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nmz-archiv
nmz 2008/06 | Seite 30
57. Jahrgang | Juni
Jugend musiziert
Eine gesunde Entwicklung der Preisbilanz
Am Ende des 45. Bundeswettbewerbs “Jugend musiziert“ wird
ein positives Resümee gezogen
Nach neun Tagen intensiven Musizierens, der Begegnung und des
Austausches endete am 17. Mai 2008 der 45. Bundeswettbewerb “Jugend
musiziert“. Mit über 2.000 Jugendlichen in über
1.000 Wertungsspielen war “Jugend musiziert“ 2008 erneut
ein Wettbewerb der Rekorde.
Mochte man sich einerseits über die ungebrochene Attraktivität
von “Jugend musiziert“ freuen, so stellte die Besucherzahl
für die Planung und Durchführung des Bundeswettbewerbs
eine enorme Herausforderung dar. Mit dem Congress Zentrum Saar,
das nicht nur zentral gelegener Konzertort war, sondern die gesamte
Organisations-Zentrale und auch noch drei große Wettbewerbskategorien
nebst zugehöriger Einspielräume beherbergte, waren optimale
Bedingungen geschaffen. Denn wie in jedem Jahr lautete das erklärte
Ziel, die logistischen Abläufe so lautlos zu gestalten, dass
sich die jungen Leute ausschließlich auf ihr Wertungsspiel
konzentrieren konnten. Räume für sieben weitere Kategorien
stellten die Musikhochschule, zwei Schulen, eine Musikschule, die
Universität Saarbrücken, die Landesakademie Ottweiler
und der Saarländische Rundfunk zur Verfügung. Mit letzterem
war “Jugend musiziert“ eine Medienpartnerschaft eingegangen,
die sich im Lauf der Wettbewerbstage zum „Jugend musiziert-Kanal“ mauserte:
Alle vier Preisträgerkonzerte und das Abschlusskonzert wurden
mitgeschnitten, das Saarlandkonzert, das Europäische Konzert
und das 2. Preisträgerkonzert wurden in voller Länge
direkt übertragen. Die “Jugend musiziert“-Annalen
verzeichnen erstmalig ein solches Engagement, künftige Medienpartner
werden sich daran messen lassen müssen!
So weit die Rahmenbedingungen, die von vielen Menschen in vielen
Monaten geschaffen worden waren und durchaus als optimal bezeichnet
werden durften. Auch die Gestaltung des Wetters hatte man, nebenbei
bemerkt, nicht dem Zufall überlassen, die Frühlingssonne
beschien den 45. Bundeswettbewerb vom ersten bis zum letzten Tag
vom wolkenlosen Himmel.
Quantität und Qualität
Nach acht Tagen in konzentrierter Wettbewerbsatmosphäre, in
denen sich die Musikerinnen und Musiker mit ihren Wettbewerbsprogrammen
vor den 17 Jurygremien präsentiert hatten, stand am 17. Mai
das Ergebnis fest: 295 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten
einen Ersten Bundespreis, 470 einen Zweiten Bundespreis und 619
einen Dritten Bundespreis.
Von den 1.996 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die “Jugend
musiziert“ schließlich am Wettbewerbsort begrüßen
konnte, erhielten damit 612 keinen Preis. Im Vergleich: Im 42.
Bundeswettbewerb 2005, der die gleichen Kategorien angeboten hatte
und in dem die Jugendlichen noch nach dem alten Punktesystem bewertet
worden waren, lag die Rate der mit einem Bundespreis ausgezeichneten
Musiker bei 83 Prozent, 2008 bei 69 Prozent. Sinken die Leistungen
also? Oder steigen die Anforderungen? Dazu der Vorsitzende von “Jugend
musiziert“, Professor Reinhart von Gutzeit: „Bei knapp
2.000 Teilnehmern und 946 Wertungen schafft es niemand, sich einen
Gesamtüberblick zu verschaffen, die Jurys sprachen jedoch
insgesamt von einem sehr hohen Teilnehmerniveau. Es ist ja bekannt,
dass wir versucht haben, den Anspruch an die Verleihung eines Ersten,
Zweiten oder Dritten Bundespreises etwas zu erhöhen. In früheren
Jahren gab es kaum Teilnehmer, die ohne Preis nach Hause gefahren
sind. Die Verantwortlichen haben den Eindruck, dass die Preisbilanz
2008 keine ungesunde Entwicklung ist. Auch die Verleihung des Ersten
Bundespreises an Teilnehmer mit 24 und 25 Punkten (früher
23 bis 25) hat sich in meinen Augen bewährt. So hörten
wir in den Abschlusskonzerten fast ausschließlich glänzende
Leistungen, die auch von anderen Teilnehmern, deren Eltern und
deren Lehrer als ‚verdiente Sieger‘ akzeptiert werden.“
Hans Peter Pairott, Projektleiter der Wettbewerbe “Jugend
musiziert“, ergänzt: „Konkret hatten wir beispielsweise
in der Kategorie ‚Klavier‘, Altersgruppe IV, 96 Teilnehmer,
von denen 10 einen Ersten Bundespreis erhalten haben. Einige von
ihnen waren im Abschlusskonzert zu hören und vor der Leistung
dieser jungen Pianistinnen und Pianisten kann man nur den Hut ziehen.
