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2008/06 | Seite 10
57. Jahrgang | Juni
Ferchows Fenstersturz
Zu viel ist doch zu wenig
Es gibt nichts Schlimmeres als einen jammernden deutschen Künstler.
Es sei denn, die gesamte Waschlappentruppe rottet sich zusammen
und jault miteinander. So geschehen am 25. April 2008. Über
200 dahin darbende Künstler, gebeutelt vom steuerlichen Joch
der Scheinselbstständigkeit, veröffentlichten unter dem
dynamischen Motto „Tag des geistigen Eigentums“ einen
offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel. Grundtenor: Wir können
uns pro Jahr nur noch einen Maybach leisten, weil das deutsche
Volk zu Download-Piraten mutiert. 300 Millionen illegale und damit
kostenlose Downloads, so eine von Musikindustrie-Lobbyisten kolportierte
Zahl, gehen den Künstlern angeblich durch die ausgemergelten
Händchen. Nun, das Geflenne ist nicht neu. Und weil die Kohle
knapp wird, musste der Bundesverband Musikindustrie e.V. die Armuts-Kampagne
finanzieren: ganzseitige Anzeigen in relevanten Printmedien; da
dürften trotz vereinbarter Product-Placements (das moderne
Skonto der Medienhäuser) ein paar Hunderttausender verbrannt
worden sein.
Mal nebenbei: Wird so ein e.V., zumal er sich der Kunst
verschrieben hat, nicht steuerlich bevorteilt? Zahle am Ende ich über Umwege
diesen Feldzug? Dann lesen Sie mal, was ich und wahrscheinlich
Sie, also wir, für unser Geld bekommen und wer diesen Hilferuf
signiert hat, weil er sich betrogen fühlt: René Kollo
zum Beispiel. Sie lesen richtig. Lebt dessen Zielgruppe eigentlich
noch? Das Grauen geht weiter: Wer hat denn dem Casting-Horrortrio
Alexander Klaws (formerly known as the winner of DSDS), Yvonne
Catterfeld (personally casted by Dieter B.) oder Monrose (PRO 7-Leibeigene)
den Wahnwitz verzapft, Menschen würden kostenlos, also freiwillig,
ihre Musikdateien laden? Den Schotter möchte garantiert niemand
geschenkt haben. War eben ein Zettel mehr, den die Popsklaven brav
aber hirnlos unterschrieben. Der größte Marketing-Coup
der Aktion ist hingegen, dass es ein großer Unbekannter geschafft
hat, Künstlern wie BAP, Dieter Thomas
Kuhn, Stefan Waggershausen, Oomph! oder Udo Lindenberg zu verklickern,
dass sie überhaupt noch Platten verkaufen. Und deswegen unterschreiben
müssen. Sensationell. Dem Herrn gebührt ein Grimme-Preis.
Alles in allem eine typisch deutsche Aktion. Aufgeblähtes
Gegackere, ein Volk unter Generalverdacht , aber kein Versuch,
das Übel an der Wurzel zu packen. Stattdessen: Auffrisierte
Schulbandwettbewerbe, die in Marketing-Seifenblasen platzen und
deren Protagonisten selten in der Branche, doch immer öfter
in der Spätschicht bei McDonalds enden. Oder Kommissionen,
Konferenzen und Kuratorien, die sich in Ahnungslosigkeit übertrumpfen
und schließlich empört mit den durch die Buffets gekrümmten
Gichtfinger auf das Internet zeigen: „Du bist Schuld!“.
Stimmt nicht. Schuld ist der Euro. Danke Helmut.