[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/06 | Seite 12
57. Jahrgang | Juni
Kulturpolitik
Eine Zweiklassengesellschaft verhindern
Kommentar der VG Wort zu den Empfehlungen der Enquete-Kommission
Der im doppelten Sinne schwergewichtige Schlussbericht der Enquete-Kommission
des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ befasst
sich in zwei Kapiteln auch ausführlich mit dem Urheberrecht
und dem Recht der Verwertungsgesellschaften. Der Blick von der
Warte der Kulturpolitik tut dem Thema ausgesprochen gut – stehen
doch allzu oft bei Behandlung des Urheberrechts industriepolitische
oder Verbraucherschutz-Gesichtspunkte im Vordergrund.
Beide Kapitel beginnen mit einer ebenso gründlichen wie sorgfältigen
Bestandsanalyse. So wird – zu Recht – festgestellt,
dass das 2002 verabschiedete Urhebervertragsrecht zwar gut gemeint
war, aber bislang jedenfalls keine Verbesserung der finanziellen
Situation von Autoren und ausübenden Künstlern bewirkte.
Die Enquete-Kommission empfiehlt deshalb eine erneute Überprüfung
des Urhebervertragsrechts.
Die zweite Empfehlung der Enquete-Kommission zum Urheberrecht
ist besonders aktuell. Danach soll das Urheberrecht Autoren „die
ihnen verfassungsmäßig garantierte angemessene Vergütung
ermöglichen“, und dieses Recht dürfe „durch
die Interessen von anderen Wirtschaftszweigen, wie der Geräteindustrie,
nicht außer Kraft gesetzt werden“. Genau dies aber
ist mit der als „2. Korb“ bekannt gewordenen Urheberrechtsnovelle,
die am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, geschehen. Da seither
die Höhe der Urheberrechtsvergütungen für das private
Kopieren nicht mehr im Gesetz festgelegt sind, gestalten sich die
Verhandlungen mit der Industrie, also den Importeuren von Aufnahmegeräten
und Trägermedien mühsam und schleppend. Es ist nicht
absehbar, wann auf der Basis des neuen Gesetzes wieder angemessene
Vergütungen für das private Kopieren urheberrechtlich
geschützter Werke bezahlt werden. Während die Enquete-Kommission
zum Urheberrecht nur drei Handlungsempfehlungen abgibt, formuliert
sie 14 Handlungsempfehlungen zum Recht der Verwertungsgesellschaften.
Mit vielen davon rennt sie allerdings offene Türen ein, wenn
sie etwa mehr Transparenz und Binnendemokratie der Verwertungsgesellschaften
anmahnt. Besonders zu begrüßen aber ist, dass die Enquete-Kommission
dem wettbewerbsorientierten EU-Modell von Verwertungsgesellschaften
eine deutliche Absage erteilt. Die Enquete-Kommission betont, dass
Verwertungsgesellschaften eben nicht ausschließlich wirtschaftliche
Interessen verfolgen, sondern nach dem Leitbild des deutschen Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes
wichtige kulturelle und soziale Aufgabe erfüllen. Sie betont
darüber hinaus, dass die nationalen Verwertungsgesellschaften
ein wichtiges Element „zur Sicherung der kulturellen Vielfalt“ darstellen.
Entgegen den Intentionen der EU-Kommission solle deshalb auch die
europaweite Lizenzierung von Online-Musik nicht zentral, sondern
durch das bewährte Netz von Gegenseitigkeitsverträgen
nationaler Verwertungsgesellschaften ermöglicht werden. Es
würde dies nicht nur den von den Nutzern
erwünschten one stop shop garantieren, sondern auch eine sich
anbahnende Zweiklassengesellschaft verhindern (hier die großen
musikalischen Verwertungsgesellschaften, dort die kleinen). Ausführlich
befasst sich der Schlussbericht der Enquete-Kommission mit der
Kraft Gesetzes vom Deutschen Patent- und Markenamt ausgeübten
Kontrolle über die Verwertungsgesellschaften. Gewiss zu Recht
fordert die Enquete-Kommission „eine Stärkung der Ausstattung
und Finanzierung der staatlichen Aufsichtstätigkeit“.
Sie geht aber einen Schritt weiter und empfiehlt, die Aufsicht
anstelle des Patentamtes einer „Regulierungsbehörde
des Bundes“ zu übertragen.
Solche Regulierungsbehörden gibt es bereits in monopolgeneigten
Bereichen wie der Post oder der Energieversorgung. Für Verwertungsgesellschaften
freilich würde dies einen Paradigmenwechsel bedeuten. Bislang
prüft das Patentamt nur nachträglich, ob allgemeine (z.B.
Verteilungspläne) oder einzelne Maßnahmen von Verwertungsgesellschaften
rechtmäßig sind. Eine Regulierungsbehörde könnte
dagegen präventiv kontrollierend einschreiten. Sie müsste
dann beispielsweise Tarife von Verwertungsgesellschaften vorab
genehmigen (wie dies in der Schweiz durch die eidgenössische
Tarif-Schiedskommission der Fall ist). Ein durchaus diskussionswürdiges
Modell, das allerdings im Zeitalter allgemeiner Privatisierungstendenzen
kaum Erfolgsaussicht haben wird.
Insgesamt bleibt auch für die beiden Kapitel über Urheberrecht
und Verwertungsgesellschaften festzuhalten, was für den gesamten
Schlussbericht der Enquete-Kommission gilt: Er ist ein bewundernswertes
fakten- und anregungsreiches Kompendium zur „Kultur in Deutschland“.
Dass er nun in nutzerfreundlicher gedruckter Ausgabe (samt DVD-ROM)
vorliegt, ist deshalb umso wichtiger. Da sich die meisten der Handlungsempfehlungen
an den Gesetzgeber richten, also an den Bundestag selbst, bleibt
nur zu hoffen, dass dieser sich ihrer annimmt. Der Kultur in Deutschland
und dem Schutz der schöpferischen Menschen hier würde
es gut tun.