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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 8
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Magazin
Fixsterne am Nachthimmel und andere Leuchtkörper
Kunstrezeption mit einem
Moment der Andacht: Eindrücke und Einschätzungen
zum 12. Inselfestival Hombroich
Begehbare Skulpturen, ein Museum für bildende Kunst, ein künstlich
angelegter Flussumlauf. Architektur, Literatur, Musik in einer renaturierten
niederrheinischen Park- und Terassenlandschaft. Dazu ein repazifizierter Natostützpunkt – Museum
Insel Hombroich hat viele Facetten. Das Lebensreformerische des Entwurfs
ist spürbar an allen Ecken und Enden. Auch ein pfingstliches, im Biennalerhythmus
organisiertes Musikfest hat daran Anteil. Eindrücke von, Einschätzungen
zu einer Insel-Exkursion.
Gerade hat Till Fellner Holligers drei frühe „Nachtstücke“ auf
die Reise geschickt, als sich auch schon ein vielstimmiges Vogelkonzert ins
Klanggewebe mischt. Keine Störung im eigentlichen Sinn, eher eine Farbe
durchaus extravaganter Art. Ein Zusatzregister, dem der Komponist, soviel steht
fest, einiges würde abgewinnen können. Gewiss, auch auf Hombroich,
diesem sehr eigenen Flecken auf der großen Karte der Gegenwartskunst,
ist diese Zugabe der beseelten Natur nicht unbedingt die Regel. In diesem Fall
ist sie dem übergroßen Andrang geschuldet, der die Veranstalter
bewog, die Tore zur Scheune, wie der ältere der beiden Konzertsäle
hier heißt, weit offen zu halten. Erleichterung darüber auf allen
Gesichtern. Drinnen, auf den Bänken wie auf dem eilig bereitgestellten
Notgestühl ist man, der Interpret inbegriffen, dankbar für jedes
Lüftchen. Und, wer draußen in lauer Pfingstnacht seinen Stehplatz
eingenommen hat, um einem romantischen Klavierabend gewissermaßen auf
der Schwelle zu lauschen, hat ebenfalls beides – das Natur- und das Kunstschöne.
Dieses als Fern-, jenes als Nahorchester.
Eine
Kunst-Insel mit Musik: Das Inselfestival hat sich längst sein
eigenes Publikum geschaffen. Foto: Thomas Riehle/Stiftung Insel Hombroich
Hombroich, Pfingsten 2008. – Das Schlusskonzert des 12. Inselfestivals
fokussiert mit Mozart/Schumann/Ravel/Holliger noch einmal jene Ästhetik,
die im Verlauf eines knappen Vierteljahrhunderts Festivalgeschichte tatsächlich
ihr eigenes Publikum kreiert hat. Ein Umstand, der selbst als ein kleines Kunstwerk
betrachtet werden darf. Und wer in diesem Zusammenhang von Erziehung sprechen
möchte, liegt auch nicht verkehrt. Wie auch immer: Hombroich ist der Beweis,
dass es geht. Längst ist die Vision des verstorbenen Komponisten Gerhard
Lampersberg Realität geworden, neben der Architektur, neben der bildenden
Kunst auch eine Tradition genuin Hombroicher Musikpflege zu etablieren,
die auf dem klassisch-romantischen Eckstein weiterbaut. Wie jetzt zum konzertant
begangenen Pfingstfest wieder hörbar wurde, ist es gelungen, diesen Fingerzeig
in eine Programmatik zu übersetzen, um die sich ihrerseits ein eigener,
nicht unerheblich zur Finanzierung beitragender Freundeskreis geschart hat.
Einer, der nicht zur Jagd nach Novitäten bläst. An der Tendenz, die
Uraufführung mit dem Begräbnis des neuen Werkes zusammenfallen zu
lassen, möchte man sich hier durchaus nicht beteiligen. Auf Hombroich
hält man sich stattdessen (Zeit für ein großes Wort) – ans
Vermächtnis Hölderlins. Der Dichter der Deutschen wird hier mehr
als nur gelesen, vielmehr gilt sein gesprochenes Wort:
„denn wiederkommen“
„Wiederhören erleichtert das Verstehen von Musik“, sagt
Georg Kröll. „Wiederhören
intensiviert das Musikerlebnis und ist notwendig für eine kritische
Beurteilung.“ Ein Plädoyer, das Richtung wie Linie von Programmierung
und Kuratierung „auf der Insel“ bestimmt. In der Folge haben
sich Namen wie Hans Zender, Rolf Riehm, Helmut Lachenmann, György Kurtág
und York Höller gleich Jahresringen um die Geschichte des Inselfestivals
gelegt. Neben diesen Fixsternen am Nachthimmel über Hombroich leuchten,
etwas schwächer zwar, aber doch immer noch mit bloßem Auge erkennbar:
Christoph Staude, der seit geraumer Zeit auf Hombroich lebt und arbeitet,
Thomas Bruttger, auch in diesem Festivalzyklus mit einer Uraufführung
(Klang-Spiegel-Bild/Ensemble Recherche) vertreten und nicht zuletzt der Kölner
Komponist Georg Kröll,
ein Schüler von Bernd Alois Zimmermann.
