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nmz-archiv
nmz 2008/06 | Seite 5-6
57. Jahrgang | Juni
Magazin
Tausend Freunde sind nicht genug
Die Chancen für Musikschaffende im Web 2.0 · Von Marko Medkour
Glaubt man den vielversprechenden Meldungen, die in der Presse zu lesen sind,
dann bietet das Web 2.0 mit seinen Social Communitys Myspace, Last.fm, Podsafe
Music Network oder Youtube besonders jungen Musikern Chancen auf Erfolg: Musikschaffende
präsentieren sich virtuell mit dem eigenen Künstlerportrait und erreichen
mit ihrer Musik Millionen von User und somit potenzielle Konsumenten. Manche
hoffen legitimerweise entdeckt zu werden, wie die Arctic Monkeys und Mina es
demonstriert haben. Scheinbar werden junge Musikschaffende zufällig von
den A&R-Agenten der gro-ßen Plattenfirmen in den Communitys entdeckt
und erhalten stante pede einen Plattenvertrag, wenn sie denn in das musikalische
Repertoire des Labels passen und Geld in den Kassen versprechen. Diese wenigen
Acts hatten Glück, doch die verbleibenden zig hunderttausend Bands und
Künstler in den Communitys haben es bisher – noch – nicht
geschafft, obwohl sie dieselben Möglichkeiten und Werkzeuge des Web 2.0
nutzen.
Sie müssen sich die Bühne Internet mit Kollegen teilen, die wiederum
selbst Musik in einer vergleichbar hohen Qualität produzieren. Die Konkurrenz
schläft nicht. Die Musik-Community Last.fm zählt 14 Millionen Musikkünstler
in ihrem Online-Katalog. „Der Indie-Anteil liegt wohl bei circa 75 Prozent“,
schätzt Georg Schroll, der bei Last.fm das Community Management für
Deutschland und Österreich leitet. Die Künstler, die dort ein Profil
anlegen und ihre Werke teilweise in voller Länge oder sogar kostenfrei
zum Runterladen anbieten, sind praktisch ohne Plattenvertrag unterwegs. Sie
nutzen die Plattform, um ihr musikalisches Schaffen vorzustellen und für
21 Millionen registrierte User in der Community hörbar zu machen. „Pro
Tag melden sich 500 neue Künstler und Labels bei uns an“, sagt Schroll.
Last.fm gehört zu den großen Social-Communitys, die Musik zum Thema
hat und die Hörgewohnheiten seiner User protokolliert und auswertet. Jeder
User im Netzwerk kann diese Statistiken nutzen um neue Musik kennenzulernen
oder Freunde mit ähnlichen, musikalischen Vorlieben zu finden. Im Gegensatz
zu My-space ist hier Musik das zentrale Thema, schließlich nennt sich
Last.FM im Untertitel „The Social Music-Community“. Der User „verschlagwortet“ seine
Lieblingsmusik und setzt sie in einen neuen Kontext. Dieser Prozess nennt sich „Taggen“ und
bezeichnet die Verknüpfung von Inhalten mit allgemein akzeptierten Begrifflichkeiten
und Beschreibungen. So entsteht eine vom User bestimmte Form der Navigation,
durch die sich Genres manifestieren und sich neue Nischen öffnen. Ein
entscheidender Moment für den Musikschaffenden, denn jetzt hat er ein
Ohr auf die Hörgewohnheiten, Vorlieben und Wünsche der User in seinem
Sozialen Netzwerk und kann reagieren – an den Stellen, wo ein Genre unterrepräsentiert
ist und ein gewisser Bedarf in der Community besteht. Da er Teil des Netzwerkes
ist, kann er sich und seine eigenen Veröffentlichungen verschlagworten,
muss aber auch über genügend Freunde, Hörer und Fans verfügen,
die ihn identisch „taggen“ und seine Musik hören. Ansonsten übernimmt
jemand anderes diese Nische. Der Umstand, dass man als Künstler sehr viele
Freunde in Social Communitys haben muss, sollte allerdings nicht überbewertet
werden. Sie stehen nicht gleichbedeutend für Popularität und Erfolg.
