Ein von mir sehr geschätzter Pianistenkollege machte mich
auf Ihren Artikel „Ohne Saitenschläge und Filzhämmerei“ (nmz
7-8/07 S. 16f.) von Herrn Schnurrer aufmerksam. Nachdem ich seit
fast dreißig Jahren an der Hochschule für Musik und
Theater in München Organisten ausbilde, muss ich auf diesen
auf mich äußerst dogmatisch wirkenden und wenig sachlichen
Artikel reagieren, dem sie in Ihrer Zeitung einen enormen Raum
gewährt haben.
Die Entwicklung der Orgelkunst in den letzten Jahrzehnten hin
zu technisch wie stilistisch immer differenzierteren Instrumenten
und dem damit verbundenen Bewusstsein für die Orgellandschaften
der verschiedenen Epochen stellen an den Organisten die Anforderung
eines sehr differenzierten Anschlages, der je nach Gegebenheit
des Instrumentes ein schnelles Umstellen erfordert. Eine pneumatische
Orgel muss ganz anders gespielt werden als eine altitalienische
Barockorgel. Es gibt also verschiedene Arten von Orgelanschlag,
je nach Instrument. Ebenso gibt es am Klavier je nach Literatur
ungeheuere Differenzierungen im Anschlag, die selbstverständlich
ganz anders sind als an der Orgel. Diese Unterschiede müssen
technisch unterschiedlich bewerkstelligt werden. Die Voraussetzung,
dass dieses gelingt ist der vom Nacken bis zu den Fingerkuppen
lockere, nie fixierte durchlässige Spielapparat. Dies ist
aus meiner Erfahrung beiden Instrumenten gemeinsam. Das Klavier
macht durch die Unmittelbarkeit der Tonbildung Fehlhaltungen in
diesem Bereich deutlicher hörbar, was gerade am Anfang, wo
das Ohr noch ungeschult ist, eine Bedeutung hat. Dieses sensible
und differenzierte Tonbilden (nicht das ,Filzhämmern‘)
schult den Spielapparat in einer anderen Weise als das Orgelspiel,
kann aber für dieses eine Voraussetzung und Bereicherung werden.
Ich kann dies aus meiner jahrzehntelangen Lehrtätigkeit wirklich
aus Erfahrung sagen: Wenn ein Student einen fundierten, technisch
richtigen Klavierunterricht hatte, hat sich dies immer positiv
auf sein Orgelspiel ausgewirkt Unter meinen Schülern sind
Organisten (darunter auch gute Pianisten), die am liebsten die
Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts spielen, genauso wie Musiker,
die sich hauptsächlich oder ausschließlich an der Orgel,
am Cembalo oder am Hammerklavier der alten Musik widmen. Ein dogmatisches
und sachlich kaum rechtfertigbares Einengen halte ich da für
schädlich.
Leider muss ich auch aus meiner Erfahrung sagen, dass vielfach
am Klavier falsche Bewegungsabläufe gelernt werden. Viele
meiner Studenten haben am Anfang damit zu kämpfen. Hier methodisch
zu forschen, wie man kindgerecht richtige Bewegungsabläufe
vermittelt, wäre sicher verdienstvoll, wenngleich dies nicht
isoliert zu dem an erster Stelle stehenden Beziehungsverhältnisses
des Lehrers zum Schüler und umgekehrt gesehen werden darf,
aus dem zu einem großen Teil die Motivation zu welchem Instrument
auch immer erwächst. Der von einem ausschließlich utilitaristischen
Denken geprägte Artikel lässt diesen für die Pädagogik
gerade bei Kindern wesentlichen Teil ganz außer Acht. Letztlich
erwächst aus der Beziehung die Methode, die immer individuell
sein muss, weil eben jeder anders ist. Doch zurück: Die ,Negativa‘ des
verklingenden Tons, weshalb man nach Meinung des Autors den ‚zeitraubenden
Klavierunsinn‘ aufgeben sollte (schon diese abwertende Formulierung
finde ich unangebracht), gilt in diesem Fall für das Cembalo,
das der Autor noch durchgehen lässt, mindestens in gleichem
Maße.
Das Klavierspiel hat besonders im 19. und 20. Jahrhundert sowohl
die Orgelkomposition als auch das Orgelspiel stark verändert
durch Komponisten wie Liszt, Reubke, Vierne, Dupré oder
Messiaen et cetera, die pianistische Elemente auf die Orgel übertrugen.
Dies führte in Frankreich dazu, dass vor einem Orgelstudium
ein Klavierstudium obligat war, da die hier zu bewältigenden
pianistischen Schwierigkeiten eine dem Pianisten vergleichbare
Schnelligkeit und Beweglichkeit der Finger erforderte.
Hinzukommt, dass jeder Organist, der Klavier spielen kann, diese
Musik besser verstehen und mit den entsprechenden organistischen
Mitteln sinnfälliger spielen wird.
Sicher haben wir heute mit der stilistischen Differenzierung
wieder eine andere Situation. Ein Organist, der sich größtenteils
oder ganz der alten Musik widmen will, wird das, wenn er sich mit
dem Klavierspielen beschäftigt, sinnvollerweise mehr mit dem
Hammerklavier tun.
Prof. Harald Feller
Hochschule für Musik und Theater München