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nmz-archiv
nmz 2008/06 | Seite 38
57. Jahrgang | Juni
Rezensionen - DVD
La Paloma – und ein Wind weht von Süd
Alles über die „Ursonate des Pop“ – Film,
Buch und CDs
Ein Herzstück des deutschen Kinos des 20. Jahrhunderts: Hans
Albers singt „La Paloma“ in Helmut Käutners „Große
Freiheit Nr. 7“. Als „Animierfritze“ Hannes Kröger
stimmt er im Hamburger „Hippodrom“ sehnsüchtig
das Lied an, das viele für ein deutsches Volkslied oder ein
Traditional halten. Inszeniert hat Käutner, der heuer 100
Jahre alt geworden wäre, 1943 diesen Auftritt in den Studios
von Babelsberg und Prag. Wie so oft hatte der einstige Gründer
der Kabarettgruppe „Die vier Nachrichter“ auch gleich
die Liedtexte für seinen Film verfasst. Käutners „La
Paloma“ traf mitten ins Herz der deutschen Seele. Und wer
wollte, konnte in einer Traumsequenz auch die Originalfassung der „weißen
Taube“ hören: Als schwarzhaariger Mexikaner verkleidet
trägt dort der „blonde Hans“ den Originaltext
von Sebastián Iradier vor.
Natürlich darf Albers’ großer Auftritt nicht fehlen
im ersten Dokumentarfilm über die „Ursonate des Pop“,
der jetzt in die Kinos kommt: „La Paloma. Sehnsucht. Weltweit“.
Auf die Idee, der „weißen Taube“ um die ganze
Welt zu folgen, hatten die Regisseurin Sigrid Faltin natürlich
die vorzüglichen Trikont-Sampler gebracht, die der „verrückte“ Sammler
und DJ Kalle Laar zusammengestellt hat. Weit über 2.000 Plattenversionen
hat er inzwischen zusammengetragen. Gerade sind bei Trikont zwei
weitere unverzichtbare „La Paloma“-Kompilationen erschienen:
Vol. 5 („Songs from the Film“) und Vol. 6 mit wunderbaren
Fassungen von Helen Merrill, Artie Shaw oder Laurel Aitken.
Der Soundtrack beginnt mit einer traumhaften Glockenspielfassung
von „La Paloma“ aus der Heimat von Iradier. „Wir
sind in Vitoria, der schmucken Hauptstadt des Baskenlandes, auf
dem Vorplatz des Rathauses“, schreibt Kalle Laar in seinen
Liner Notes.
„Von dort aus erschallt jeden Tag um zwölf Uhr mittags ,La
Paloma’ über den Platz in die Stadt, eher leise, kurz,
aber doch auf eindringliche Weise präsent. Sonst erinnert
wenig an den eigentlich berühmtesten Basken, um die Ecke noch
eine Bronzeplakette, aber auch in dieser Stadt wissen nicht viele
Menschen, dass ,La Paloma‘ eben kein Volkslied ist, wahlweise
der Kubaner, Mexikaner, Deutschen, Basken, Spanier, Hawaiianer,
Zanzibarer und wer sonst noch auf dieser Welt das Lied für
sich reklamiert.“ Der Weg war also vorgezeichnet für
die Filmemacherin Sigrid Faltin, die natürlich auch nicht
auf Freddy Quinn und Elvis Presley verzichtet. Wichtiger scheinen
ihr aber die „folkloristischen“ Verkleidungen der einstigen
kubanischen Habanera, die vor rund 150 Jahren komponiert wurde,
zu sein. Und um die geht es vor allem auch im exzellenten Buch
zum Film, das pünktlich zum Start im Marebuchverlag erschienen
ist, und das sie zusammen mit dem Musikjournalisten Andreas Schäfler
verfasst hat: „La Paloma. Das Lied.“
Im Vorwort haben die Autoren einige der Metamorphosen dieses
Jahrhundertliedes, die sie beschreiben, zusammengefasst: „In Mexiko rührte
,La Paloma’ den unglücklichen Habsburger Kaiser Maximilian
zu Tränen, während seine republikanischen Gegner sich
zur selben Melodie über das Kaiserpaar lustig machten.
Als Wiener Walzer oder Marsch kam ‚La Paloma‘ nach
Europa und wurde erwachsen. Hans Albers’ alkoholgetränkte
Version wurde von Goebbels verboten, während in Auschwitz
die Kinder zu den Klängen von ,La Paloma’ ins Gas geschickt
wurden. Das Lied war beim ,Wunschkonzert für die Wehrmacht’ ebenso
gefragt wie wenig später in der Wirtschaftswunder-Ära.
Auf Sansibar wird es bis heute auf Hochzeiten gespielt, im rumänischen
Banat tröstet es bei Beerdigungen die Hinterbliebenen.“
Ins „Kabinett des Dr. Kalle Laar“ führt uns schließlich
das letzte Kapitel dieses wunderbaren Buchs, eine kommentierte „La
Paloma“-Diskografie. Nach Genres unterteilt haben die Autoren
die „La Paloma“-Fassungen auf den vier ersten Trikont-CDs,
die dem Buch beiliegen: Klassik, Jazz, Pop, Folk, Schlager und „Findelkinder“.
Mit meinem Lieblingsfindelkind Jaco klingt dann auch dieser Überblick
aus. Jaco ist übrigens ein singender Papagei, der „La
Paloma“ in einer DDR-TV-Show interpretierte. Von Albers zum
Albernen ist oft nur ein Katzensprung.