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nmz-archiv
nmz 2008/06 | Seite 10
57. Jahrgang | Juni
Nachschlag
Preissturz
Herausgeber Gerhard Rohde hatte sich schon in der Februar-Ausgabe
der nmz kritisch zur Vergabe des diesjährigen Ernst von
Siemens Musikpreises an Anne-Sophie Mutter geäußert.
Es muss hier nicht die große künstlerische wie auch
humane Leistung dieser Geigerin in Frage gestellt werden, sie
ist einfache Tatsache, auch wenn man manche der hochfliegend
euphorischen Würdigungen gerne mit etwas mehr kritischer
Distanz betrachtet sehen würde. („Nicht nur Königin,
sondern Himmelskönigin“, betitelte zum Beispiel die
SZ den Abdruck von Joachim Kaisers Laudatio; da fragt man sich
schon, ob solche Verklärung noch im Rahmen bleibt oder sich
schon einem der Blasphemie nahen „Mutter-Komplex“ nähert.)
Der Verlauf der Preisverleihung ließ dann doch einiges Stirnrunzeln
aufkommen, denn noch befinden wir uns beim Siemens-Preis nicht
in den Regionen einer von den Medien akklamierten Gefallsüchtigkeit,
wie sie vom Wiener Opernball bis zur Oskarverleihung bereits gang
und gäbe ist. Es hatte schön begonnen, Joachim Kaiser
war eine herzliche, ja berührende Würdigung gelungen,
und die Tränen von Anne-Sophie Mutter, die mit Blick auf die
im Publikum anwesende Sofia Gubaidulina fast bedauerte, erste weibliche
Preisträgerin (nach 34 Männern!) zu sein, kamen tief
aus dem Inneren. Richtig verstellen konnte sich Mutter noch nie.
Der Ernst von Siemens Musikpreis aber ist eine Auszeichnung,
die ein besonderes Engagement für das zeitgenössische Musikschaffen
würdigt. Nun verdient die Musik von Zeitgenossen keineswegs
immer das Prädikat Neu, was Kühnheit, Schroffheit und
Andersartigkeit betrifft. „Glaubt er, ich denke an seine
elende Geige, wenn der Geist zu mir spricht?“ So hatte schon
Beethoven einst das Gefällige zurückgewiesen. Und heute
ist es nicht anders. Nur dass das sich Anbiedernde in massenmedialer
Vermarktung vielleicht noch unheilvoller wuchert.
Die Musik aber, die Mutter zur Einrahmung des Festaktes ausgesucht
hatte (oder hatte sie dabei Berater?), war eben von dieser Art:
vom Datum her neu, in ihrer Haltung aber zutiefst einer schlechten
Romantik verpflichtet. Der von ihr 1994 in Auftrag gegebene „Aftersong“ für
Violine und Klavier des Amerikaners Sebastian Currier war dafür
ein peinlich dürftiges Beispiel. Denn implizit wird in den
Sehnsuchtswallungen mit Tzigane-Anwandlungen des ermüdend
wiederkäuend, „geigerischen“ Stücks die Aussage
getroffen, dass heutige Musik gar nicht so schlimm sein müsse,
dass man von den Irrungen und Wirrungen zurück müsse
in den Pfuhl des echten Gefühls. Aber es ist kein echtes,
es ist ein abgestandenes und in der Mikrowelle aufgewärmtes.
Diese Tendenz wurde durch zwei Stücke Sir André Previns
(er war mit Anne-Sophie Mutter zwischen 2002 und 2006 verheiratet)
zwar etwas ins schlicht Häusliche abgemildert, aber gleichwohl
unterstrichen. Waren diese glatten Stücke nur schlechte Wahl
oder deuteten sie eine Richtung an? Wäre dies der Fall, dann
verlöre der Ernst von Siemens Musikpreis viel von seinem Renommee,
das nicht zuletzt auf der Würdigung des unbequem und widerständig
Voranweisenden beruht.