Namentlich Kröll ist es, der seinen verehrten Lehrer denn auch immer wieder
als Kronzeugen anruft. Dessen „Monologe für zwei Klaviere“,
im Eröffnungskonzert vom begnadeten Duo Andreas Grau/Götz Schumacher
präsentiert, wurde einmal mehr als eine Musik gehört, die in der
Art, wie sie etwa Bach zitiert, im Werk selbst verdichtet hat, was das Inselfestival
im großen und ganzen ins Werk zu setzen bestrebt ist. Erinnern, Wiederholen,
Durcharbeiten kann – Hombroich bringt es an den Tag – eine ausgesprochen
lustvolle Erfahrung sein.
Für diese Konzentration auf das Werk, zu der sich der langjährige
Kurator des Inselfestivals Georg Kröll ohne Umschweife bekennt, sind den
Veranstaltern im Laufe der Zeit zwei Spielorte zugewachsen. Das „Haus
der Musik“, konzipiert vom österreichischen Architekten Raimund
Abraham, ist im Rohbau zwar fertiggestellt – doch bis dieser imposante,
sich zum Kosmos öffnende Musentempel bezogen werden kann, wird nach dem überraschenden
Tod der Gründerfigur Karl-Heinrich Müller noch einige Zeit vergehen.
Bis dahin teilen sich die Aufgabe, die Wahrnehmung zu schärfen, eine in
Leichtbauweise, akustisch manche Wünsche freilich offen lassende Veranstaltungshalle
sowie besagte Scheune, eine vom Blauregen im Laufe der Jahre liebevoll eingehüllte
Holzarchitektur, deren Inneres wie in der Kirche mit Holzbänken ausgeschlagen
ist. Heilige Nüchternheit in Tanne. Außer dem Blick ins Grün
nichts, was das Auge ablenkt.
Dass der Kunstrezeption hier ein Moment der Andacht eingeschrieben ist, kommt
den Interpretationen hörbar zu Gute. Künstler wie Till Fellner im
Schluss- oder wie Grau/Schumacher im Eröffnungskonzert wussten und wissen
solche Intimität, solche Konzentration aufs Wesentliche zu schätzen.
Eine Erfahrung, die sie dem Publikum mit außergewöhnlichen Darbietungen
zurückschenken. Wer einmal hier war, kommt wieder, was auch damit zusammenhängen
mag, dass die Insel-Gastfreundschaft sprichwörtlich geworden ist. Noch
an den von gemeinsamen Mahlzeiten begleiteten wie gekrönten Konzerten
spüren die Interpreten die Differenz zu einem Musikbetrieb, der sie im
wesentlichen vor sich hertreibt, der „Auftritte“ aneinanderreiht.
„Vorzeitbelebung“
Zu den Neuerungen, die in diesem Festivalzyklus manche Erwartungen auslösten,
ohne diese am Ende ganz einzulösen, gehörte ein erstmals anberaumtes,
von Jörn Peter Hiekel geleitetes Symposium. Nun wäre Hombroich nicht
Hombroich, wenn es einer Konvention, und sei es einer noch so schönen,
nicht eine ungewohnte Seite abtrotzen würde. Eingeladen waren denn auch
neben zwei Musikwissenschaftlern (Ralph Paland, Martin Zenk) vor allem
die auf dem Festival gespielten Komponisten, um ihre „Reflexionen zu
Vergangenheit und Gegenwart in der neuen Musik heute“ vorzutragen. Hierbei
mochte es nun allerdings mit einer eher mangelnden Erfahrung zu tun haben,
dass der auf den verstorbenen Insel-Poeten Thomas Kling rekurrierende Titel „Vorzeitbelebung“ die
eingeladenen jüngeren Komponisten wie Hans Thomalla und Sebastian Claren
zu Spekulationen verleitete, die von der Subjektivität ihres Werkentwurfs
kaum mehr gedeckt waren. Die Abhängigkeit, die etwa Claren von postmodernen
Theoretikern im Stil eines Harry Lehmann bekundete, dokumentierte am Ende denn
doch mehr das Selbstmissverständnis des Künstlers als generalisierenden
Philosophen als dass sich der Referattitel „Geschichte und Schönheit“ am
Werk des referierenden Tonsetzers hätte zeigen wollen.
Einen Holzweg, den Manos Tsangaris und Isabel Mundry weniger, Hans Zender
und Rolf Riehm ganz und gar vermieden, indem vor allem letztere sich konsequent
an ihrem Werkschaffen orientierten. Zender hielt sich an Hölderlin, den
er wunderbar rezitierte; Riehm an Bach, zu dessen Contrapunctus 11 aus der
Kunst der Fuge er seine ebenso anarchische wie kongeniale Näherung vorstellte.
Ein Gewinn.
Wenn „Vorzeitbelebung“ (was zu wünschen wäre) in die
zweite Runde gehen sollte, läge es inselästhetisch durchaus nahe,
dann auch die Riege der Interpreten hinzuzubitten. Sofern Seher wie Hans Zender
recht haben, wenn sie im Interpreten über dessen Mittlerfunktion zum Urtext
hinaus das Eigenschöpferische erkennen, wäre Hombroich doch sicherlich
der Ort, genau dies ins Bewusstsein zu heben.
Apropos. Als Till Fellner, die interpretatorische Entdeckung dieses Festivaljahrgangs,
bei seiner letzten Zugabe, bei Liszts „Au lac de Wallenstadt“ angelangt
war, reagierte schlussendlich auch Hombroichs Vogelkolonie. Andächtiges
Schweigen im Walde.