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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 1
56. Jahrgang | September
Leitartikel
Glashaus-Musik
Zunächst völlig Ungewohntes an dieser Stelle: Kräftige
Schleichwerbung für ein Büchlein, an dem ich (leider
unentgeltlich) auch noch mitgewirkt habe. „Computerspiele
zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz“ heißt
eine Aufsatz-Sammlung mit Beiträgen aus der Zeitschrift „politik
und kultur“, herausgegeben vom Deutschen Kulturrat (und dort
auch zu beziehen). Die eigentliche Headline lautet: „Streitfall
Computerspiele“ – und hat ihren guten Grund in den
heftigen Diskussionen, ausgelöst durch ein schlichtes Nachdenken über
das Kreativitätspotenzial dieser relativ jungen Entertainment-
und Edutainment-Branche. Dass sie boomt wie kein anderer Kultur-Produktionszweig
zeigte sich grade auf der aus allen Nähten platzenden „Games-Convention“ in
Leipzig.
In der Broschüre kommen von Beckstein bis Zimmermann glühende
Zensur-Befürworter und lodernde Liberalitäts-Fanatiker
gleichermaßen und mit jeweils bedenkenswerten Argumenten
zu Wort. Eine besonders scharfe Haltung wider Pixel-Killerspiele
und das vermutete Verblödungs-Potenzial von Computern im Allgemeinen
bezogen der Deutsche Musikrat und einige seiner Mitgliedsverbände.
So entfachte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes
Niedersachsen, Christian Pfeiffer, beim Musikschulkongress in Mannheim
ein regelrechtes Zirbeldrüsen-Fieber samt Beifallsstürmen,
als er ein paar besonders brutale Exemplare digitaler Meuchelware
als übermächtige Jugendverderber entlarvte (zu begutachten
unter www.nmzmedia.de). Um ein Missverständnis auszuräumen:
Kein Kulturmensch wird eine Lanze brechen für die etwa sechs
Prozent indizierungsbedürftiger Schlächter-Games, die
bei bedauerlich hoher Akzeptanz durch Kinder und Jugendliche von
einer gewissenlosen Software-Industrie auf den Markt geworfen werden.
Damit die Phantasie-Produkte aller Spiele-Schmieden zu diffamieren
und somit auch schon die Beschäftigung mit diesem Genre, kann
kein Weg sein. Zumal uns Musik-Liebhabern und -Beförderern
ein noch näher liegendes Problem auf den Nägeln brennen
sollte:
Die Zahl rechtsradikaler, gewaltverherrlichender und fremdenfeindlicher
Bands, Labels und Vertriebe wächst sprunghaft. Auch namhafte
Companys holen sich hübsch gewinnorientiert zum Beispiel grob
tabubrechende Hip-Hopper gern ins Repertoire. Ob Sido, ob Bushido,
ob Zyklon-Beatz: Schwarz-braun-grober Musik-Dreck bringt Cash – und
wirkt: Zufällig vertreibt der Mügelner Plattenversand „no
colours records“ entsprechende Ware. Die Style-Sheets der
immer perfekteren Fascho-Produktionen liefern inzwischen unsere
Hitparaden – und das musikalische Handwerkszeug vielleicht
auch so manche Pop-Nachwuchs-Fördermaßnahme der einen
oder anderen gutmeinend-seriösen Musik-Institution? Da sollten
wir doch mal genau hinschauen, verehrter Musikrat. Denn die Nähe
zur materiellen Verwertbarkeit im Verbund mit seiner emotionalen
Transportkraft in einer Superstar- und Hartz-IV-Gesellschaft prädestiniert
Pop für Propaganda und Demagogie. Wir freuen uns auf Beiträge
von Udo Dahmen, Dieter Gorny, Hans Bäßler und Christian
Höppner – und starten gleich nebenan schon mal mit Martin
Hufner.