Von den ‚klassischen‘ Kategorien abgesehen waren auch
in der Harfen-Wertung virtuose Beiträge zu hören, und
betrachtet man die Ergebnisliste der Harfe, so stellt man eine
hohe Leistungsdichte fest. Auch die Kategorie ‚Akkordeon-Ensemble‘ nimmt
eine positive Entwicklung: Hier wurde sehr viel anspruchsvollere
Musik präsentiert als im kategoriengleichen Bundeswettbewerb
2005.“
Weiterhin der
Renner: „Neue Musik“
Im 45. Bundeswettbewerb fand eine neue Reglung ihren Abschluss,
die im Vorfeld einige Aufregung verursacht hatte: Die Neue Musik,
bisher unter besonderem Schutz im Reglement von “Jugend musiziert“ und
deshalb verpflichtend in jedem Wettbewerbsprogramm vorgeschrieben,
erhielt einen neuen Status. „Förderung statt Forderung“ lautet
seit den Regionalwettbewerben 2008 der Slogan, denn im Laufe der
Jahrzehnte war Neue Musik die bei den Teilnehmern beliebteste Epoche
geworden und nach Ansicht des Projektbeirates keines besonderen
Schutzes mehr bedürftig. Als der Schutzzaun gefallen war,
sah mancher eine ganze Musikergeneration erleichtert zu den Klassikern
zurück- und der Zeitgenössischen Musik ein für allemal
den Rücken kehren. Zumindest fürs Erste lässt sich
diese Furcht ausräumen, ein Blick ins Programmbuch des Bundeswettbewerbs
genügt: „Man muss mit der Lupe nach Teilnehmern suchen,
die weder ein Werk der Epoche ‚e‘ noch der Epoche ‚f‘ spielen.
Viele haben beide Epochen im Programm“, so von Gutzeit. „Nun
gibt es kritische Stimmen, die warnen: Es haben ja noch gar nicht
alle gemerkt, dass man nicht mehr muss… Dennoch: Ich mache
mir wenig Sorgen. Solange so viele Konzertbesucher darüber
stöhnen, dass die Preisträgerkonzerte allzu ‚Neue-Musik-lastig‘ sind,
sehe ich keine Notwendigkeit, die Zwangsverpflichtung wieder einzuführen.“
Die oben erwähnte Förderung besteht in einem weiteren
Wettbewerb, quasi der vierten Phase des bislang dreiphasig angelegten
Förderprojektes “Jugend musiziert“. Ihr Schwerpunkt
wird auf der Beschäftigung mit Neuer Musik liegen. Im September
wird es an zwei aufeinander folgenden „WochenEnden der SonderPreisE“,
genannt „WESPE“, sieben Sonderpreiskategorien geben,
um die sich Bundespreisträger und Teilnehmer 2008 bewerben
können. Insgesamt stehen dafür rund 30.000 Euro zur Verfügung.
Und so sieht das Verfahren aus: Die beiden Austragungsorte für „WESPE“ sind
Freiburg und Münster. Alle Bundespreisträger 2008 erhalten
eine Einladung der Bundesgeschäftsstelle “Jugend musiziert“ mit
der Aufforderung, sich mit dem „Werk einer Komponistin“,
einem „Eigenen Werk“ oder einem Werk der „Verfemten
Musik“ in Freiburg um einen Sonderpreis zu bewerben. Darüber
hinaus hatten sich einige Teilnehmer bereits im Bundeswettbewerb
für die „WESPE“-Kategorien „Klassische Moderne“, „Uraufführung“, „Zeitgenössische
Musik“ in Freiburg und „Werke der Klassik“ in
Münster qualifiziert. Auch sie erhalten eine Einladung nach
Freiburg, der „Klassikpreis“ wird dann traditionell
in Münster ausgespielt.
„
Neue Musik“ hieß im 45. Bundeswettbewerb auch eine
Kategorie, die besonderen Ensemble-Besetzungen vorbehalten war.
Hier wurde das gesamte Wertungsprogramm mit Neuer Musik gestaltet,
während sie in den anderen Kategorien eine von mehreren Epochen
ist. „Natürlich konnte ich nicht alle Wertungsspiele
besuchen, aber mir fiel auf, dass in dieser Kategorie sehr viel
Inszenierung im Spiel war, das Virtuose trat eher in den Hintergrund.
Die Jury hat das aber durchaus erkannt und die Interpretation bewertet
und nicht das Werk. Von 59 Ensembles der Altersgruppen III bis
VI erhielten zehn einen Ersten Bundespreis“, bilanziert Pairott
und richtet damit auch einen Appell an die Lehrer, die ihre Schüler
auf den Wettbewerb vorbereiten und mutmaßlich effektvolle
Werke wählen.
Begegnung möglich auf dem „Festival der Begegnung“?
