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2008/07 | Seite 12
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Bad Boy Of Music
Wenn der Schamane zweimal bimmelt
Neulich las ich eine Neue-Musik-Konzertkritik mit dem wunderschönen
Titel „Die Fragwürdigkeit des Lebens ausdrückend“ – eine
erstaunliche Überschrift für einen Bericht über
ein kleines Kammerkonzert des Bayerischen Tonkünstlerverbandes,
das solche tiefen Fragen sicherlich nicht stellen wollte. Wie man
denn nun das Leben als Gegenüber befragen kann, wurde in dem
Text nicht ganz klar, man kann aber annehmen, dass dies zu tun
irgendwie ganz doll tiefsinnig ist.
So zeigt sich die Sehnsucht nach den großen Sinnfragen, die
so viele von uns Neue-Musik-Fuzzis innig durchdringt. Denn es fehlt
da ja was in den Konzerten, in denen das Lebendige ständig
in Frage gestellt werden muss, um die Unsinnlichkeit der Darbietungen
zu erklären. Man muss also Strategien entwickeln, sich das
nötige „Rausch“-Vitamin auf andere Weise zuzuführen.
Und das nimmt mitunter kuriose Formen an.
Als Darmstadt am trockensten und verknöchertsten war, erregte
zum Beispiel der sympathische Neuankömmling John Cage großes
Aufsehen mit seiner Melange aus weisem Humor, östlicher Philosophie
und schönen Wortgebilden (was dann später leider in Biographien über
ihn mit Titeln wie „Tosende Stille“ mündete, über
die sich Max Goldt gerade erst zu Recht lustig gemacht hat). Das
war natürlich wie ein frisches Lüftchen in stickiger
Zeit, kein Wunder, dass man sich da Vieles, was die Musik vielleicht
gar nicht selber leisten konnte oder wollte, einfach gedanklich
dazuinterpretierte. Stille kann ja nur „beredt“ werden
(eine der drögen Lieblingsformeln, die bei der Beschreibung
von Cages Musik verwendet wird), wenn man sich selber was Ominöses
dazu denkt – ist ja auch irgendwie wahnsinnig kreativ und
wir sind alle Künstler, nicht wahr?
Cage selber würde sich wahrscheinlich köstlich darüber
amüsieren, wie heute selbst seine zusammengestoppeltsten Verrichtungsanweisungen
mit kultischer Verehrung bedacht werden – er selbst verließ ja
seine Aufführungen gerne oder schlief ein bisschen dabei.
Dennoch gelang es ihm nicht immer, eine gewisse messianische Wirkung
seiner Worte zu verhindern. Vielleicht spielte er auch ein bisschen
damit, wer weiß. Aber letztlich wurde er zur Projektionsfläche
der Sinnsuchenden.
Andere Komponisten gehen einen Schritt weiter und streben die
totale Überwältigung
der Zuhörer durch spirituelles Gedöns an, wie etwa Stockhausen.
Erstaunlich Viele fahren bei ihm ja eher auf diese Metaebene als
auf die tatsächliche musikalische Qualität seiner Spätwerke
ab – letzteres wäre zugegebenermaßen auch schwieriger.
Als Giacinto Scelsi kurz vor seinem Tod ein Orchesterkonzert
mit natürlich nicht von ihm selbst komponierter, aber auf geheimnisvolle
Weise durch seine geistigen Energien bei bezahlten Auftragsschreibern
angeregter Musik in Frankfurt besuchte, forderte er das Publikum
zu einem gemeinsamen großen Zwangs-„Om“ auf.
Und siehe da, selbst die anwesenden ultrakritischen Sittenwächter
der Moderne fügten sich ergriffen in den kosmischen Befehl
des greisen Meisters und standen auf wie eine Herde Schafe, einer
tiefen inneren Sehnsucht nach Erhabenheit folgend – und damit
einen der mit Abstand peinlichsten Momente in der Geschichte der
Neuen Musik kreierend.
Und während man im Sprechtheater für den Begriff „Happening“ inzwischen
zu Recht nur noch ein Gähnen übrig hat und sich sehnlich
wieder gekonnt durchinszenierte Stücke wünscht, muss
ein Schlingensief auf der Opernbühne nur ein wenig Mysterienspiel
mit entferntem Bezug zum Stück zelebrieren, und selbst die
kritischsten Kritiker werden plötzlich zu willig stammelnden
Gehülfen des knuffigen Schamanen aus Oberhausen und zelebrieren
eine „Wiederkehr des Rituals“.
Ich kann ja diese Ausgehungertheit nach irgendeiner Form von
Hingabe nachvollziehen, und die wird hier ja geschickt bedient,
jedem Tierchen
sein Pläsierchen. Aber es hat natürlich etwas unglaublich
Komisches, wenn sich die alte müde Avantgarde quasi durch
die C.G. Jung’sche Hintertür der Legitimation durch
das „Kollektive Unbewusste“ die kleinen geilen Luststöße
holt, die sie sonst so vermisst … und dann auf gröbsten
Unfug gänzlich unbewusst hereinfällt.
War da nicht mal irgendwas mit Kritik an dem ganzen Erhabenheitsschmarrn?
Ist es schon wieder so weit, dass wir kultische Blut-und-Boden-Rituale
und schwummrige Mystik brauchen? Vor knapp 500 Jahren kämpfte
Luther um die Abschaffung des Kirchenablasses und Reliquienkultes,
scheinbar erfolglos, denn heute müssten vor manchen Neue-Musik-Konzerten
Warnschilder aufgestellt werden, dass man mit dem Konzertticket
auch den Einlass zu einer Werbeveranstaltung für Esoterik
erwirbt. Anstatt eines normalen Konzertes sieht man nämlich
Hohepriester, die sich weihevollen Zeremonien hingeben, um uns
von den Sünden des falschen Hörens reinzuwaschen (natürlich
ist ihre Art zu hören die einzig Richtige, wer hätte
das gedacht). Nicht nur einmal habe ich erlebt, dass das Publikum
von einem mit einer Ziegenmaske bekleideten Trommler zum Niederknien
und Beten aufgefordert wurde – das hätte man doch gerne
vorher gewusst und wäre gar nicht erst hingegangen, denn schon
der gute alte Schönberg warnte uns virtuos genau davor mit
seinem „Tanz ums Goldene Kalb“. Man höre auf ihn
und andere Urväter der Moderne, die wussten noch, wie der
verwesende Hase läuft und hauten rechtzeitig ab.
Es ist vollkommen austauschbar, ob es sich um neue Russenmystik,
pseudoindianische „Weisheiten“ aus dem Poesiealbum
oder kryptische Verkündungen von sexbesessenen Stocki-Aliens
vom Sirius handelt – alle Schamanen bewegen sich gefährlich
nahe an der bei den neuen TV-Esoteriksendern so beliebten „Energieaustausch“-Praxis,
viel profaner ausgedrückt mit: „Ich will deine Kohle!“ Irgendeiner
muss ja den ganzen Quatsch bezahlen.