[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2008/06 | Seite 42
57. Jahrgang | Juni
Bücher
Der Musikvermittlung auf den Zahn gefühlt
Konzerte für Kinder als Erlebnisräume – eine wissenschaftliche
Annäherung
Barbara Stiller: Erlebnisraum Konzert. Prozesse der Musikvermittlung
in Konzerten für Kinder, ConBrio, Regensburg 2008, 252 S.,
€ 39,00, ISBN 978-3-932581-90-8
Konzerte für Kinder sind mittlerweile fester Bestandteil
im Konzertangebot. Viele Veranstalter suchen nach Wegen und Konzepten,
ein junges Publikum anzusprechen, zu begeistern und somit langfristig
als Zielgruppe für den Konzertbetrieb zu binden. Nicht zufällig
läuft gerade in Hamburg eine Workshopreihe zur Konzertpädagogik:
die Fertigstellung der Elbphilharmonie – ehrgeizig als neues
Hamburger Wahrzeichen geplant – rückt näher.
Barbara Stiller, Professorin für Elementare Musikpädagogik
an der Hochschule für Künste Bremen, hat nun ihre Dissertation
veröffentlicht, in der sie Prozessen konzertpädagogischer
Musikvermittlung aus der Sicht der Musikpädagogin nachgeht.
Ihr geht es nicht um die Verbreitung „marktkompatibler“ Handlungsanleitungen,
sondern um ein tieferes Verständnis der Chancen, die Konzerte
für Kinder als Erlebnisräume bieten. Konkret untersuchte
sie dafür eine Reihe von Konzerten für Kinder im Alter
von vier bis sechs Jahren, bei denen in einem „Splitscreen“-Verfahren
gleichzeitig die Mitwirkenden und die Kinder im Publikum gefilmt
wurden. Der Beschreibung und Auswertung dieser Konzerte ist ein
theoretischer Teil vorangestellt, der sich mit dem Phänomen
Vermittlung auseinandersetzt. Um diesen umgangssprachlich unproblematischen,
fachlich jedoch verwirrend komplex belegten Begriff auszuleuchten,
holt Barbara Stiller weit aus: Sprachwissenschaftliche Nachforschungen
führen genau wie die Recherchen in der schulischen Musikdidaktik
beziehungsweise der Musikwissenschaft zwar zu keiner klaren Definition,
sie rücken jedoch die Bedingungen, die zum Gelingen von Vermittlung
beitragen in den Blickpunkt. So wird das weite Feld der Kommunikation
genauso ausführlich beschrieben wie Modelle zur formalen und
methodisch-didaktischen Gestaltung verschiedener Phasen von Lernprozessen.
Ziele, Inhalte, Methoden und Sozialformen müssen im Kontext
von Unterricht genauso reflektiert werden wie in der Planung von
Konzerten für Kinder. Als weiteren Baustein für die Planung
gelungener Konzerte stellt Barbara Stiller die Berücksichtigung
entwicklungspsychologischer Gegebenheiten hinsichtlich motorischer,
kognitiver, sprachlicher und musikalischer Aspekte dar.
Im zweiten Teil werden die untersuchten Konzerte detailliert
beschrieben und anschließend ihre Kommunikations- und Aktionsprozesse
analysiert: wie viel wird gesprochen, wie groß ist der Anteil
der szenischen Beiträge, wie abwechslungsreich gestalten sich
die Aktionsformen, wo – und warum – zeigen die Kinder
besonders gebannte Aufmerksamkeit. In den Kommentaren zu den Konzertsituationen
und den entwickelten Leitgedanken ist ein großer Praxisbezug
spürbar. Dennoch werden die Praktiker unter den Lesenden,
denen es mehr um Handreichungen für die eigene Arbeit als
um eine erste wissenschaftliche Annäherung an dieses – in
musikpädagogischen Forschungszusammenhängen bislang wenig
bearbeitetes – Thema geht, nach ausführlicheren Informationen
suchen, denn die Anforderungen an ein Praxishandbuch erfüllt
dieses Werk nur bedingt. Hier würden Abbildungen, Fotos oder
mitgelieferte Filmausschnitte dem inhaltlichen Verständnis
helfen. In den vergangenen Jahren wurde vielfach über den
zu beobachtenden konzeptionellen „Wildwuchs“ in der
konzertpädagogischen Arbeit mit Kindern geschrieben, dieses
Buch liefert die dafür notwendigen Begründungen: Konzerte
für Kinder sind hochkomplexe Situationen, deren Erfassung
in Worten nur schwer die subjektiv gefühlte Realität
abbilden kann. Da hilft nur eines: Arbeitsbündnisse im Sinne
Barbara Stillers schließen und gelungene Konzerte für
Kinder mitgestalten und miterleben.