala gegen Marktmonopolisierung, Fruzsina Szép vom Ungarischen
Musikexportbüro, Carlos de Andrade jr., Präsident der
Brazilian Independent Music Association, Annamaija Saarela, Geschäftsführerin
des UMO Jazz Orchestra, des UMO Jazz House und des UMO Jazz Festival
in Helsinki, Talia Bachir, französische Wissenschaftlerin
mit Schwerpunkt „Weltmusik“, Beat Santschi, Sprecher
der Schweizer Koalition für kulturelle Vielfalt, und Jean-François
Michel vom European Music Office in Belgien.
Werner Lohmann, Präsident des Landesmusikrats Nordrhein-Westfalen,
begrüßte die UNESCO-Tagungsgäste im Forum und skizzierte,
inwieweit innerhalb des Dachverbands der Musikverbände kulturelle
Vielfalt bereits gelebt wird. Er übergab das Wort an Thomas
Sternberg, den Kulturpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion,
der die Moderation der Runde übernahm.
Beat Santschi leitete aus einem eigenen Kurzreferat und aus den
Beiträgen der Runde zehn Thesen und Handlungsvorschläge
an die Politik ab:
Die Europäische Kommission zeigt eine Tendenz gegen kulturelle
Vielfalt, zum Beispiel bei ihrem Vorstoß gegen die Vergütung
der Privatkopien. Diese Abgaben dienen aber, vermittelt durch die
Verwertungsgesellschaften, zu einem Teil auch der Förderung
kultureller Vielfalt.
Die Europäische Kommission steuert mit ihrer Absicht, den
freien Wettbewerb unter den europäischen Verwertungsgesellschaften
einzuführen letztlich auf eine Fusion der Verwertungsgesellschaften
hin. Diese Entwicklung birgt große Gefahren, denen entgegengetreten
werden muss. Das künstlerische und kulturelle Engagement,
auch für kulturelle Vielfalt, das nationale Verwertungsgesellschaften
wie die GEMA im eigenen Lande zeigen, ist von einer vereinigten
Gesellschaft nicht in zu erwarten.
Die Rahmenbedingungen der Kulturschaffenden müssen verbessert
werden. Gerade in Hinsicht der kulturellen Vielfalt ist die derzeitige
europäische Entwicklung bei den Sozialleistungen für
die Kulturschaffenden mit Sorge zu sehen. Der entsprechende Dialog
mit der Europäischen Kommission hat gerade erst begonnen.
Die öffentliche Wertschätzung der Musik und aller
ihrer Stilrichtungen muss auch in der Politik anerkannt sein
beziehungsweise
verbessert werden.
Der Stellenwert des Musikunterrichts in und außerhalb der
Schule muss generell erhöht werden. In der Schweiz ist Musik
als obligatorisches Schulfach in der Volksschule faktisch abgeschafft.
Mit großem Neid sieht man in der Schweiz Landesprojekte wie „Jedem
Kind ein Instrument“ im Ruhrgebiet.
Der Wert von kultureller Vielfalt muss gemäß Art. 10
der UNESCO-Konvention schon in der Ausbildung der Kinder vermittelt
und in die Lehrpläne eingebracht werden.
Das Urheberrecht muss im Sinne der Urheber gestärkt und keineswegs
auf Druck von Internetprovidern beschränkt werden.
Steuererleichterungen sollten die Produktionen von einheimischer
Musik im Lande fördern und auf diese Weise die kulturelle
Vielfalt in den Musikproduktionen unterstützen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist einer der wichtigsten
Garanten kultureller Vielfalt und muss unterstützt werden.
Bei privaten Rundfunkstationen ist generell die Verengung des Musikprogramms
zu beobachten. In Belgien hört man nur fünf Prozent
der einheimischen Musikproduktion im Radio. (Die Diskutanten
vertraten
unterschiedliche Meinungen zum Sinn von Rundfunkquoten zugunsten
einheimischer Musikproduktionen.)
Die Organisationen der Zivilgesellschaft, die für kulturelle
Vielfalt stehen, müssen generell gestärkt werden. Das
gilt insbesondere auch für Musikergewerkschaften und Produzentenverbände.