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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 14
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Kulturpolitik
Ein Stadtteil swingt, tanzt und singt
„Musik in Hainholz“ Hannover – über ein beispielhaftes
Projekt lokaler kultureller Bildung und Vernetzung
„Wir geh‘n ab! Auf dem Weg, erwachsen zu werden. Wir
wollen Ziele haben. Und wir wollen etwas erreichen, bevor wir sterben…“ So
oder so ähnlich klingt es, wenn sich die Schulband „The
Beat Style“ der Förderschule Paul Dohrmann in Hannover
einmal in der Woche zum gemeinsamen Proben trifft. Unter der Leitung
des Musikers Nils Nordmann und der Mo’Horizons Sängerin
Denise M’Baye musizieren zehn Schülerinnen und Schüler
unterschiedlichen Alters miteinander, schreiben Texte, spielen
Keyboard und Gitarre, singen und rappen. Und das ziemlich erfolgreich:
Zahlreiche Auftritte und die Veröffentlichung einer CD sind
das i-Tüpfelchen des Schulprojektes, das den Jugendlichen
neue Perspektiven und Selbstbewusstsein vermitteln soll.
Musik
für einen ganzen Stadtteil: Rund 30 Prozent der Einwohner
von Hainholz haben einen Migrationshintergrund.
Dabei ist „The Beat Style“ nur eines der unzähligen
kleinen und großen Musikprojekte, die seit nunmehr zwei Jahren
die Menschen in Hannover-Hainholz mobilisieren. Denn im Januar
2006 wurde in der niedersächsischen Landeshauptstadt unter
dem Titel „Musik in Hainholz“ ein deutschlandweit einmaliges
Förderprogramm ins Leben gerufen – mit dem ehrgeizigen
Ziel der Musikalisierung eines ganzen Stadtteils. Durch Musik sollen
kulturelle Bildung und Schlüsselkompetenzen dort vermittelt
werden, wo es bisher kaum Angebote gab.
„
Mein Wunsch war es, alle Menschen in Hainholz in ein Musikprojekt
zu integrieren und durch Musik das Lern- und Sozialverhalten im
Stadtteil auf lange Sicht positiv zu verändern“, erklärt
Morena Piro, Initiatorin und Leiterin des bundesweit ausgezeichneten
Projektes. Die Vision der Musikalisierung des Stadtteils entwickelte
sich im Wesentlichen aus ihrer Arbeit für das regionale Bildungsnetzwerk
FLUXUS. Als Leiterin der im MusikZentrum Hannover angesiedelten
Werkstatt „Musik und Bewegung“ kam Piro nach und nach
mit den Akteuren der sozialen und kulturellen Einrichtungen in
Hainholz in Kontakt. Der Erfahrungsaustausch und die Gespräche
innerhalb des Stadtteils machten ihr deutlich, wie groß der
Bedarf und die Nachfrage an kultureller Bildung in allen Altersschichten
war.
Hainholz, im Nordwesten Hannovers gelegen, gehört schon seit
langem zu den Problemkindern der Landeshauptstadt. Insgesamt ein
Viertel der Einwohner bezieht Transferleistungen wie Arbeitslosengeld
oder Sozialhilfe – das sind fast doppelt so viele wie stadtweit.
Für einen Großteil der Kinder und Jugendlichen ist das
Aufwachsen in finanziell belasteten Situationen somit Alltag.
Die Vermittlung von sozialen Schlüsselkompetenzen, aber auch
die schulische Integration von Schülern aus Familien mit Migrationshintergrund – diesen
haben rund 30 Prozent der Einwohner – gehörte deshalb
von Anfang an mit zu den Aufgaben, denen sich „Musik in Hainholz“ widmen
wollte.
„Mama
singt“ – die Idee: Mütter mit Migrationshintergrund
singen Kinderlieder aus ihrer Heimat. Eine Kooperation
von „Musik in Hainholz“ mit den Hainhölzer
Schützen. Beide Fotos: Musik in Hainholz
„Der Gedanke, allen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich
musikalisch zu betätigen und durch Musik langfristige Ziele
wie Partizipation, Prävention und musikalische Breitenförderung
zu erreichen, traf sofort den Nerv aller Beteiligten“, erinnert
sich Morena Piro an die Anfangsphase des Projektes. Förderer
und Kooperationspartner waren deshalb schnell gefunden. Sowohl
die Landeshauptstadt Hannover mit den Bereichen „Jugend und
Soziales“ und „Kultur und Schule“ als auch die
Bürgerstiftung und das MusikZentrum konnten von „Musik
in Hainholz“ begeistert werden, sodass eine kombinierte Trägerschaft
entstand, die – ebenso wie das Projekt – bundesweit
einmalig ist. Unterstützt wird das Förderprogramm darüber
hinaus vom Deutschen Musikrat, der Hochschule für Musik und
Theater Hannover, dem Landesmusikrat Niedersachsen sowie zahlreichen
weiteren Organisationen und Verbänden, darunter private Stiftungen
wie die PwC Stiftung und die Sparda Stiftung. Auch bekannte Musiker
wie Christof Stein-Schneider (Fury in the Slaughterhouse), Mousse
T. oder Emma Lanford machen sich vor Ort für das Projekt stark. „Unser
Angebot ist breit gefächert und richtet sich nach dem Bedarf
der jeweiligen Einrichtung und Zielgruppe“, erläutert
Morena Piro den Aufbau des Programms. „Für die unterschiedlichsten
Altersgruppen gibt es eine Vielfalt an Arbeitsgemeinschaften aus
allen Musiksparten: von Klassik bis Rap, über Jazz und Pop
bis hin zu HipHop – und sogar Volksmusik.“ Ein Beispiel
hierfür ist die Zusammenarbeit mit den Hainhölzer Schützen,
die zu ihrem 100-jährigen Jubiläum eine CD mit Tanzmusik
im MusikZentrum aufgenommen haben. Gemeinsam mit der Projektstelle
Sprachförderung und dem Kulturtreff Hainholz entstand zudem
die CD/DVD „Mama singt“. Die Idee: Mütter mit
Migrationshintergrund singen Kinderlieder aus ihrer Heimat.
Mittlerweile arbeiten über 30 Dozenten daran, Jung und Alt
für die musikalischen Programme in ihrem Stadtteil zu begeistern
und den Teilnehmern über Musik, Bewegung und Tanz spielerisch
soziale Schlüsselkompetenzen zu vermitteln. Dabei ist es vor
allem die Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten, Jugendtreffs
und Schulen, die den Kern des Projektes bildet. So werden an der
Paul Dohrmann Schule neben „The Beat Style“ auch weitere
musikalische Workshops und Tanzgruppen angeboten, die den regulären
Unterricht ergänzen und den Kindern die Möglichkeit bieten
sollen, über die Musik neue Ausdrucksformen zu finden und
mit gestärktem Selbstbewusstsein in die Zukunft zu blicken: „Wir
wollen Ziele haben,“ lautet die Parole, die sich inzwischen
auf den ganzen Stadtteil übertragen lässt.
Noch bis Anfang 2012 soll das Projekt „Musik in Hainholz“ laufen.
Genug Zeit, um möglichst viele Einwohner zu mobilisieren und
dem Ziel der Musikalisierung des Stadtteils näher zu kommen.
An ein Ende der musikalischen Totalförderung kann Morena Piro
allerdings längst nicht denken. Für die Initiatorin des
Förderprogramms steht fest: „Es gibt noch viele Menschen
in Hannover, die wir mit Musik erreichen können.“