Der Ambient-Musiker und Komponist Robert Rich hat in seiner Stellungnahme zu
dem Weblog-Beitrag „1.000 True Fans“1 reflektiert, dass 1.000 wahre
Fans, die zu den Konzerten kommen und die Musik kaufen, nicht das Überleben
eines Musikers sichern können.
Schaut man sich an, welche Genres in Social Communitys am populärsten
sind, dann stolpert man als erstes über die Genre-Tags Alternative, Elektronische
Musik oder Female Vocalists. Daft Punk, Radiohead und Björk liegen auf
den Top-Plätzen in ihrem Genre und scheinen sehr beliebt zu sein. Klassische
Musik wird seltener gehört. Der Autor Chris Horkan hat untersucht inwieweit
Klassische Musik in Last.fm repräsentiert ist und stellt in seinem Wired-Artikel
Lasting2 die These auf, dass in Last.fm besonders das Genre Filmmusik klassikferne
Hörer zur Klassik bringen kann. Beethoven, Mozart, Ligeti, Stockhausen
oder Tiersen werden mehrere hunderttausend Mal pro Woche im Netzwerk von den
Usern gehört. Schroll sieht in der Weiterentwicklung der Last.fm-Plattform „einen
weiteren Push für Klassik“. Gerade ein jüngeres, technik-versiertes
Publikum könnte dann sogar „die Besucherzahlen klassischer Konzerte
beeinflussen“, vermutet der Community Manager.
Doch wie sieht es tatsächlich beim „Nachwuchs“ aus? Findet
man Komponisten, Ensembles oder Vocals aus dem Bereich der Klassischen Musik,
des Jazz oder der Modernen Musik, die ihr Schaffen virtuell platzieren und
ihre Reichweite erhöhen? Die Antwort lautet: Mehr oder weniger! Michael
Schiefel, Max Raabe und Einshoch6 schaffen gemeinsam nicht einmal die Grenze
von Hundert gehörten Titeln pro Woche im Last.fm Netzwerk. Der Popchor
Berlin schafft auch nicht mehr Titel in der Woche, besitzt aber zumindest mit
mehr als 800 Hörern achtmal soviel Hörer wie Michael Schiefel. Die
wenigen Lieder, die im Community-Profil auftauchen, sind nicht in voller Länge
hörbar, somit entsteht kein Hörgenuss beim Entdecken. Der zukünftige
Fan wendet sich ab, könnte man spekulieren. Andererseits präsentieren
sich die vier Künstler auf Myspace mit mehreren Stücken und sind
international mit anderen Künstlern und Fans vernetzt. Die Anzahl der
gespielten Titel pro Woche liegt aber immer noch unter hundert. Dies sagt natürlich
nichts über ihre musikalische Qualität aus, sondern zeigt lediglich,
dass sie Musik-Communitys und die verschiedenen Möglichkeiten der Selbstdarstellung
mit Hilfe des Web 2.0 nicht vollends für sich nutzen und daher im Internet
eher einem kleinen Publikum bekannt sind. Dafür sind ihre Konzertsäle
voll mit zahlenden Zuhörern!
