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nmz-archiv
nmz 2008/06 | Seite 42
57. Jahrgang | Juni
Bücher
Anspruchsvolle Ästhetik des Unterhaltenden
Thomas Siedhoffs Musical-Handbuch rückt ein unterschätztes
Genre ins rechte Licht
Thomas Siedhoff: Handbuch des Musicals. Die wichtigsten Titel
von A bis Z, Schott, Mainz u.a. 2007, 731 S., € 29,95, ISBN 978-3-7957-0154-3
Bei diesem Buch bedauert man nur eines: dass der Schott-Verlag
es nicht mit einem Hardcover-Einband versehen und der substanzreichen
Einführung nicht die Würde einer größeren
Schrifttype verliehen hat. Thomas Siedhoff stellt mit seinem „Handbuch
des Musicals“ ein Nachschlagewerk zur Verfügung, das
im Bereich des Musiktheaters bald unverzichtbar sein wird – und
zwar für alle Sparten der Praxis bis hin zur wissenschaftlichen
Forschung. Obwohl mittlerweile eine Reihe an Führern und Einzelstudien
erschienen ist, fristet das Musical in der deutschen Musikwissenschaft
nach wie vor ein Schattendasein. Und nicht nur in der Musikwissenschaft – Thomas
Siedhoff, 1987 bis 2000 Chefdramaturg des Münchner Staatstheaters
und 2000 bis 2006 Chefdramaturg und Pressesprecher der Bayerischen
Theaterakademie, legt in seiner Einführung ebenso knapp wie
prägnant dar, warum das Musical es auf deutschen Bühnen
wie auch in der Kritik bis heute so schwer hat: „Es unterbleibt
die Entwicklung einer anspruchsvollen Ästhetik des Unterhaltenden
im Dialog mit dem Publikum, der Kritik und mitunter auch mit den
Theaterleitern“ (S. 10).
Ein entscheidender Aspekt des Musicals ist seine kommerzielle
Ausrichtung – gerade
darin aber liegt sein enormer Erfolg beim Publikum, denn dieses
bezahlt und fördert, was hohen Unterhaltungswert in Verbindung
mit hoher Qualität bietet. Die Einleitung von Thomas Siedhoff
skizziert keine Geschichte des Musicals, dazu gibt es andere Bücher.
Vielmehr konzentriert sich der erfahrene Theatermann auf Aspekte,
die in der bisherigen Literatur kaum je beleuchtet werden: die
unbedingte und nicht negativ zu sehende Kommerzialität des
Genres, die Voraussetzungen für den Erfolg eines Musicals,
das Besondere eines Musicalorchesters wie auch der speziell ausgebildeten
Künstler, schließlich auch ein eigener Abschnitt über
die Entwicklung in Deutschland, die sich seit den 80er-Jahren eher
wie ein Wirtschaftsbericht liest. Der Abschnitt „Present
Times: Zur Gegenwart“ macht dabei deutlich, dass eine eigenständige
Entwicklung in Deutschland erst beginnt – und nicht zuletzt
ist es auch Ziel des Buches, Anstöße zur Entdeckung
des „wirklich interessanten und musikalisch hochwertigen
Eigenen“ zu geben (S. 22).
Die Auswahl der Einzeldarstellungen basiert gleichermaßen
auf Siedhoffs langjähriger Erfahrung als Dramaturg und als
wissenschaftlicher Mitarbeiter von „Pipers Enzyklopädie
des Musiktheaters“. Mehr als 250 Musicals werden differenziert
dargestellt. Aufgeführt werden dabei zunächst die Autorendaten – Koproduktion
von Musik (Komponist, Orchestrierung), Gesangstexten (Lyrics),
Buch und Choreographie –, dann die historische Daten
der ersten Aufführungen und die Verfilmungen, darauf eine
knappe Auflistung der Musiknummern (mit Akteinteilung), eine Inhaltsangabe,
Angaben zu Aufführung, Besetzung und Aufführungsdauer
sowie Hinweise zur Aufführungspraxis, schließlich – für
die Praxis sehr wichtig – die notwendigen Angaben zum Aufführungsmaterial
(Rechteinhaber, Verleih). In einem nächsten Abschnitt folgt
ein Kommentar zum Werk, seiner Entstehung und seiner Stellung innerhalb
der Musicalgeschichte wie auch zu seiner Rezeption. Abgeschlossen
wird jede Einzeldarstellung mit bibliographischen Angaben (Literatur,
Ausgaben, Erhältlichkeit in den Medien). Hinzu kommt ein Gesamtanhang
mit Chronologie der Musicaltitel, Literatur- und Internethinweisen,
Verlagsanschriften, übersichtlichen Aufstellungen von Musicalthemen,
-genres und -tänzen wie auch ein Glossar und ein Register.
Lediglich das Glossar hätte umfangreicher sein können;
eine Reihe von Fachtermini wird hier nicht erklärt.
Ansonsten setzt Siedhoff mit diesem Handbuch Maßstäbe:
Die Detailliertheit der Einzeldarstellungen, die kulturhistorische
Breite in der Einordnung, die Sachkenntnis des Dramaturgen, schließlich
die Fülle an notwendigen bibliographischen Hinweisen suchen
in der Literatur zum Musiktheater ihresgleichen. Dieses Buch wird
auf lange Zeit für interessierte Laien, Wissenschaft und Theaterpraxis
das Handbuch zum Thema Musical sein.