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nmz-archiv
nmz 2008/06 | Seite 6
57. Jahrgang | Juni
Magazin
LandMark
Zum Tod von Ulrich Dibelius
Don‘t meet the artists mag als guter Merksatz durchgehen für den
jungen, aufstrebenden Musikkritiker, in der Hoffnung, dem Objektiven an sich
stattdessen zu begegnen. Ulrich Dibelius hielt sich mit solchen Marginalien
nicht auf. Er kannte sie alle – Nono, Stockhausen, Lachenmann.
Und nicht nur ihre Partituren waren Teil seines Lebens. Er kannte die Musik
von innen und von außen. Auf achthundertachtundachtzig Seiten ist die
Moderne Musik nach 1945 (München, 1998) erfasst, analysiert, in einer
Sprachkraft dargestellt, die ihresgleichen sucht. Zugleich repräsentiert
sie die Wandlungen, die ästhetischen Positionierungen, die ideologischen
Grenzziehungen der Zeit, ohne manch Militanz im Diskurs zu leugnen oder gar
zu beschönigen. Wahrheit tut zuweilen weh. Das ist gelebte Zeitgenossenschaft,
aus dem innersten Kern heraus reportiert über bald sieben Jahrzehnte.
Ulrich Dibelius wusste, wovon er schrieb, vor allem aber sprach – als
Radio-Mensch in Hamburg erst und dann in München. Aus den Bereichen des
realen Musizierens heraus begann diese Affinität ins Geistige hinein zu
glühen, vom Cellopult weg im Konzentrat des kammermusikalischen ebenso
wie im orchestralen Umfeld.
Da Musik aber nie Emotion alleine ist (ohne funktioniert sie nicht) sondern
gesellschaftlichen Umgebungen entspringt, politischen Realitäten als Reibungsfläche
Energie abtrotzt, in einem Deutschland nach 1945 zumal, fand Ulrich Dibelius
im zwölf Jahre lang missbrauchten Medium Rundfunk die ihm gemäße
Plattform, für die Klarheit und Reinheit der Anarchie zu werben auf der
Basis von ewiger Unruhe und Bewegung, im Kontrast von Innehalten und Anschieben.
Er betätigte sich als steter Aufklärer, als Kämpfer für
den Erhalt der Strahlkraft des Geistes der Utopie. Der Kollege Ulrich Dibelius
setzte im Alltagsgeschäft des musikalischen Rundfunkjournalismus die professionellen
Standards, gnadenlos im Qualitätsanspruch an sich und an die anderen,
kreativ im gestaltenden Wollen, hart in der Sache, liebenswürdig und höchst
liebenswert als Mensch. Für die Redaktion Musikfeature des Bayerischen
Rundfunks hatte er sich im Halbjahr nulleins anno nullacht unter dem imaginären
Motto woher/wohin das Thema vorgenommen „Warum ist ,Ausdruck‘ ein
Allzweck-Wort der Musik?“. „Einsichten und Anregungen“ wollte
uns Ulrich Dibelius im Musikfeature-Termin von Bayern 4 Klassik am 24. April
2008 übermitteln.
Bis zuletzt arbeitete er – neben anderen Projekten – am Manuskript.
Es bleibt Fragment. Das Karl-Amadeus-Hartmann-Portrait von Ulrich Dibelius
kam stellvertretend ins Programm. Und damit einer der Hauptgründe seines
Wechsels von Hamburg nach München. Wo so ein Utopist und Humanist
wie Hartmann lebt, da muss ein guter Ort sein.