Anders verhält es sich im Genre Elektronische Musik, hier scheinen die
Uhren zehnfach so schnell zu ticken: Das Angebot, der Grad der Vernetzung und
die Fangemeinden sind enorm. Unabhängig ob auf Myspace oder Last.fm hören
die User in Social Communitys häufig ihre Stars, schenken aber auch kleineren
und weniger bekannten Acts aus derselben Szene ihr Gehör. Durch Empfehlungen
aus der Community oder über die Verlinkung ähnlich klingender Bands
stößt man als User auf bisher unbeachtete Musik. Ihre Anzahl wirkt
unüberschaubar groß. Täglich tauchen neue Homerecorder in den
Communitys auf, deren Musik gut ankommt und stark frequentiert wird. Sie finden
ihre Nische. Das garantiert nicht zwingend den Durchbruch oder den dauerhaften
Erfolg! Viel wichtiger ist die Aufmerksamkeit und die Vernetzung, die ihnen
zu Teil wird. „Für mich ist das ganz wichtig“, sagt Daniel
Chamrad alias Sudio, der beim Kölner Netlabel iDEOLOGY gesignt ist. „Überhaupt
mal Kritiken über die eigene Musik zu lesen, Leute zu haben, die genau
auf dein neues Release warten, super motivierend!“ Dabei verdient Chamrad
noch nicht einmal Geld mit seiner Musik, sondern veröffentlicht sie seit
Jahren kostenfrei im Netz. Er stellt seinen kompletten Katalog unter Creative
Commons, ein Internet-taugliches Lizenzmodell zur Verbreitung kreativer Schaffenswerke.
Creative Commons (CC) steht für „Schöpferisches Allgemeingut“.
Der Urheber vergibt Nutzungsrechte und bestimmt wie sein Werk verwendet
werden darf; das Urheberrecht bleibt völlig unberührt von CC, es
geht hierbei nur um die Nutzungsrechte. Die gängigste Lizenz, unter die
man ein Schaffenswerk stellt, beinhaltet die kostenlose Verbreitung unter Namensnennung,
die nicht-kommerzielle Nutzung und Unveränderlichkeit des Werkes durch
Dritte (User). Im engen Zusammenhang mit Creative Commons stehen die erwähnten
Netlabels. Per Definition operieren sie ausschließlich im Netz und stellen
die Werke ihrer Künstler kostenlos als mp3 der Allgemeinheit zur Verfügung.
Circa „90 Prozent aller Netlabels veröffentlichen Elektronische
Musik“, schätzt Moritz Sauer, Journalist und Betreiber der Plattformen
phlow.net und netlabels.org. Er verweist auf den starken Computerbezug, den
die technik-affinen Musiker und Produzenten mitbringen. „Da liegt das
Internet mit seinen Möglichkeiten nicht so fern. Außerdem sind die
Produktionskosten bei Elektronischer Musik in der Regel viel geringer“ als
bei der „Mikrofonisierung von Instrumenten und [...] Gesang“ im
Studio, gibt Sauer zu bedenken. Allerdings kommt etwas Bewegung in den Netlabel-Markt
und eine wachsende Vielfalt ist spürbar: „Immer mehr Rock-, Hip
Hop- und Indie-Labels entdecken die Chancen der Aufmerksamkeitsökonomie
durch ein Netlabel“, wirft Sauer ein. In Musikerkreisen, unabhängig
vom Genre, wird bewusst, dass Internet oder Web 2.0 nicht zwangsläufig
mit dem Verkauf von Musik zu tun hat.
Sauer, der für Musiker und Bands Seminare zur internet-bezogenen Selbstvermarktung
anbietet, weist seine Klientel immer darauf hin, dass man „mit dem Musikverkauf
immer weniger Geld verdient“ und man sich mehr auf Konzerte konzentrieren
sollte, um „dort die Zuhörer zu Fans zu konvertieren und ihnen neben
einem einzigartigen Abend vielleicht noch per Merchandise Fan-Artikel zu verkaufen.“
Die soziale Vorgehensweise, als Künstler kein Geld für sein Werk
zu verlangen, wirkt im ersten Augenblick ungewohnt, verfolgt aber zwei wesentliche
Ziele: Die eigene Musik – ohne Hürden – einer breiten Masse
im Internet verfügbar zu machen und Konsumenten (Fans) zu entkriminalisieren.
Sauer rät jungen Musikschaffenden, das „Internet als Chance“ zu
sehen und die eigene Musik erst einmal unter Creative Commons zu stellen. Dadurch
erhalten Podcaster und Remixer, also Multiplikatoren, mehr „Sicherheit
bei der Verwendung“ von Musik und sorgen so für ihre Verbreitung
auf vielen Ebenen und in vielen Kanälen.