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nmz-archiv
nmz 2008/07 | Seite 3
57. Jahrgang | Juli/Aug.
Magazin
Die beschallte und durchleuchtete Fabrik
Mit „MenschMaschine-KlangMaschine“ startet das rheinland-pfälzische
Netzwerk-Projekt
„… aber eine Musik kann wie ein Bild, ein Gedicht oder ein Buch
Nachricht geben vom desolaten Stand der Gesellschaft, sie kann mitwirken, kann
Bewusstsein stiften, wenn ihre technischen Qualitäten sich auf der Höhe
der ideologischen halten.“ Dieser Nachsatz, den Luigi Nono 1969 seinem
Bekenntnis folgen ließ, er wisse sehr wohl, „dass eine Partitur
ebenso wenig je eine Revolution wird auslösen können wie ein Bild,
ein Gedicht oder ein Buch“, hat 40 Jahre nach jener Revolte, die Albrecht
Dümling auf den kommenden Seiten rekapituliert, wenig von ihrer Prägnanz
verloren. Und auch die Werke Nonos, die dieses Credo beherzigen, haben aus
eben diesem Grund trotz ihres mittlerweile historischen Kontextes kaum etwas
von ihrer Relevanz eingebüßt.
Das
Zementwerk Mainz-Weisenau als multiple Schallfabrik. Foto: Juan Martin
Koch
Es war also nicht bloß nostalgische Verbeugung vor einer Schlüsselgestalt
der Neuen Musik, die Sigune von Osten dazu bewogen hatte, „La fabbrica
illuminata“, Nonos Auseinandersetzung mit den Arbeitsbedingungen im Italien
der 1960er-Jahre, in den Mittelpunkt ihrer audiovisuellen Performance „MenschMaschine-KlangMaschine“ auf
dem Gelände der Zementfabrik Mainz-Weisenau zu stellen. Nonos Werk kann
gleichzeitig als ein Beispiel für einige der Gestaltungsprinzipien Neuer
Musik gelten, die bis heute Bestand haben: die collageartige Verwendung verschiedener,
nicht nur literarischer Texte, den variablen Umgang mit einer Solostimme und
eines vorab aufgenommenen Chores, die Verwendung von Alltagsgeräuschen
und den Einsatz elektronischer Verfremdungen mittels einer Bandzuspielung.
Im normalen Konzertumfeld würde das 17-minütige Stück bestenfalls
die Funktion des zähneknirschend geduldeten Alibi-Neutöners einnehmen.
Ganz den Intentionen des Netzwerks Neue Musik gemäß, in dessen Rahmen
die Fabrik-Aktion den Auftakt des „Spektrum Villa Musica“-Projekts
aus Rheinland-Pfalz bildete, hatte Sigune von Osten den kompletten Abend als
vermittelnde Hinführung auf dieses eine Werk konzipiert: Durch das farbig
erleuchtete und mit Christoph Schlägers „Geräuschgestalten“ beschallte
Röhrensystem der Unterführung wurden die Besucher auf das offene
Werksgelände geführt, wo Klangarbeiter – nicht ohne eine gewisse
rhythmische Koordination – den ohrenbetäubenden Kontakt von Zementmahlsteinen
mit Eisengestängen auskosteten. Die weiteren Klangaktionen auf dem Weg
zum eigentlichen Konzertort hatten mehr optisch-skurrilen Unterhaltungswert
denn echte akustische Erfahrungen zu bieten: Matthias Schubert versuchte sich
mit seinem Tenorsaxophon gegen den vom THW fein austarierten Krach (Bohrhammer,
Motorsäge und Trennschleifer) zu behaupten, Carl Ludwig Hübsch choreografierte
mit seiner Tuba einen Radlader und einen Gabelstapler. Der Silo-Seilakt der
Höhenrettung, den ein Eisenfässerorchester untermalen sollte, fand
wegen eines einsetzenden Unwetters nur akustisch statt.
Nach einer wiederum geräuschhaft grundierten Pause gelangte man in den
ausladenden zweiten Stock der ehemaligen Packhalle, der akustisch und optisch
bestens präpariert einen idealen Konzertort für den kleinen Gang
durch die Geschichte der Industrialisierung abgab, den Sigune von Osten um
Nonos Komposition herum gruppiert hatte. Neben dem Hauptwerk selbst in der
eindringlichen Interpretation von Ostens, faszinierte vor allem das „Bambuso
Sonoro“, jenes Klangkunstwerk aus unzähligen Flöten, mit dem
Hans van Koolwijk seit über zehn Jahren unterwegs ist, eine echte „KlangMaschine“,
die aber doch auf die koordinierende Anstrengung eines Spielers angewiesen
ist. Weitere hochklassige Beiträge kamen vom Sheng-Solisten Wu Wei sowie
von den Schlagwerkern Ray Kaczynski und Frank Thomé; prägnant und
mit beachtlicher Präzision stellten, koordiniert von Silke Egeler-Wittmann,
die AG Neue Musik des Leininger-Gymnasiums Grünstadt und der aus Arbeitssuchenden
zusammengestellte „MM-Chor“ ihre rhythmischen Sprechgesänge
(unter anderem aus Gebrauchsanweisungen) und BWL-Schlagworten, in den Raum.
All diese, je nach Blickwinkel auch optisch reizvollen Elemente sensibilisierten
für Nonos weitaus sperrigere „Fabbrica“, wie selbstverständlich
schien sich sein radikalerer Umgang mit Text, Stimme und Arbeitsgeräusch
aus dem zuvor Gehörten zu entwickeln.
Weniger überzeugend die allzu sehr in den Vordergrund sich drängende
textliche Verklammerung: Die argumentative Dichte der im Prinzip durchaus sympathischen
Fortschrittsskepsis näherte sich bisweilen der Subtilität des THW-Bohrhammers
an.
Im Sinne eines Auftakt-Events kann der „Klangraum Rheinland-Pfalz“,
eine von drei Säulen des „Spektrum Villa Musica“, diese
Werksbeschallung also durchaus als Erfolg werten. Ein übertragbares Vermittlungs-Modell
konnte und wollte die Aktion freilich von vornherein nicht sein; nüchtern
betrachtet war der künstlerische Ertrag gemessen am Aufwand dann wohl
doch zu gering. Die folgenden Termine, im Juli etwa „Visionen – Gesänge
zu Dantes Göttlicher Komödie“ in den Mainzer Kammerspielen,
und die längerfristig angelegten Aktivitäten werden zeigen, ob die
Zweckgemeinschaft unterschiedlicher Akteure, die sich da unter dem Dach des
Netzwerks zusammengerauft hat – andere Partner arbeiten dagegen
schon seit Jahren zusammen –, zu einer gemeinsamen Linie findet. Sigune
von Osten, die im Sommer in ihrer „Parkmusik“ im Trombacher Hof
wieder Neugierige auf eine Hörtour unter freiem Himmel einlädt (Thema
Messiaen), hat jedenfalls schon weitere Pläne: 2009 wird unter dem Motto „Entertainment“ ein
Stück von Iris ter Schiphorst im Zentrum eines Projektes stehen, 2011
sollen auf der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein alle Netzwerkpartner einen
gemeinsamen Abschluss ihrer Arbeit gestalten.