Mit dem Gründungskonzert ihres Projektensembles wird das „KlangNetz
Dresden“ ausgeworfen
Neben Berlin hat es Dresden als einzige Stadt im Osten der Republik
geschafft: die Teilnahme am Förderprojekt der Kulturstiftung
des Bundes „Netzwerk Neue Musik“, welches, auf vier
Jahre angelegt, Anfang 2008 begonnen hat und der Stadt vielfältige
Impulse innerhalb der Musik der Gegenwart ermöglichen wird.
Im „KlangNetz Dresden“ sollen die vorhandenen Kräfte
gebündelt und die Bildung nachhaltiger Partnerschaften und
Kooperationen gefördert werden.
Feldmans „The
Viola in my Life II“: Solist Wenbo Xu. Foto: MHS
Dresden
Wesentlich für den Erfolg des Dresdner Antrages waren vor
allem die Konzeptionen zur Vermittlung und Vernetzung in der Stadt,
die ohnehin ein hohes Potenzial an experimentierfreudigen Interpreten
aufweist, sei es innerhalb der beiden großen Orchester, der
Hochschule oder in der vielfältigen Ensemble- und Kammermusikszene
im freien Bereich, genannt seien hier beispielhaft der Dresdner
Kammerchor, „sinfonietta dresden“ oder das Klaviertrio „elole“.
Jörn Peter Hiekel, Leiter des Instituts für Neue Musik
an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, initiierte
und betreut das „KlangNetz Dresden“. Bereits im ersten
Halbjahr 2008 wurde eine große Anzahl von Projekten umgesetzt,
Planungen für das nächste Jahr ins Rollen gebracht und
ohnehin aktuell stattfindende Neue-Musik-Konzerte in das Förderprojekt
integriert. Die Musikhochschule selbst erhält dabei eine Art „Spinne-im-Netz“-Status – lehren
und studieren hier doch eben genau die Musiker, die zu vielen Gelegenheiten
in der Stadt in Eigeninitiative oder innerhalb von Ensembles mit
zeitgenössischer Musik aktiv sind. Hiekel sieht so die Chance,
die zeitgenössische Musik nicht per Theoriefindung, sondern
per praktischer und vor allem gemeinsamer Ausübung vom Nischen-Dasein
zu befreien: Die Projekte drängen vehement in die Öffentlichkeit
und damit ins Bewusstsein der Zuhörer. Bestes Beispiel dafür
war bereits die Integration des „Capell-Compositeurs“ der
Sächsischen Staatskapelle Dresden in das KlangNetz.
Die Komponistin Isabel Mundry, die den Titel in der Saison 2007/2008
trägt, konnte so nicht nur in der Semperoper ihre Werke vorstellen,
sondern wurde zugleich auch in einen Workshop, eine Podiumsdiskussion
und ein Kammerkonzert an der Hochschule eingebunden. In einem weiteren
Projekt des „KlangNetz Dresden“ war sie ebenfalls mit
einem Werk vertreten: im Gründungskonzert des Projektensembles „KlangNetz
Dresden“. Und nein – dies ist eben nicht das „Ad-Hoc-Ensemble
für Neue Musik“, das es fast in jeder deutschen Großstadt
gibt und wie Phoenix aus der Asche aufsteigt, wenn es irgendwo
ein Fördertopf hergibt. Hiekel suchte bei der Konzeption der
Gründung die Partnerschaft der Dresdner Philharmonie, um Hochschule
und Profi-Orchester in der musikalischen Praxis zusammenzubringen.
Das Experiment – soweit lässt sich dies nach dem ersten
Konzert bereits sagen – ist gelungen: Studenten und Profis
erarbeiteten und musizierten gemeinsam vier große zeitgenössische
Ensemblewerke – eine Einmaligkeit in der gegenwärtigen
Musiklandschaft, wenn man von Jugendorchestern mit Mentoren am
vordersten Pult einmal absieht. Diese Ensemblegründung macht
Sinn, und es ist gar nicht gesagt, dass hier die „Alten“ die „Jungen“ belehren.
Wer (wenn überhaupt) übernimmt in einem solchen Ensemble
die Mentorenrolle: der philharmonische Musicus, der Zeitgenössisches „im
Dienst“ nur selten und zumeist unfreiwillig aufs Pult bekommt?
Oder der engagierte Musikstudent, dessen ungebremste Neugier auf
moderne Partituren allenfalls vom Hauptfachlehrer mit dem stetig
vorgebrachten und dennoch falschen Repertoire-Argument gestört
wird?
Die eigentlich als selbstverständlich anzusehende Öffnung
für Neue Musik setzt so in beiden Institutionen, im Lehrinstitut
wie im Orchester ein; das Ensemble wird dazu wertvolle Hilfestellungen
geben und das Bewusstsein schärfen. Dazu gehört allerdings
eine qualitativ hochwertige Dramaturgie der Konzerte, denn weder
soll hier ein Podium für zweifelhafte Partituren entstehen,
noch sollen die wichtigsten Werke der Gegenwart im Blattspiel heruntergespielt
werden. Das Gründungskonzert stimmte höchst hoffnungsvoll.
Mit einer Musikerpersönlichkeit ersten Ranges am Pult wurde
eine schlüssige Programmfolge dargeboten, die auch in der
Interpretation vollkommen befriedigte: Hans Zender lud unter dem
Motto „Klang und Stille“ zu einer spannenden Entdeckungsreise
durch Partituren von Feldman, Mundry, Scelsi und aus seiner eigenen
Feder. Dabei war Zender nicht nur der inspirierende Leiter der,
so die Musiker, höchst intensiven Probenarbeit und des Konzertes,
sondern auch der „Vermittler“ im Sinne des KlangNetz-Projektes,
denn er wandte sich im Konzert auch verbal ans Publikum. Damit
schuf er Brücken zwischen den Werken, ordnete die Klang- und
Zeitebenen der unterschiedlichen Stile und erreichte mit wenigen
Worten genau das, was ein Konzert mit zeitgenössischer Musik
idealerweise leisten sollte: begeistern, faszinieren, den Horizont
erweitern und die Entdeckung neuer Klangwelten zu ermöglichen.
Die Hörnachbarschaft von Scelsi („Natura Renovatur“)
und Feldman („The Viola in my Life II“) fiel dabei
ebenso sinnfällig auf wie die zwischen Mundry („Le Silence – Tystnaden“)
und Zender („Furin no kyo“).
Auch die nächsten Persönlichkeiten am Dirigentenpult
des Ensembles garantieren einen hohen Musizieranspruch: Ekkehard
Klemm, Matthias Pintscher, Beat Furrer und Peter Eötvös
werden Zender nachfolgen, das nächste Konzert findet am 26.
November 2008 statt. Einige Baustellen gilt es auszumerzen – die
unvermeidliche Krux der Publikumsgewinnung muss noch stärker
in die Arbeit des Förderprojektes eingebunden werden. Zudem
wäre die Mischung der Ensemblemitglieder aus Profis und Studenten
noch verbesserungswürdig, was aber wohl mehr ein Problem gefüllter
Dienstpläne (und auch des kaum weniger beanspruchten Studenten-Terminkalenders)
darstellt. Dresden hat sich mit dem neuen Ensemble „KlangNetz
Dresden“ ein Forum für zeitgenössische Musik geschaffen,
das in sich selbst bereits ein Experiment darstellt, aber für
Verbreitung und Verständnis der Gegenwartsmusik hoffentlich
auch über den Projektzeitraum hinaus wertvolle Arbeit leisten
wird.