Optimale Rahmenbedingungen, strahlender Sonnenschein, eine kritische
und gleichzeitig zugewandte Jury, also ein gelungenes Festival? „Ja
und nein“, sagt Pairott: „Wie sehr Teilnehmer füreinander
einstehen, wie schnell sich Freundschaften bilden, sehen wir an
der Anzahl der spontan einspringenden ‚Umblätterer‘ in
den Klavierwertungen, wir sehen es daran, dass man sich gegenseitig
mit Konzertkleidung aushilft, einander in den Wertungsspielen zuhört.
Dennoch wird die Dauer des Aufenthalts am Wettbewerbsort immer
kürzer. Weshalb das so ist, darüber können wir nur
Vermutungen anstellen. Im Vorfeld des Bundeswettbewerbs erreichten
uns mehr als 300 Zeitplanwünsche, und zwar nicht aus familiären
Gründen, allesamt waren sie schulischer Art. Wir wussten also,
dass ein großer Teil der mitwirkenden Musikerinnen und Musiker
nur wenig Zeit in Saarbrücken verbringen würde, weil
andere Verpflichtungen anstanden. Vielleicht sind das erste Auswirkungen
von ‚G8‘?“ „Auch ich bin beunruhigt darüber,
dass die Teilnehmer immer kürzer beim Bundeswettbewerb verbleiben“,
ergänzt von Gutzeit. „Das mag in diesem Jahr mit dem
veränderten Zeitplan zu tun haben – es waren weniger
schulfreie Tage als sonst betroffen und das Abitur ist noch ein
Stückchen näher. Ich hoffe nicht, dass sich eine grundsätzliche
Haltung darin ausdrückt. Allerdings müssen wir uns auch
selbstkritisch fragen, ob wir genug attraktive Veranstaltungen
(außer den höchst attraktiven Wertungsspielen der ‚anderen
Teilnehmer‘) anbieten.“
Was kann man also tun, um “Jugend musiziert“ wieder
stärker zu einem Festival der Begegnung zu machen? Sicherlich
ist ein attraktives und auf mehrere Tage angelegtes Rahmenprogramm
mit diversen Workshops ein guter Weg. Bereits 2007 hatten die Jeunesses
Musicales Deutschland und Yamaha Music Central Europe zwei passgenaue
Workshops für Teilnehmerinnen und Teilnehmer angeboten. 2008
wurde dieses Angebot beider Institutionen weiter ausgedehnt und
so nahmen immerhin rund 300 Jugendliche das Angebot wahr: reisten
früher an oder verlängerten ihren Aufenthalt für „Improvisation“, „Violine
in Pop und Jazz“ und „Disklavier-Flügel“.
Wünschenswert ist die Fortsetzung dieser erfolgreichen Kooperation
mit den beiden Partnern auch für die kommenden Bundeswettbewerbe
und willkommen sind weitere Anbieter, damit man das Workshop-Angebot
im Idealfall auf die gesamten neun Wettbewerbstage ausdehnen und
damit die Jugendlichen zum Bleiben animieren kann. Das aber muss
finanziert werden. Und weil Reinhart von Gutzeit das Interesse
aller am Fortbestand des Begegnungscharakters von “Jugend
musiziert“ voraussetzt, schließt er: „Über
die Erweiterung des Rahmenprogramms müssen wir mit den öffentlichen
und privaten Geldgebern sprechen.“
Der 45. Bundeswettbewerb
“Jugend musiziert“ in Kürze
Rund 2.100 Musikerinnen und Musiker, Erste Preisträger der
Landeswettbewerbe “Jugend musiziert“, hatten sich zum
45. Bundeswettbewerb “Jugend musiziert“ angemeldet.
Er fand vom 9. bis 17. Mai in Saarbrücken statt.
Rund 520 Musiker waren im Bundeswettbewerb “Jugend musiziert“ in
Solokategorien angetreten: Klavier, Harfe und Gesang lauteten die
Kategorien 2008, 1.500 von ihnen hatten sich in Kammermusik-Ensembles
angemeldet: Streicher-Ensembles, Bläser-Ensembles, Akkordeon-Ensembles
und Ensembles für Neue Musik. 180 Nachwuchsmusiker hatten
sogar an einem weiteren Wertungsspiel teilgenommen, also zwei vollständige
Wettbewerbsprogramme vorbereitet.
Die vier Preisträgerkonzerte und das Abschlusskonzert demonstrierten
einmal mehr die meisterhaften Fähigkeiten der soeben gekürten
Bundespreisträger: 56 Musikbeiträge waren zu hören,
präsentiert von 125 Musikerinnen und Musikern. In einem dem
Abschlusskonzert vorangestellten Festakt, in dem “Jugend
musiziert“ auch den saarländischen Ministerpräsidenten
Peter Müller begrüßen konnte, würdigten die
25 Institutionen und privaten Stifter mit der Vergabe von Sonderpreisen
an ausgewählte Bundespreisträger die Leistungen des 45.
Bundeswettbewerbs. Rund 70.000 Euro waren für Bundespreisträger
2008 ausgelobt.